Unglaublich naiv und ungewöhnlich düster

Vorgestellt von Anke Leweke |
"Lenin kam nur bis Lüdenscheid" erzählt aus kindlicher Perspektive die 68er-Umbruchszeit im Ruhrgebiet. Das ist zunächst eine anregende Herangehensweise, irgendwann nervt die Erzählerstimme jedoch. Mit "Cassandras Traum" vollendet Woody Allen seine London-Trilogie und erzählt ungewöhnlich düster die Geschichte von zwei Brüdern die für ihren Traum vom Aufstieg über Leichen gehen.
"Lenin kam nur bis Lüdenscheid"
Dokumentarfilm von André Schäfer nach dem gleichnamigen Sachbuch von Richard David Precht , Farbe, 88 Minuten

Die Idee ist hübsch: Nach den aufgeladenen und hitzigen Diskussionen um die 68er versucht dieser Film, die bewegten Zeiten noch einmal aus der Perspektive von damals wahrzunehmen. Damals war der Ich-Erzähler vier Jahre alt und beobachtete die politische Haltung im Elternhaus mit kindlicher Phantasie.

Man glaubt sich ein wenig in der "Sendung mit der Maus". Mit wissbegierigem Blick wandert man mit der naiven Erzählerstimme durch die Phänomene der 68er-Ideologie, lacht über den politisch korrekten Sisal-Teppich im Wohnzimmer, verklärt Sparwassers Tor im Spiel DDR gegen BRD als weltrevolutionäres Ereignis und summt zu Degenhardts "Schmuddelkindern".

Auch wenn man nicht aus einem linken Elternhaus kommt, wird der Film dank seines sorgfältig ausgewählten Archivmaterials zur Zeitreise, eigene Erinnerungen kommen hoch.

Doch irgendwann beginnt die naive Erzählerstimme zu nerven. Im Tonfall eines Vierjährigen wird auch die Zeit nach 1968 verhandelt: Deutschland im Herbst, die Friedensbewegung und der Fall der Mauer. Alles wird mit demselben naiv-kindlichen Blick kommentiert und man fragt sich, warum die Ich-Stimme in einem Zustand permanenter Regression verharrt.


<im_44840>"Cassandra's Dream" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART)</im_44840>"Cassandras Traum"
Regie: Woody Allen. Mit: Ewan McGregor, Colin Farrell, Tom Wilkinson, Sally Hawkins. Farbe, 108 Minuten

Mit dem Ortswechsel hat auch ein Stimmungswechsel stattgefunden. Woody Allens in England entstandene Filme sind düster und dunkel. Selten warf er einen so gnadenlosen Blick auf seine Umwelt wie in "Match Point". Im Mittelpunkt steht ein junger Mann, der seine Geliebte umbringt, weil sie seinem gesellschaftlichen Aufstieg im Weg steht. Nach der Detektivgeschichte "Scoop" vollendet Allen seine London-Trilogie nun mit dem nicht minder bösen Film "Cassandras Traum".

Ewan McGregor und Colin Farrell spielen die Brüder Ian und Terry, die von Geld und Aufstieg träumen und durch eine Verkettung von seltsamen Umständen dafür über Leichen gehen.

Wie auch "Match Point" ist "Cassandras Traum" ein fast humor- und ironiefreies Woody-Allen-Werk. Statt von unserer Sterblichkeit und der Schlechtigkeit der Welt mit absurden Pointen und tragikomischen Aphorismen zu erzählen, setzt Allen eine düstere Schuld- und Sühnegeschichte in Szene. Dabei macht "Kassandras Traum" da weiter, wo "Match Point" aufhörte. Es geht um die Täter nach der Tat, um ihre Gewissensbisse und ihre Schuld. Doch leider hat dieser Woody-Allen-Film etwas Unbefriedigendes, nicht etwa weil ihm die ironische Haltung fehlt, sondern der subtile Blick auf seine Helden.

In "Match Point" gelang es ihm, dass auch der Zuschauer die Perspektive des Mörders einnahm. Man verstand seine Zukunftsängste und Geldsorgen. Der Zuschauer wurde zum Komplizen und zitterte mit dem Mörder. "Match Point" war letztlich auch ein Porträt einer Gesellschaftssicht, die mit aller Gewalt versucht, ihren Besitz zu sichern.

Doch den beiden Brüdern aus seinem neuen Film schaut Woody Allen teilnahmslos zu. Sie sind für ihn Kaninchen in einem Versuchslabor, doch weiß Allen diesmal nicht, nach was er eigentlich forscht.
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