Unerwünschter Autor im Nationalsozialismus

Von Christian Linder |
Er war einer der großen Anreger der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts und hat die meisten Autoren, von Franz Kafka bis Walter Hasenclever, persönlich gekannt: Kurt Pinthus, Lektor und als Kritiker unter anderem der "Frankfurter Zeitung" selber eine der herausragenden Schreibpersönlichkeiten seiner Zeit.
Auf seine alten Tage war er im beschaulichen Marbach am Neckar angekommen, ein eifriger Nutzer des Deutschen Literaturarchivs:


"Deswegen bin ich hier - weil man hier gut arbeiten kann. Es war der große Wilhelm von Humboldt, der es gesagt hat: 'Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache.'"

Kurt Pinthus beschwor diese Heimat Ende der 1960er-Jahre, als er - geboren am 29. April 1886 in Erfurt - nach 30-jährigem Exil in den USA wieder in Deutschland angekommen war - wie und je jemand, der ständig in Aktion war. Ein Literat der alten Schule, der nach seinem Studium in Freiburg, Berlin, Genf und Leipzig zu einem der großen Anreger der deutschen Literatur wurde, Berater der Verleger Ernst Rowohlt und Kurt Wolff, Literatur- und Theaterkritiker mit Aufmerksamkeit für alle neuen Ausdrucksformen, zum Beispiel für den Film, den er als einer der wenigen damals ernst nahm - sein "Kinobuch" erschien bereits 1913. Ein Nonkonformist, der gegen die stickige bürgerliche Moral zu Felde zog. Ausdruck dieses ersehnten Aufbruchs in ein anderes Leben war der Expressionismus - und Kurt Pinthus war sein Verkünder.

"Es war eben wirklich eine neue Generation da von vielen, ich kann wohl sagen Hunderten von Dichtern in ganz Europa, die geeinigt waren im Bewusstsein einer gewissen Gemeinsamkeit und des Wirkenwollens in die Zukunft, für eine bessere Zukunft. Uns einte der Wille zu stärkerem Ausdruck, bis zur Sprengung der bisherigen Sprachform, um zum Geistigen vorzudringen.""Menschheitsdämmerung" hieß eine von ihm herausgegebene und 1919 erschienene Anthologie mit Gedichten von Franz Werfel bis Johannes R. Becher. Nicht zuletzt wegen Pinthus' Einleitung wurde das Buch schnell berühmt. Man solle es nicht "vertikal, nicht nacheinander, sondern horizontal" lesen, schrieb er:

Man schneide nicht das Aufeinanderfolgende auseinander, sondern man höre zusammen, zugleich, simultan. Man höre den Zusammenklang dichtender Stimmen: man höre symphonisch.

In den 1920er-Jahren zog es Kurt Pinthus nach Berlin. Er arbeitete als Dramaturg am Theater Max Reinhardts, und tummelte sich im Berliner Rundfunk - als erster hielt er 1925/26 literarische Rundfunkvorträge und wurde Mitglied der literarischen Kommission bei der "Funkstunde Berlin". Diese "goldenen" Jahre endeten, als 1933 die Nationalsozialisten den Juden Kurt Pinthus als unerwünschten Autor auf ihre "schwarzen" Listen setzten. Pinthus blieb zwar noch einige Jahre in Deutschland in der Hoffnung, sich durchschlagen zu können, emigrierte dann jedoch 1937 in die USA und wurde später Professor für Theatergeschichte an der Columbia-Universität in New York. Die Erinnerung an Berlin blieb aber unverlierbar:

""Das war das zweite große Erlebnis meines Lebens: Diese herrliche Zeit in Berlin, als wirklich Berlin das geistige und künstlerische Zentrum Europas war. Nicht nur in der Literatur, sondern vor allem auch im Gebiet des Theaters, aber auch in der Musik, der Oper, der Bildenden Künste und so weiter. Es gab große Revuen. Solche großartigen Revuen, die habe ich in New York in all diesen fast dreißig Jahren nicht gesehen."

Ab Mitte der 1950er-Jahre besuchte er immer mal wieder die Bundesrepublik. Natürlich wusste jeder im Betrieb, wer Kurt Pinthus war, und jeder wusste auch um sein enormes Gedächtnis. Wie Kafka - den er natürlich auch kennengelernt hatte - denn nun im persönlichem Umgang erschienen sei? "Blass, dürr, ganz still", kam die Antwort. Für seine Freunde hat er sich bis zuletzt eingesetzt, gab etwa das Werk Walter Hasenclevers heraus. Er stellte auch - die Ruhe fand er in Marbach, wohin er 1967 gezogen war und wo er auch, 1975, gestorben ist - seine eigenen Arbeiten zusammen. In einem Buch wie "Der Zeitgenosse" ist nachzulesen, wovon Kurt Pinthus auf sehr realistische Weise geträumt hat. Schon 1922, in der zweiten Einleitung zu einer Neuauflage seiner Anthologie "Menschheitsdämmerung", hatte er unter dem Stichwort "Nachklang" geschrieben, dieses Buch sei ja nun ein "abschließendes Werk" geworden,

Von der kleinen lyrischen Schar dieses Buches blieb nichts als der gemeinsame Ruf von Untergang und Zukunftsglück.