Ungeschöntes Bild von Ägypten

03.12.2009
Der 1957 geborene, im Brotberuf als Zahnarzt in Kairo tätige Alaa al-Aswani, dem mit "Der Jakubian-Bau" (dt. 2007) der größte internationale Erfolg der ägyptischen Literatur seit dem Nobelpreis für Nagib Machfus gelungen ist, hat nicht erst mit diesem sozialkritischen Roman die literarische Bühne betreten. In Ägypten wurde al-Aswanis Frühwerk vor einem Jahr unter dem Titel "Niran Sadiqah" - "Friendly Fire" zusammengefasst und neu publiziert. Die erste Fassung ist angeblich von der ägyptischen Zensurbehörde verboten worden.
Da sich der Lenos-Verlag offensichtlich scheute, das Buch unter einem englischsprachigen Titel auf Deutsch zu publizieren, heißt es nun ein wenig besoffen "Ich wollt', ich würd' Ägypter". Das nimmt dem Buch und der erklärten Absicht des Autors die Schärfe. Wenn al-Aswanis frühe Erzählungen eine Qualität haben, dann eben die, zugleich konstruktiv gemeinte und bitter-kritische Attacken gegen die eigene Gesellschaft zu sein.

Unter rein literarischen Gesichtspunkten jedoch wirken viele der Texte wie Fingerübungen und Etüden. Man spürt wie al-Aswani einen Ton sucht, oft noch ein wenig schwankt, abrupt die Richtung wechselt. An der mit hundert Seiten längsten Erzählung des Bandes "Die Aufzeichnungen des Issam Abdalati" lässt sich dies leicht ablesen. Der Text beginnt mit einer fast an Thomas Bernhard erinnernden Spottrede auf die Ägypter. Aber schon im dritten Kapitel wird daraus eine konventionell erzählte, typisch ägyptische Verbitterungs- und Lebensgeschichte, wie wir sie aus der Literatur vom Nil zuhauf kennen.

Erst am Ende gibt es eine überraschende, freilich wenig motivierte Wendung ins Groteske. Issam Abdalati verfällt einer plötzlich in ihm keimenden Klischeevorstellung vom Westen und stellt sich wie so viele Ägypter vor, eine Touristin zu verführen. Realität und Wunschvorstellung kann er nicht mehr unterscheiden, sodass er
schließlich im Irrenhaus landet. Aus der Hölle Ägyptens ist kein Ausbruch möglich, scheint al-Aswani sagen zu wollen. Die einzige Zuflucht ist das Schreiben.

Ähnlich wechselhaft in Qualität und Stil präsentieren sich die 16 anderen, eher dem Genre der Short Story zuzurechnenden Texte. Ausbeutung, auch sexuelle, Doppelmoral, Deklassierung, Armut, Brutalität sowie durch Bildung und Intelligenz nicht zu überwindende Klassenunterschiede sind die Themen.

Das Vorbild des Großmeisters der ägyptischen Kurzgeschichte, des 1991 gestorbenen Jussuf Idris, ist unverkennbar, obwohl al-Aswanis Texte kaum an die seines Vorbilds heranreichen und bisweilen nur eine naturgetreue Kopie der Realität sind, etwa in der Geschichte "Meine liebe Schwester Makarim". Die literarische Gestaltung besteht hier lediglich darin, einen Brief als Short Story zu deklarieren und durch dieses Vorzeichen als Kritik an einer bestimmten Mentalität lesbar zu machen.

Man merkt an diesem wie auch an zahlreichen anderen der hier versammelten Texte, dass al-Aswani die epische Breite braucht, um seine Anliegen in einer literarisch ansprechenden Form durchzuführen. Kein Wunder also, dass er erst mit seinen breit angelegten Romanen "Der Jakubian-Bau" und "Chicago" berühmt geworden ist. Empfohlen seien die Erzählungen dennoch nicht nur al-Aswani-Fans, sondern allen, die an einem ungeschönten Bild von Ägypten und den Anfängen eines groß gewordenen Autors interessiert sind.

Besprochen von Stefan Weidner

Alaa al-Aswani: Ich wollt', ich würd' Ägypter,
Erzählungen aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich,
Lenos Verlag, Basel 2009., 265 Seiten, 19,90 EUR
Alaa al-Aswani gehört zurzeit zu den erfolgreichsten ägyptischen Schriftstellern
Alaa al-Aswani© AP