"Ungekrönte Königin Italiens"

19.05.2008
In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war sie ein Medienstar in Italien. Alles, was in Politik und Kultur Rang und Namen hatte, verkehrte in ihrem Salon. Zugleich war sie Geliebte und Beraterin von Mussolini: die jüdische Kunstkritikerin Margherita Sarfatti. Marianne Brentzel und Uta Ruscher zeichnen in ihrem Buch die Geschichte dieser charismatischen Frau voller Widersprüche nach.
Sie war schön, begabt, geistreich und gebildet. Eine Frau von Welt. Sie sprach mehrere Sprachen, und sie machte eine ungewöhnliche Karriere. Von der Tochter einer reichen jüdischen Familie in Venedig verwandelte sich Margherita Sarfatti (1880 – 1961) an der Seite eines einflussreichen Rechtsanwalts in eine glühende Sozialistin. Später landesweit gefürchtet als erste Kunstkritikerin Italiens, versammelte sie die intellektuelle Elite in ihrem Mailänder Salon, bis sie nach der faschistischen Machtübernahme zur "ungekrönten Königin Italiens" aufstieg.
Spätestens seit Ende des Ersten Weltkrieges unterhielt Margherita Sarfatti eine Liebesbeziehung mit Mussolini, die in ihrer mehr als zehnjährigen Dauer für den notorischen Schürzenjäger unvergleichlich war. Dabei unterstützte sie ihn in jeder Hinsicht: sie finanzierte den Marsch auf Rom, trug wesentlich zu dem imperatorengleichen Image bei, das der Duce sich zulegte, formulierte das faschistische Kulturprogramm, verfasste eine höchst werbewirksame Biografie über ihn, und schließlich konvertierte sie zum Katholizismus. Dabei führte sie das Leben einer modernen Frau, selbstbewusst und nach eigenen Maßstäben.

Das trägt durchaus tragische Züge, wie sie in der Biografie von Marianne Brentzel und Uta Ruscher immer wieder anklingen. In ausgedehnten Episoden schildern sie die Liebes- und Arbeitsgemeinschaft des ungleichen Paares und wie dem Duce mit der sich stabilisierenden Diktatur die Eigenheiten seiner Geliebten allmählich lästig werden. Auch dass die Sarfatti sich in Eitelkeit und Machthunger wohl durchaus mit ihm messen konnte, wird erwähnt. Allerdings versuchen sich die Autorinnen ihrem Gegenstand bewusst vorurteilslos zu nähern, indem sie den schillernden Charakter dieser Frau der Widersprüche aus verschiedenen Blickwinkeln immer wieder neu einkreisen. So wird schon der Sturz vom Sozialismus in die faschistische Bewegung, den sie als Phänomen der Zeit befragen, in der für Italien spezifischen Weise ausgeleuchtet, wo die Kriegsbegeisterung des Futurismus etwa auch bei den Intellektuellen Fuß fassen konnte, wo selbst Demokraten für den Kriegseintritt plädierten und Sozialisten jenem rauschhaften Lebensgefühl verfielen, einem revolutionären Patriotismus aus Aggression und Gewalt, aus dem schließlich der italienische Faschismus entstand. Offenbar übte auch das Gewalttätige einen großen Reiz auf die Sarfatti aus. Unter der Hand läuft dabei die Frage mit, wie und aus welchem Grund eine Frau dieses intellektuellen Zuschnitts, die mit reichlich internationalen Kontakten gesegnet war, sehenden Auges auf ihr Unglück zusteuern konnte. Zeitzeugen und besonders Sarfattis Verwandte, die die Autorinnen aufgesucht haben, wissen freilich darauf, schon aus Befangenheit, keine Antwort.
Anfang der 30er Jahre stellt Mussolini die Kampfgefährtin kalt. Als die antijüdischen Gesetze um 1938 auch in Italien ihr verheerendes Werk verrichten, gibt es in der von ihr selbst zum Erfolg geführten, faschistischen Bewegung keinen Platz mehr für die Sarfatti. Dann muss auch sie emigrieren.
Auch wenn die gelegentlichen Ausflüge ins romanhafte Genre etwas peinlich berühren - Kindheitsszenen werden kolportageartig veranschaulicht, da wird ein Telefonat zwischen Mussolini und Sarfatti in wörtlicher Rede wiedergegeben, das durch keine Quelle überliefert ist – eröffnet das Buch eine interessante Begegnung mit einem spannenden Stück Zeitgeschichte. Gerade aus dem zeitlichen Abstand heraus fällt es ja nicht leicht, sich vorzustellen, was junge Menschen seinerzeit am Sozialismus faszinierte, um sie dem Faschismus in die Arme zu treiben.
Die Sarfatti-Biografie zeigt nicht zuletzt, dass der scheinbar abgeklärte Blick von heute der Bekanntschaft mit konkreten Lebensverläufen bedarf, um ein differenzierteres Geschichtsbild zu gewinnen.

Dafür sei auch, neben der populärer gehaltenen Neuerscheinung von Brentzel und Ruscher, die vor vier Jahren publizierte Biografie über Margherita Sarfatti von Karin Wieland empfohlen: "Die Geliebte des Duce. Das Leben der Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus". Dessen Schwerpunkt liegt auf sehr gescheiten kulturgeschichtlichen Analysen und historischen Reflexionen.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Marianne Brentzel und Uta Ruscher: Margherita Sarfatti. "Ich habe mich geirrt. Was soll’s." Jüdin. Mäzenin. Faschistin
Atrium-Verlag, Hamburg 2008
395 Seiten, 22,90 Euro