Unglaubliche Geschichten

22.12.2006
Der eigentliche Erzähler, der Schüler Jakob Borg, hat nie Zeit, aber jede Menge zu erzählen. Und es ist der erwachsene Autor, der seinen Bekannten Jakob um Geschichten bittet, wann immer er ihn trifft. So ist ein Buch entstanden, dass bis an den Rand voll ist mit den unglaublichsten Geschichten, die ganz unwahrscheinlich klingen.
Vor 20 Jahren, als Christoph Heins "Das Wildpferd unterm Kachelofen" im Altberliner Verlag erschien, wurden die Geschichten von Jakob Borg, Katinka, Schnauz dem Esel, dem Falschen Prinzen, Kleiner Adlerfeder und Panadel dem Clochard nicht nur von den Kindern, sondern auch von den Erwachsenen gelesen. Für die Älteren war Christoph Hein kein Unbekannter, denn mit der Novelle "Der fremde Freund" hatte er sich einen Namen als genauer Darsteller gesellschaftlicher Zustände gemacht, in denen Kälte herrscht. Da war man durchaus gespannt, worüber er in einem von Manfred Bofinger illustrierten Kinderbuch erzählen würde. Das Buch handelt davon, wie wichtig Träume sind, wie notwendig es ist, Freunde zu haben und wie unverzichtbar Phantasie ist.

Aus den Eltern von damals sind inzwischen Großeltern und aus den Kindern Eltern geworden. Da stellt sich - um einen Satz zu gebrauchen, den Panadel der Clochard gern zitiert, die Frage: Ist ein solches Buch noch in der Lage, "die Nadel aus der Rille" zu reißen?

Es ist, denn Heins Buch, inzwischen ein Kinderbuch-Klassiker, hat nichts von seinem wunderbaren Humor verloren. Der stellt sich ein, weil Christoph Hein es versteht, den Spieß einfach umzudrehen. Bei ihm hat sein eigentlicher Erzähler, der Schüler Jakob Borg, nie Zeit, aber jede Menge zu erzählen. Und es ist der erwachsene Autor, der seinen Bekannten Jakob um Geschichten bittet, wann immer er ihn trifft. So ist ein Buch entstanden, dass bis an den Rand voll ist mit den unglaublichsten Geschichten, die ganz unwahrscheinlich klingen. Wüsste man nicht, dass Jakob Borg nur wahre Geschichten liebt, man könnte meinen, es würde sich um Unsinn handeln, der da erzählt wird. Mitnichten. So etwas würde Christoph Hein, einem ernsthaften Autor, natürlich nicht unter die Feder kommen, und so gibt es auch bei ihm Lehren fürs Leben, allerdings kommen seine aus Büchsen, die Panadel gesammelt hat. Der Clochard ist es auch, der Schnauz den Esel mit nach Paris nimmt, damit er dort zum Professor mit einem außerordentlichen Lehrstuhl berufen wird.

Übrigens fällt Jakobs fünf seltsamen Freunden kurz vor Weihnachten ein, dass sie kein Geschenk für ihn haben. Da erklärt sich Panadel der Clochard bereit, ihm seinen alten Filzhut zu schenken, bei dem es sich nicht um eine gewöhnliche Filzkappe, sondern um Merlins Zauberhut handelt. Mit diesem Hut wird man für seine Feinde unsichtbar. Jakob Borg ist unglaublich froh über dieses Weihnachtsgeschenk, denn er verschwindet gern einmal.

Schön, dass er auch wieder auftaucht. Schön auch, dass dieses wunderbare Buch wieder zu haben ist, was wenige Tage vor Weihnachten ein großes Glück bedeuten kann, falls kein Zauberhut zur Hand ist, der sich verschenken lässt.

Von Michael Opitz

Christoph Hein: Das Wildpferd unterm Kachelofen. Ein schönes dickes Buch von Jakob Borg und seinen Freunden.
Mit Illustrationen von Manfred Bofinger.
Ostdeutsche Zeitungsverlage in Kooperation mit Faber & Faber. Leipzig 2006, 175 Seiten. 7 Euro.