Unesco-Resolution zu Ost-Jerusalem

"Unrühmliches politisches Spiel"

Blick auf den Jerusalemer Tempelberg mit Felsendom und Klagemauer
Die Stätten auf dem Jerusalemer Tempelberg sind Juden wie Muslimen heilig. © picture alliance / dpa/ Marius Becker
Dieter Vieweger im Gespräch mit Andrea Gerg · 18.10.2016
Kritik an der Unesco: In einer Resolution wirft sie Israel vor, die heiligen Stätten der Muslime in Ost-Jerusalem zu missachten. Damit mache sie sich zum Teil eines unrühmlichen politischen Spiels im Nahostkonflikt, meint der Religionswissenschaftler Dieter Vieweger.
Andrea Gerg: Eine umstrittene Resolution zu Ostjerusalem und dem Tempelberg wurde heute vom Exekutivrat der UNESCO in Paris angenommen. Israel hat deshalb bereits die Zusammenarbeit mit der Organisation ausgesetzt und wirft ihr vor, den islamistischen Terrorismus zu unterstützen. In dieser Resolution wird Israel vorgeworfen, die heiligen Stätten der Muslime nicht zu respektieren. Da die Resolution fast nur arabische Namen dieser Stätten verwendet, fühlt sich Israel davon brüskiert.
Ich bin jetzt mit Dieter Vieweger verbunden, er ist unter anderem Professor für Altes Testament und biblische Archäologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel und leitender Direktor der beiden Institute des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Amman und Jerusalem. Dort bin ich jetzt mit ihm verbunden. Guten Abend, Herr Vieweger!
Dieter Vieweger: Einen schönen guten Abend nach Berlin!
Andrea Gerg: Was glauben Sie, warum diese Resolution überhaupt eingebracht wurde?
Vieweger: Ich glaube, dass das ein Teil des ganz großen politischen Spieles des Nahostkonfliktes ist. Da der Nahostkonflikt in Jerusalem selbst nicht gelöst werden kann oder nicht gelöst wird derzeit, benutzt man die große politische Bühne. Und in dem Fall ist es eben einfach so, dass jetzt die Nadelstiche die arabische Seite gesetzt hat.
Ich war ja heute in Jordanien – da feiert man diese Resolution sehr, und Israel ist sehr aufgebracht auf seiner Seite. Also, es ist ein Teil dieses sehr unrühmlichen politischen Spiels, das wir hier haben, und die UNESCO ist hier wirklich Teil des Ganzen geworden.
Andrea Gerg: Das heißt, das Ganze klingt ja auch ein bisschen so, als wäre es tatsächlich sehr einseitig formuliert. Hat Sie das überrascht, dass die UNESCO so etwas macht?
Vieweger: Ja, es hat mich überrascht. Vor fünf Tagen, als der Text benannt wurde, hatte ich gedacht, dass heute noch einiges geändert würde. Denn es wird immer nur vom Haram Esh-Sharif geredet, so heißt der Tempelberg heute, aber es war früher der Tempelberg. Man kann ja wenigstens einen Doppelnamen da verwenden. Man verwendet al-Kutz, und dort, wo man wirklich etwas Jüdisches berichtet wie Klagemauer oder Westmauer, dann setzt man das in Anführungsstriche. Das ist schon ein wenig einseitig.

"Die Dinge sind so, wie sie im Orient immer sind"

Andrea Gerg: Wie würden Sie als Archäologe denn die Situation am Tempelberg beschreiben? Was ist da überhaupt so problematisch?
Vieweger: Eigentlich ist hier gar nichts problematisch. Die Dinge sind so, wie sie im Orient immer sind. Der Besitzer einer Stelle kann seinen Tempel an einem bestimmten heiligen Platz errichten. Das haben die Israeliten so um 1000 mit David und dann später mit Salomo getan, und seitdem gab es einen Tempel, und der ist mehrfach zerstört worden, einmal von Nebukadnezar, und später dann von den Römern. Und immer der Sieger setzt auf den heiligen Platz seine Stelle.
So ist das eben dann auch 638 folgende gewesen. Dann haben die Muslime, die diese Stadt ab 638 nach Christus besessen haben, dann haben die Muslime dann eben dort ihr Heiligtum hin gebaut, das Haram Esh-Sharif, das erhabene Heiligtum mit dem berühmten Felsendom, und eben auch mit der wunderbaren Al-Aqsa-Moschee.
Andrea Gerg: Aber Sie haben ja vorhin schon gesagt, dass das alles natürlich hochpolitisch aufgeladen ist. Lässt sich denn da quasi überhaupt eine Situation herstellen, bei der quasi ein friedliches Koexistieren an so einem aufgeladenen Ort überhaupt möglich ist?
Vieweger: Eigentlich müsste das ganz großartig möglich sein, denn die drei großen monotheistischen Weltreligionen gehören ja zusammen. Wir sind ja alle Eigentum – nein, andersrum. Eigentlich muss das ja wirklich möglich sein, denn die drei monotheistischen Weltreligionen gehören alle zusammen. Wir sind alle Kinder des Judentums. Da kommen wir her, da kommt unser monotheistischer Glaube her, und letzten Endes glauben wir an den gleichen Gott. Das heißt auch, wir sind alle aufgerufen, Demut zu haben, den anderen gelten zu lassen und so weiter.
Es klappt nur in Jerusalem nicht. Und das hängt damit zusammen, dass die Religion hier auch missbraucht wird, um politische Dinge durchzusetzen, und das geschieht hier nun eben. Wenn Sie in den letzten Jahren, also 2014, '15, '16 über den Tempelberg gehen, dann sehen Sie ja, wie aufgeheizt die Lage ist, und zwar in dem Fall, weil seit 2014 rechtsgerichtete jüdische Bewohner, und das sind nicht mehr als 2,5 Prozent der Landesbevölkerung, einfach sagen, ja, wir müssen da auf dem Tempelberg beten.
Und nun wird ja jeder sagen, beten kann man überall, das ist wunderbar, lasst sie doch dort beten. Aber wenn man dann sieht, wie sie es tun – also letztes Sukkot-Fest –, dann wird eben – eine Sukka wird aufgebaut, dann werden öffentliche Gebete da, also Gottesdienste durchgeführt. Und genau das ist ja eigentlich nicht erlaubt, das ist gegen die Spielregel.

"Kampf um den Tempelberg so unnötig wie ein Kropf"

Andrea Gerg: Und da wird ja Religion auch instrumentalisiert, nicht?
Vieweger: Natürlich. Also, Sie müssen mal sehen, als man hier wirklich Frieden schaffen konnte, und das war 1994, 1995, Rabin und Arafat, damals ist in Paragraf 12 des Friedensvertrages mit Jordanien geschrieben worden, dass der jordanische König auch der Herr der islamischen Heiligen Stätten ist. Und man hat sogar 1967, als die siegreiche israelische Armee über die Ost-Stadt dann geherrscht hat, selbstverständlich den Muslimen zugesprochen, dass eben ein ??? einer muslimischen Stiftung dann eben dort für Ordnung sorgt und für die Regeln sorgen kann.
Und insofern ist dieser Kampf um den Tempelberg so unnötig wie ein Kropf. Und er ist eben seit 2014 in dieser Stadt angekommen, und das hat die Lage so vergiftet, dass nun die arabische Seite ihrerseits ihre starken Karten zieht und die UNO instrumentalisiert. Und wir haben nun wiederum eine aufgeladene Situation, und wir werden sehen, was der nächste Schritt ist. Also kein Schritt zum Frieden. Da ist die UNESCO nicht wirklich gut beraten gewesen, das zu tun.
Andrea Gerg: Das heißt, Sie denken auch, dass das noch Konsequenzen haben wird, dieser Vorfall jetzt?
Vieweger: Wenn Israel die Zusammenarbeit mit der UNESCO aussetzt, dann setzt sie die Zusammenarbeit aus mit vielen heiligen und alten Stätten hier in Israel. Das heißt also schon einmal, in diesen ganzen Dingen und der Sorge für das Altertum, das auch immer hier mit Religion verbunden ist, und mit einem Ausgleich zueinander ist schon mal ein Bärendienst getan worden. Und wer den Frieden hier schaffen will oder wer hier wirklich ernsthaft einmal den gordischen Knoten durchschlagen will, der darf nicht im Sinne von einem Skatspiel dann immer seinen Trumpf ausspielen, sondern er muss auch einfach mal einhalten, zwei Schritte zurückgehen und sagen, das muss jetzt mal einfach vernünftig geklärt werden. Aber in dieser Situation sind wir einfach in Jerusalem derzeit nicht.
Andrea Gerg: Der Theologe und Archäologe Dieter Vieweger. Vielen Dank für dieses Gespräch!
Vieweger: Ich danke Ihnen auch. Schöne Grüße nach Berlin!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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