Ungestüm, gefährlich, nah am Kitsch

Von Volkhard App · 24.03.2013
Eine Gegenwelt zur materiell beherrschten Gesellschaft wollten sie schaffen - und öffneten sich dabei dem Triebhaften und Unbewussten: Eine Ausstellung in Bielefeld widmet sich der Kunst des deutschen Symbolismus. Gezeigt werden Werke von Arnold Böcklin über Franz von Stuck und Lovis Corinth bis zu Max Klinger.
Landschaften, die mit ihren dichten Wäldern, den einsamen Seen und schneebedeckten Höhen fast schon urzeitlich wirken. Aber auch die Figuren umgibt in der symbolistischen Bildwelt ein Hauch "von altersher": spärlich bekleidete Jünglinge, die sich im Bogenschießen üben, Frauen bei einem Frühlingsreigen, und oben am Hang erscheint Pan und erschreckt durch seine pure Anwesenheit den Hirten.

"Die andere Moderne” heißt diese Schau im Untertitel und präsentiert Gemälde, Skulpturen und druckgrafische Arbeiten vor allem aus dem späten 19. und dem frühen 20. Jahrhundert: Werke, die mit ihrer figurativen, eher konventionellen Darstellung quer zu liegen scheinen zur Fortschrittsgeschichte der bildenden Kunst. Der Symbolismus war trotz des weitgehenden Verzichts auf Abstraktion eine Strömung ohne konkreten, einheitlichen Stil und ohne Gruppenidentität. Was diese Künstler im Innersten bei der Findung ihrer regressiven Motive umtrieb, korrespondiert allerdings mit dem heutigen Zeitgefühl.

Kuratorin Jutta Hülsewig-Johnen: "Es gab ja damals in der sogenannten Gründerzeit eine rasche Veränderung in den Lebensverhältnissen durch die Industrialisierung, es gab damals einen gefühlten Materialismus, eine gefühlte Oberflächlichkeit. Und vielleicht sind wir heute davon gar nicht so weit entfernt. Auch im Zuge der Globalisierung stellt sich das Empfinden einer raschen Veränderung ein, es gibt sicherlich auch heute wieder Lebensängste. Uns liegen die Gedanken, die sich die Symbolisten gemacht haben, sicherlich nicht fern - mit ihrer Suche nach einer Natur in ihrem Selbstwert, nach einer Seelentiefe, nach Lebensinhalten."

Der Impressionismus erschien den Symbolisten als oberflächlich
Eine Gegenwelt zur materiell beherrschten Gesellschaft wollten sie schaffen - und öffneten sich dabei den Mythen und dem Reich des Traumes, beschäftigten sich mit dem Triebhaften und Unbewussten. Von Arnold Böcklin über Franz von Stuck und Lovis Corinth bis zu Max Klinger reicht in der Kunsthalle Bielefeld das Spektrum. Malerische Opulenz zieht immer wieder die Blicke an, die eher archaische Figurenwelt hält den Betrachter hingegen auf Distanz:

"Das ist heute sicherlich Geschichte, das ist eine für uns vergangene Welt. Auch das Wissen um die mythologischen Inhalte ist uns heute nicht mehr so präsent wie dem Bildungsbürgertum vor 100 Jahren."

Folgenreich waren jene künstlerischen Mühen für die Herausbildung des Expressionismus. In ihrem Wunsch nach Seelentiefe sahen sich viele Symbolisten rückblickend der Romantik verbunden - und lehnten zugleich den Impressionismus ab, der ihnen als oberflächlich erschien, ganz und gar dem Äußeren verhaftet. Eine Polarisierung, die heute befremdet:

"Auch die Impressionisten haben selbstverständlich Inhalte vermittelt, nur eben andere: Da ging es darum, die Erfahrung der Wirklichkeit zu hinterfragen, und bei den Symbolisten ging es um das Hinterfragen einer Wirklichkeit der Seele, des Unbewussten - beide haben ihre Berechtigung als ein künstlerisches Welterkennen in der Zeit um 1900."

Der "femme fatale” ist in der Ausstellung ein eigenes Kapitel gewidmet. Da windet sich bei Franz von Stuck eine personifizierte Sünde mit giftiger Schlange lüstern am Boden, und über einem Bett mit erschöpfter junger Frau erscheint bei Leo Putz als dunkle Vision eine Fratze, die Unheil verkündet. Indem sie die Sexualität zum Thema machten, sorgten Maler wie von Stuck und Lovis Corinth für Skandale - ein sich auf der Leinwand hingebendes weibliches Wesen wurde nicht toleriert:

"Da herrschte in der wilhelminischen Gesellschaft eine rigide Konvention: Die Geschlechter durften nur streng formalisiert miteinander umgehen, und da brach mit solchen Figuren, die eine ungestüme, gefährliche Sexualität verkörpern, plötzlich eine Gegenwelt auf. Das war halt auch der Versuch einer Befreiung."

Mädchen in paradiesischen Landschaften
Als Gegenentwürfe zu den "femmes fatales” erscheinen in Bielefeld die durch und durch braven Frauenzimmer, die in ihrer pastoralen Biederkeit und in der Gestaltung als Madonna daran erinnern, dass sich der nach Gefühlstiefe und Ausdrucksstärke suchende Symbolismus zuweilen nahe am Kitsch bewegte. Manche Inkunabel fehlt in dieser Schau: keine "Toteninsel”, kein "Heiliger Hain”.

Eine dichte Präsentation ist es dennoch, und wie schon in der Ausstellung zum deutschen Impressionismus vor gut drei Jahren gelingt es der Kunsthalle, fast schon vergessene Namen ins Blickfeld zu rücken. Mit herrlich leuchtenden Gemälden Ludwig von Hofmanns begann überhaupt der Aufbau der eigenen, öffentlichen Sammlung vor mehr als hundert Jahren. Da durchstreift eine Schar entfesselter Menschen im Geiste des Dionysos die beseelte Natur.

Faune, kraftstrotzende Jünglinge, Mädchen in paradiesischer Landschaft: Man darf beim Rundgang immer wieder fragen, welche Motive uns innerlich noch erreichen. Das Verdienst der Kunsthalle besteht darin, den deutschen Symbolismus erneut zur Diskussion zu stellen - diese unmodern wirkende Bildwelt innerhalb der Moderne, dieses Verbindungsstück zu den avantgardistischen Aufschwüngen des 20. Jahrhunderts.

Schönheit und Geist: Der deutsche Symbolismus
Kunsthalle Bielefeld
Noch bis zum 7. Juli 2013