Ungeschöntes Russland
Iwan Bunins "Frühe Erzählungen" kreisen um die Erfahrungen der jungen Jahre des Literaturnobelpreisträgers. Bittere Armut - aber auch die Schönheit der Natur. Bunin verklärt nichts.
"Frühe Erzählungen" von Iwan Bunin verspricht der Untertitel des schönen Leinenbands "Am Ursprung der Tage" mit doppeltem Recht. Es sind nicht nur die zwischen 1890 und 1909 publizierten Geschichten des Mannes, der 1909 den hoch angesehenen Puschkin-Preis und 1933, im Exil, den Literaturnobelpreis erhielt.
Die meist erstmals übersetzten Geschichten kreisen auch um frühe Erfahrungen des jungen Mannes, der 1870 in Woronesch als Sohn eines verarmten Adligen geboren wurde. Der Vater bringt den Rest des Familienvermögens beim Kartenspiel durch und muss mit seinen Kindern aufs Land ziehen. Dort wächst Iwan mitten unter Bauernkindern auf. Ihre bittere Armut übersieht er ebenso wenig wie die Schönheit der Natur. Beide zentralen Eindrücke der Kindheit und Jugend prägen die Erzählungen dieses Bandes.
Ein melancholischer Grundton grundiert sie alle, die Kindheit ist unwiderruflich vergangen. Doch Bunin will nicht, schreibt Herausgeber Thomas Grob in seinem kenntnisreichen Nachwort, wie die Symbolisten eine unzugänglich gewordene Welt erahnen lassen, und er strebt auch nicht wie Tolstoj rousseauistisch Reinheit oder Selbstverbesserung an.
Bunin verklärt nichts, jede Sentimentalität ist ihm fremd. Er verbindet vielmehr präzise Beobachtungen mit hoher Beschreibungsintensität. Ihn interessiert der Augenblick, nicht die Kontinuität. Handlung spielt daher eine untergeordnete Rolle, die Taten der Menschen sind nicht wichtiger als Vorgänge in der Natur. "Wie lebhaft spürte er", heißt es einmal, "seine Blutsverwandtschaft mit dieser schweigenden Natur!"
Bunin erzählt von der Erschütterung eines jungen Akademikers durch den Hungertod eines bäuerlichen Jugendfreundes, von der ersten Liebe, von der Flucht eines halben Dorfes vor der Armut, von Landgütern, die im Rhythmus der Jahreszeiten zugrunde gehen. Der Erzähler, oft ein Junge oder junger Mann, erinnert sich an Streiche und ländliche Jagden oder wie er einem Spiegel mit dem Messer das Geheimnis des ewig gegenwärtigen Bildes entlocken wollte und nur ein Loch in die Beschichtung ritzte.
Der sowjetische Erzähler und Dramatiker Valentin Katajew schildert in seinem Erinnerungsroman "Kraut des Vergessens", wie er den bewunderten Kollegen Iwan Bunin nach den sicher zahlreichen Übersetzungen seiner Werke fragte. "O Gott, antwortete er gereizt. Sehen Sie bitte selbst: Zum Beispiel beginne ich eine Kurzgeschichte mit dem Satz: ,In der Thomaswoche, an einem klaren, rosa angefärbten Abend, in jener lieblichen Jahreszeit, wenn ...' Versuchen Sie das auf Englisch oder Französisch zu sagen und die Musik der russischen Sprache zu wahren, die Feinheit der Landschaft ...'"
Dorothea Trottenberg hat diese tatsächlich schwere Aufgabe nun im Deutschen übernommen. Sie fängt Iwan Bunins heute manchmal verwundernde Häufung von Adjektiven mit einem eher knappen, trockenen Ton auf, sodass die erwünschte Intensität entsteht. Der soundsovielte Versuch, den Emphatiker des Augenblicks, der unverkennbar zwischen dem realistischen 19. und dem modernen 20. Jahrhundert steht, endlich im deutschen Sprachraum zu etablieren, könnte daher mit dieser verdienstvollen Werkausgabe des Dörlemann Verlags endlich glücken.
Besprochen von Jörg Plath
Iwan Bunin: "Am Ursprung der Tage", Frühe Erzählungen 1890 – 1909
Herausgegeben von Thomas Grob, aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg
Dörlemann Verlag, Zürich 2010
380 Seiten, 24,90 Euro
Die meist erstmals übersetzten Geschichten kreisen auch um frühe Erfahrungen des jungen Mannes, der 1870 in Woronesch als Sohn eines verarmten Adligen geboren wurde. Der Vater bringt den Rest des Familienvermögens beim Kartenspiel durch und muss mit seinen Kindern aufs Land ziehen. Dort wächst Iwan mitten unter Bauernkindern auf. Ihre bittere Armut übersieht er ebenso wenig wie die Schönheit der Natur. Beide zentralen Eindrücke der Kindheit und Jugend prägen die Erzählungen dieses Bandes.
Ein melancholischer Grundton grundiert sie alle, die Kindheit ist unwiderruflich vergangen. Doch Bunin will nicht, schreibt Herausgeber Thomas Grob in seinem kenntnisreichen Nachwort, wie die Symbolisten eine unzugänglich gewordene Welt erahnen lassen, und er strebt auch nicht wie Tolstoj rousseauistisch Reinheit oder Selbstverbesserung an.
Bunin verklärt nichts, jede Sentimentalität ist ihm fremd. Er verbindet vielmehr präzise Beobachtungen mit hoher Beschreibungsintensität. Ihn interessiert der Augenblick, nicht die Kontinuität. Handlung spielt daher eine untergeordnete Rolle, die Taten der Menschen sind nicht wichtiger als Vorgänge in der Natur. "Wie lebhaft spürte er", heißt es einmal, "seine Blutsverwandtschaft mit dieser schweigenden Natur!"
Bunin erzählt von der Erschütterung eines jungen Akademikers durch den Hungertod eines bäuerlichen Jugendfreundes, von der ersten Liebe, von der Flucht eines halben Dorfes vor der Armut, von Landgütern, die im Rhythmus der Jahreszeiten zugrunde gehen. Der Erzähler, oft ein Junge oder junger Mann, erinnert sich an Streiche und ländliche Jagden oder wie er einem Spiegel mit dem Messer das Geheimnis des ewig gegenwärtigen Bildes entlocken wollte und nur ein Loch in die Beschichtung ritzte.
Der sowjetische Erzähler und Dramatiker Valentin Katajew schildert in seinem Erinnerungsroman "Kraut des Vergessens", wie er den bewunderten Kollegen Iwan Bunin nach den sicher zahlreichen Übersetzungen seiner Werke fragte. "O Gott, antwortete er gereizt. Sehen Sie bitte selbst: Zum Beispiel beginne ich eine Kurzgeschichte mit dem Satz: ,In der Thomaswoche, an einem klaren, rosa angefärbten Abend, in jener lieblichen Jahreszeit, wenn ...' Versuchen Sie das auf Englisch oder Französisch zu sagen und die Musik der russischen Sprache zu wahren, die Feinheit der Landschaft ...'"
Dorothea Trottenberg hat diese tatsächlich schwere Aufgabe nun im Deutschen übernommen. Sie fängt Iwan Bunins heute manchmal verwundernde Häufung von Adjektiven mit einem eher knappen, trockenen Ton auf, sodass die erwünschte Intensität entsteht. Der soundsovielte Versuch, den Emphatiker des Augenblicks, der unverkennbar zwischen dem realistischen 19. und dem modernen 20. Jahrhundert steht, endlich im deutschen Sprachraum zu etablieren, könnte daher mit dieser verdienstvollen Werkausgabe des Dörlemann Verlags endlich glücken.
Besprochen von Jörg Plath
Iwan Bunin: "Am Ursprung der Tage", Frühe Erzählungen 1890 – 1909
Herausgegeben von Thomas Grob, aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg
Dörlemann Verlag, Zürich 2010
380 Seiten, 24,90 Euro