Unglaubliches

Rezensent: Gerrit Stratmann · 12.07.2005
Seit 2003 gibt es in der "Frankfurter Allgemeinen Sontagszeitung" eine Rubrik unter dem Titel "Frei erfunden", in der wöchentlich unglaubliche Erfindungen vorgestellt werden. Der Wissenschaftsredakteur Jörg Albrecht hat diese Kolumnen jetzt gesammelt herausgegeben.
"700.000 Erfindungen werden jährlich zum Patent angemeldet. Manche sind genial, andere überflüssig. Und dann gibt es da noch die, auf die wir nie gekommen wären."

Mit diesen Worten leitet die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" jede Woche eine Rubrik ein, in der sie nützliche, skurrile oder sträflich übersehene Patente ausgräbt, um sie der staunenden Leserschaft zu präsentieren. Alle, die die vergangenen Kolummnen verpasst haben, können sie jetzt nachlesen.

In dem Buch von Jörg Albrecht und seinen Mitautoren erfährt man in kurzen Artikeln auf jeweils knappen zwei Seiten überrascht, was der Erfindergeist des Menschen alles ersonnen hat: vollautomatische Pizzabackautomaten, Weißwürste mit integriertem Strang aus Weißwurstsenf oder das Armband, das die aufgenommene Sonnendosis misst und damit vor drohendem Sonnenbrand warnt. Mitunter sind die Autoren allerdings verblüfft.

"Zum Beispiel, wenn man über ein Patent stolpert, welches dem Schutze eines "Verfahrens zum Messen der exspiratorischen Atemluftmenge einer Brieftaube" dient. Wer, bitte sehr, denkt sich so einen Quark aus?"

Diese berechtigte Frage stellt sich der Leser noch bei ganz anderen Erfindungen, z. B. bei Leitern für in Not geratene Spinnen, die nicht mehr aus der glatten Badewanne herausfinden oder Uhren, die statt der aktuellen Zeit die wahrscheinlich noch verbleibende Lebenszeit anzeigen.

Den Tiefpunkt sinnfreier Patente hat das Buch sicherlich entdeckt, wenn es einen Automaten beschreibt, mit dessen Hilfe man sich zum Vergnügen in den Hintern treten lassen kann - nicht auszuschließen, dass der zuständige Patentbeamte diesen Service dem Erfinder gerne kostenlos und persönlich gewährt hätte. Aber Patentbeamte, so lehrt das Buch, müssen geduldige Menschen sein und sind außerdem angehalten, nur die technische Neuartigkeit einer Erfindung zu beurteilen, nicht jedoch ihren Sinn oder Unsinn.

Auch sprachlich schlagen die Erfinder bei der Beschreibung ihrer Geistesblitze mitunter über die Strenge. Die Patentprüfer sind nicht zu beneiden, wenn sie sich durch Anträge wühlen müssen, in denen es beispielsweise heißt:

"Der Phasenraum wird bei maximaler Energiedichte bis an die Stelle –0,276 mal c gekrümmt bzw. eingefroren, um dann in Form eines Phasensprungs unter Abtrennung der Gravitiation in die Phasen der energetischen Strahlung und der Materiekondensation überzugehen."

Interessant, mag der Laie da noch denken, und selbst der Astrophysiker wundert sich, denn diese Zeilen sind als Anmerkung zu einem Patent eingereicht, bei dem es um die Erfindung eines neuen Reifenprofils geht. Warum der Erfinder dabei auf Formeln zurückgreift, mit denen er augenscheinlich das halbe Universum erklären kann, bleibt ein Geheimnis, das auch die Buchautoren nicht klären können. Dafür zitieren sie es aber mit sichtlichem Genuss.

Allerdings will sich "Frei erfunden" nicht auf die Vorstellung von Skurrilitäten im Patentwesen beschränken. Unter den knapp 60 Patenten sind deshalb auch ethisch bedenkliche zu finden, wie die genmanipulierte Maus, die als Versuchstier der Krebsforschung gezüchtet und patentiert wurde, weil sie leicht zur Bildung von Tumoren neigt. Auch eine Granate zur Verbreitung biologischer und chemischer Kampfstoffe und patentierte menschliche Stammzellen werden vorgestellt. Das ist in der Auswahl etwas beliebig, passt nicht recht zur Mehrzahl der Artikel, wird von den Autoren jedoch mit dem Hinweis gerechtfertigt, man wolle "die gesamte Bandbreite des Erfindungswesens zeigen".

Sämtliche Kurzartikel sind mit Zeichnungen aus den Originalpatentschriften versehen. Die Abbildungen ergänzen hilfreich den Text und sind mitunter sogar nötig, um zu erfassen, worin die entscheidende Neuerung bei diesem Korkenzieher oder jenem Aktenordner überhaupt besteht.

Die Texte sind allesamt flott geschrieben. Selten wurden Patente so einfach erklärt und vergnüglich kommentiert. "Frei erfunden" ist damit ein kurzes und kurzweiliges Buch. Keins, das in jeden Bücherschrank gehört, aber eins zum Wundern, Kopfschütteln und Staunen, das sich schnell in kleinen Häppchen konsumieren lässt und damit ideal als unterhaltsame Reiselektüre eignet oder sich hervorragend verschenken lässt.

Jörg Albrecht: Frei erfunden. Patente, auf die wir nie gekommen wären
Rowohlt Verlag, 6,90 €.