„Ungelöste Probleme nicht an kommende Generationen weitergeben“
Der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen, Kurt Biedenkopf, hat sich dafür ausgesprochen, Gesetzesvorhaben genauer auf ihre Generationenverträglichkeit zu überprüfen. Es müsse klar sein, welche Belastungen neue Gesetze auf die nachkommenden Generationen legten, sagte der CDU-Politiker anlässlich der Präsentation seines Buches „Die Ausbeutung der Enkel“ auf der Leipziger Buchmesse.
Ostermann: Deutschland schrumpft und die Gesellschaft wird immer älter. Der demographische Wandel stellt vor allem die Sozialversicherungssysteme vor enorme Probleme. Kommen heute auf 100 Erwerbstätige etwa 56 Rentner, so verändert sich dieses Verhältnis in den nächsten 30 Jahren dramatisch. Dann sind es 80 Rentner. Die Politik sucht nach Lösungen und setzt zum Beispiel das Rentenalter herauf, doch Fragen bleiben: Wie gehen wir mit der steigenden Staatsverschuldung um? Wie werden Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt korrigiert?
Der frühere sächsische Ministerpräsident, Professor Kurt Biedenkopf von der CDU, spricht in diesem Zusammenhang von der Ausbeutung der Enkel. Er fordert in seinem neuen Buch eine Rückkehr zur Vernunft. Ich sprach mit ihm auf der Leipziger Buchmesse und fragte als Erstes, welche Verteilungskämpfe, welche Generationenkonflikte er prognostiziert.
Biedenkopf: Ich prognostiziere keine Generationenkämpfe oder Verteilungskämpfe, sondern ich versuche, die Generation der geburtenstarken Jahrgänge, dass sind die Eltern der Enkel, von denen hier die Rede ist, davon zu überzeugen, dass sie nicht die Chance haben, ihre ungelösten Probleme an die nächste Generation weiter zu geben, sondern sie selbst bewältigen müssen. Das ist eigentlich die wesentliche Botschaft. Denn die Enkel werden sich nicht ausbeuten lassen. Und das begründe ich auch.
Ostermann: Sie führen einen Maßstab ein, die Enkeltauglichkeit. Was verstehen Sie darunter?
Biedenkopf: Richtig. Darunter verstehe ich, dass Gesetze, die wir heute machen, darauf geprüft werden müssen, welche Belastungen sie für die Zukunft auf die nachkommende Generation legen. Das ist kein vollkommen neuer Gedanke. Das israelische Parlament hat zum Beispiel eine entsprechende Kommission eingerichtet. Ich meine, dass wir zwar bei den Gesetzen immer vorne auf das Titelblatt schreiben, was sie kosten und was sie bezwecken, aber wir befassen uns nie mit der Frage, welche Lasten wir kommenden Generationen auferlegen, ohne dass die die Möglichkeit haben, sich gegen diese Lasten zu wehren, weil sie entweder noch nicht geboren sind oder kein Stimmrecht haben.
Ostermann: Sie sprechen auch von einer Krise des Denkens. Worin besteht diese Krise?
Biedenkopf: Ja, indem wir Dinge falsch sehen. Ich befasse mich mit der Frage, ob Wachstum wirklich zu mehr Arbeitsplätzen führt und zeige, dass das eigentlich seit 1980 nicht mehr der Fall war. Ich befasse mich mit der Frage, ob die Gesellschaft ihre Dinge intelligent genug organisiert, ob es nicht besser wäre, jetzt nicht quantitatives Wachstum anzustreben, sondern eine Verbesserung der Intelligenz, mit der wir unsere Dinge organisieren und damit auch mehr Sparsamkeit, mehr Effizienz, mehr Wirtschaftlichkeit im Land. Alles das wird in Zukunft eine dominierende Rolle haben. Nicht nur aus Gründen der Globalisierung, sondern auch aus Gründen der europäischen Entwicklung.
Ostermann: Was bedeutet dieses qualitative Wachstum, von dem Sie sprechen? Was bedeutet das konkret?
Biedenkopf: Nehmen Sie an, es würde uns gelingen, die Reisezeiten, die Buchungszeiten, et cetera in Urlaubszeiten so zu entzerren, dass es keine großen Staus mehr auf der Straße gibt. Dann wäre die Organisation des Transports von und zu den Ferienplätzen sehr viel intelligenter als sie bisher war. Und wir würden eine Menge Energie und auch eine Menge Nervenkraft sparen. Das heißt, wir würden die Dinge vernünftiger machen, als wir sie heute machen, mit 30 bis 50 Kilometer stehendem Verkehr.
Ostermann: Im März 2000 setzte sich die Europäische Union das strategische Ziel für das kommende Jahrzehnt zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu werden und ging dabei von einem dauerhaften Wirtschaftswachstum aus. In der kommenden Woche treffen sich jetzt in Brüssel die EU-Staatschefs, um eine Bilanz zu ziehen. Wie fällt Ihr Urteil aus?
Biedenkopf: Ich habe diese Beschlüsse von 2000, die so genannte Lissabon-Strategie, immer für ziemlich unsinnig gehalten, weil sie die Ziele der Europäischen Union auf die rein ökonomischen Ziele reduziert und völlig aus dem Auge verliert, worauf es eigentlich wirklich ankommt. Wir haben ja diese Ziele auch alle nicht erreicht, und sie sind auch nicht erreichbar. Wir können in einer Welt, deren Bevölkerung sich in den nächsten 40 Jahren um weitere zwei Milliarden erhöht, doch nicht annehmen, dass wir immer noch mehr Ressourcen dieser Welt für uns in Anspruch nehmen können, als wir das schon tun, und das wäre die Voraussetzung für die Erfüllung dieser Ziele.
Ostermann: Sie plädieren für einen neuen Grundkonsens. Wie sollte der aussehen?
Biedenkopf: Ja, den muss man erarbeiten. Wissen Sie, der wird nicht vom Staat herabgereicht an die Bevölkerung, sondern wir müssen die Menschen erst mal aufklären, in welcher Lage sie tatsächlich leben, so wie das Herr Müntefering jetzt mit der Rente begonnen hat. Wir müssen ihnen die Grenzen dessen zeigen, was uns möglich ist. Wir müssen ihnen erklären, welche Verbindungen zwischen dem, was sie selbst tun und dem, was wir in unserem Land tun und in Europa, mit der Welt bestehen und welche Grenzen und Begrenzungen uns daraus erwachsen. Wenn wir das alles machen, dann setzten wir die Innovationsfähigkeit der Bevölkerung ein, um unsere Probleme zu lösen und verlassen uns nicht darauf, dass die Politiker alleine die Innovatoren sind, was sie gar nicht sein können.
Ostermann: Aber sie müssen doch den Rahmen setzen?
Biedenkopf: Ja, ich kann ja den Rahmen nur setzen, wenn ich die Ziele habe. Und wissen Sie, was ein politischer Diskurs ist, ist nicht die Diskussion innerhalb der Parteien, sondern die Diskussion innerhalb der Bevölkerung, unter den Eliten, den Medien, zu denen Sie auch gehören, und vielen anderen, die sich mit den Fragen befassen, die wir lösen müssen und mein Buch will versuchen, einige dieser Fragen so zu präzisieren, dass sie operational sind, das heißt, dass man darüber nachdenken kann, wie die Alternativen aussehen. Das wird ein großer politischer Diskurs und aus ihm erwächst ein Konsens.
Ostermann: Und was bedeutet das dann auch letztendlich für die Rolle der Familie etwa?
Biedenkopf: Ich habe die Auffassung vertreten, der ich schon lange anhänge, eigentlich seit 20 Jahren, dass im Prozess dessen, was wir jetzt angesprochen haben, die Familie aus ihrer rein passiven Rolle als Konsumgemeinschaft herauswächst und wieder ein wirklicher Kern der menschlichen Gesellschaft wird, was sie ja eigentlich immer war. Und dass sie nicht nur Wohn- und Konsumgemeinschaft ist, sondern Arbeitgeber werden wird, dass sich um die Familie Menschen gruppieren, die miteinander in kleinen Lebenskreisen zusammenleben und zusammenwirken, nicht nur um wirtschaftlicher miteinander zu leben, sondern auch um Mittelpunkte zu haben, von denen aus sie dann, wenn Sie so wollen, in die weitere Welt, also in die größeren Lebenskreise und in die Gesamtgemeinschaft treten. Aber mit der Rückendeckung der kleinen Gemeinschaft, die wir mit Sicherheit revitalisieren müssen. Wenn es nicht schon unsere Kinder tun, also die geburtenstarken Jahrgänge, dann werden es auf jeden Fall die Enkel tun.
Der frühere sächsische Ministerpräsident, Professor Kurt Biedenkopf von der CDU, spricht in diesem Zusammenhang von der Ausbeutung der Enkel. Er fordert in seinem neuen Buch eine Rückkehr zur Vernunft. Ich sprach mit ihm auf der Leipziger Buchmesse und fragte als Erstes, welche Verteilungskämpfe, welche Generationenkonflikte er prognostiziert.
Biedenkopf: Ich prognostiziere keine Generationenkämpfe oder Verteilungskämpfe, sondern ich versuche, die Generation der geburtenstarken Jahrgänge, dass sind die Eltern der Enkel, von denen hier die Rede ist, davon zu überzeugen, dass sie nicht die Chance haben, ihre ungelösten Probleme an die nächste Generation weiter zu geben, sondern sie selbst bewältigen müssen. Das ist eigentlich die wesentliche Botschaft. Denn die Enkel werden sich nicht ausbeuten lassen. Und das begründe ich auch.
Ostermann: Sie führen einen Maßstab ein, die Enkeltauglichkeit. Was verstehen Sie darunter?
Biedenkopf: Richtig. Darunter verstehe ich, dass Gesetze, die wir heute machen, darauf geprüft werden müssen, welche Belastungen sie für die Zukunft auf die nachkommende Generation legen. Das ist kein vollkommen neuer Gedanke. Das israelische Parlament hat zum Beispiel eine entsprechende Kommission eingerichtet. Ich meine, dass wir zwar bei den Gesetzen immer vorne auf das Titelblatt schreiben, was sie kosten und was sie bezwecken, aber wir befassen uns nie mit der Frage, welche Lasten wir kommenden Generationen auferlegen, ohne dass die die Möglichkeit haben, sich gegen diese Lasten zu wehren, weil sie entweder noch nicht geboren sind oder kein Stimmrecht haben.
Ostermann: Sie sprechen auch von einer Krise des Denkens. Worin besteht diese Krise?
Biedenkopf: Ja, indem wir Dinge falsch sehen. Ich befasse mich mit der Frage, ob Wachstum wirklich zu mehr Arbeitsplätzen führt und zeige, dass das eigentlich seit 1980 nicht mehr der Fall war. Ich befasse mich mit der Frage, ob die Gesellschaft ihre Dinge intelligent genug organisiert, ob es nicht besser wäre, jetzt nicht quantitatives Wachstum anzustreben, sondern eine Verbesserung der Intelligenz, mit der wir unsere Dinge organisieren und damit auch mehr Sparsamkeit, mehr Effizienz, mehr Wirtschaftlichkeit im Land. Alles das wird in Zukunft eine dominierende Rolle haben. Nicht nur aus Gründen der Globalisierung, sondern auch aus Gründen der europäischen Entwicklung.
Ostermann: Was bedeutet dieses qualitative Wachstum, von dem Sie sprechen? Was bedeutet das konkret?
Biedenkopf: Nehmen Sie an, es würde uns gelingen, die Reisezeiten, die Buchungszeiten, et cetera in Urlaubszeiten so zu entzerren, dass es keine großen Staus mehr auf der Straße gibt. Dann wäre die Organisation des Transports von und zu den Ferienplätzen sehr viel intelligenter als sie bisher war. Und wir würden eine Menge Energie und auch eine Menge Nervenkraft sparen. Das heißt, wir würden die Dinge vernünftiger machen, als wir sie heute machen, mit 30 bis 50 Kilometer stehendem Verkehr.
Ostermann: Im März 2000 setzte sich die Europäische Union das strategische Ziel für das kommende Jahrzehnt zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu werden und ging dabei von einem dauerhaften Wirtschaftswachstum aus. In der kommenden Woche treffen sich jetzt in Brüssel die EU-Staatschefs, um eine Bilanz zu ziehen. Wie fällt Ihr Urteil aus?
Biedenkopf: Ich habe diese Beschlüsse von 2000, die so genannte Lissabon-Strategie, immer für ziemlich unsinnig gehalten, weil sie die Ziele der Europäischen Union auf die rein ökonomischen Ziele reduziert und völlig aus dem Auge verliert, worauf es eigentlich wirklich ankommt. Wir haben ja diese Ziele auch alle nicht erreicht, und sie sind auch nicht erreichbar. Wir können in einer Welt, deren Bevölkerung sich in den nächsten 40 Jahren um weitere zwei Milliarden erhöht, doch nicht annehmen, dass wir immer noch mehr Ressourcen dieser Welt für uns in Anspruch nehmen können, als wir das schon tun, und das wäre die Voraussetzung für die Erfüllung dieser Ziele.
Ostermann: Sie plädieren für einen neuen Grundkonsens. Wie sollte der aussehen?
Biedenkopf: Ja, den muss man erarbeiten. Wissen Sie, der wird nicht vom Staat herabgereicht an die Bevölkerung, sondern wir müssen die Menschen erst mal aufklären, in welcher Lage sie tatsächlich leben, so wie das Herr Müntefering jetzt mit der Rente begonnen hat. Wir müssen ihnen die Grenzen dessen zeigen, was uns möglich ist. Wir müssen ihnen erklären, welche Verbindungen zwischen dem, was sie selbst tun und dem, was wir in unserem Land tun und in Europa, mit der Welt bestehen und welche Grenzen und Begrenzungen uns daraus erwachsen. Wenn wir das alles machen, dann setzten wir die Innovationsfähigkeit der Bevölkerung ein, um unsere Probleme zu lösen und verlassen uns nicht darauf, dass die Politiker alleine die Innovatoren sind, was sie gar nicht sein können.
Ostermann: Aber sie müssen doch den Rahmen setzen?
Biedenkopf: Ja, ich kann ja den Rahmen nur setzen, wenn ich die Ziele habe. Und wissen Sie, was ein politischer Diskurs ist, ist nicht die Diskussion innerhalb der Parteien, sondern die Diskussion innerhalb der Bevölkerung, unter den Eliten, den Medien, zu denen Sie auch gehören, und vielen anderen, die sich mit den Fragen befassen, die wir lösen müssen und mein Buch will versuchen, einige dieser Fragen so zu präzisieren, dass sie operational sind, das heißt, dass man darüber nachdenken kann, wie die Alternativen aussehen. Das wird ein großer politischer Diskurs und aus ihm erwächst ein Konsens.
Ostermann: Und was bedeutet das dann auch letztendlich für die Rolle der Familie etwa?
Biedenkopf: Ich habe die Auffassung vertreten, der ich schon lange anhänge, eigentlich seit 20 Jahren, dass im Prozess dessen, was wir jetzt angesprochen haben, die Familie aus ihrer rein passiven Rolle als Konsumgemeinschaft herauswächst und wieder ein wirklicher Kern der menschlichen Gesellschaft wird, was sie ja eigentlich immer war. Und dass sie nicht nur Wohn- und Konsumgemeinschaft ist, sondern Arbeitgeber werden wird, dass sich um die Familie Menschen gruppieren, die miteinander in kleinen Lebenskreisen zusammenleben und zusammenwirken, nicht nur um wirtschaftlicher miteinander zu leben, sondern auch um Mittelpunkte zu haben, von denen aus sie dann, wenn Sie so wollen, in die weitere Welt, also in die größeren Lebenskreise und in die Gesamtgemeinschaft treten. Aber mit der Rückendeckung der kleinen Gemeinschaft, die wir mit Sicherheit revitalisieren müssen. Wenn es nicht schon unsere Kinder tun, also die geburtenstarken Jahrgänge, dann werden es auf jeden Fall die Enkel tun.