Pianist András Schiff

"Orbáns Wähler werden mit ihrer Mentalität bleiben"

10:56 Minuten
Der gemeinsame Kandidat der Opposition für das Amt des ungarischen Premierministers, Peter Marki-Zay, spricht vor Anhängern.
Wird Peter Marki-Zay die Wahlen in Ungarn gewinnen und den amtierenden Premierminister Viktor Orbán ablösen? András Schiff glaubt nicht daran. © picture alliance / AA | Arpad Kuruczvv
András Schiff im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 02.04.2022
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Geht die lange Regierungszeit von Viktor Orbán in Ungarn zu Ende? Der Pianist András Schiff sieht die Zukunft des Landes skeptisch: Egal wie die Wahlen ausgingen, es fehle eine demokratische Kultur und die Medien seien fest in Orbáns Hand.
Am Sonntag wird in Ungarn ein neues Parlament gewählt. Beobachter gehen davon, dass der seit 2010 durchgängig regierende rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orbán abgewählt werden könnte. Die Opposition tritt geeint auf und stellt mit Peter Marki-Zay einen gemeinsamen Kandidaten. Doch der ungarische Pianist Sir András Schiff dämpft die Erwartungen:
„Stellen wir uns vor, dass vielleicht Orbán und Fidesz abgewählt werden, aber die Menschen, die so viele Jahre lang dafür gestimmt haben, werden mit ihrer Mentalität bleiben. Das ist ein bisschen so wie mit Trump und seinen Wählern in den USA. Er ist jetzt weg, aber diese Menschen sind da, und das merkt man.“

"Das ist eine verlorene Zeit"

Als Solist und Kammermusiker ist Schiff auf der ganzen Welt unterwegs. In Ungarn, seiner Heimat, gibt er seit 2011 keine Konzerte mehr. Damals wurde er öffentlich antisemitisch beleidigt. Nun lebt er in Italien und Großbritannien.
Von diesen Wahlen erwartet András Schiff jedenfalls nichts Gutes, wie er sagt: „Ich finde, das ist eine verlorene Zeit.“ Die Lage im Land sei sogar ein wenig schlimmer als zuvor. Die Chancen für die Opposition, die Wahlen zu gewinnen, schätzt Schiff zudem als gering ein, auch weil Orban die Medien des Landes kontrolliert.
Weitere Gründe seien das Fehlen einer demokratischen Kultur sowie einer Mittelklasse in Ungarn und die Auswirkungen des Kommunismus auf die Gesellschaft: „Da haben die Menschen gedacht: Wir müssen eigentlich gar nicht denken, weil die Regierung und die Politiker das für uns tut.“

"Groß-Ungarn" ist absolut unrealistisch

Zu Orbáns Träumen von einem Groß-Ungarn mit territorialen Ansprüchen in Rumänien, der Slowakei und Serbien erklärt Schiff, diese seien absolut unrealistisch, auch weil Ungarn sowohl NATO- als auch EU-Mitglied und deswegen militärisch nicht in der Lage sei, solche Ansprüche auch tatsächlich einzufordern.
„Ich sehe die Probleme der Minderheiten in Rumänien oder in der Slowakei oder in Serbien. Aber mein Gott, Ungarn ist nicht das einzige Land, das territoriale Verluste erlebt hat. Österreich hat mehr verloren als Ungarn. Aber ich sehe nicht, dass sehr viele Menschen in Österreich jetzt vom Habsburgerreich reden. Vielleicht träumen sie davon, aber das ist kein Gesprächsthema.“
Insgesamt sei die EU viel zu lange aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus viel zu tolerant gegenüber Ungarn gewesen, vor allem Deutschland, so Schiff:
„Ich sehe die EU wirklich wie eine Einheit, aber nicht nur wirtschaftlich, sondern politisch und vor allem kulturell. Es soll ein Wertesystem geben. Und wenn ein Mitglied diese Spielregeln nicht einhält, dann sollte das Konsequenzen haben. Aber diese Konsequenzen sind nie gekommen.“

Raus aus dem Elfenbeinturm

Als Künstler dürfe man nicht in einem Elfenbeinturm leben und sagen, dass die Rolle der Kunst unabhängig von der Politik sei, so Schiff: „Sie ist nicht unabhängig. Alles hängt zusammen. Wir als Musiker und Künstler, wir können sehr, sehr wenig tun, aber dieses Wenig ist auch wichtig. Alles ist besser, als wegzuschauen und still zu bleiben.“
Deswegen sei es richtig und geboten, sich öffentlich vom Krieg gegen die Ukraine zu distanzieren, dennoch seien die Reaktionen im Westen sehr undifferenziert. Künstler wie Valery Gergiev und Denis Matsuev, die Putin sehr nahe stünden und von ihm abhängig seien, dürfe man nicht in einen Topf werfen mit „wirklich ganz anständigen Künstlern und Musikern, die damit nichts zu tun haben. Manche leben im Ausland, und sie haben die Gelegenheit, sich kritisch zu äußern. Aber andere leben in Russland oder haben dort Familie, und ihre Lage ist sehr, sehr gefährlich.“

Keine Zeit für naiven Optimismus

Trotz allem sei die russische Kultur ein sehr wichtiger Teil unseres menschlichen Erbes, so Schiff. Nicht mehr Puschkin oder Dostojewski zu lesen oder Tschaikowsky oder Mussorgsky zu hören, wäre ein Verbrechen: "Wir müssen viel besser und edler sein als die Gegner.“

Ich bin ein geborener Optimist. Man kann träumen, aber es gibt eine Realität, diesen schrecklichen Krieg zum Beispiel, den hat keiner von uns erwartet. Aber der ist da. Und wie lange wird der da sein? Was werden die globalen Konsequenzen sein? Da kann man nicht so naiv sein, jetzt den Optimisten zu spielen.

András Schiff, ungarischer Pianist

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