Unerschütterlich rational
Ulrich Woelk ist ein stiller Arbeiter, der immer eine Position am Rande des Literaturbetriebs eingenommen hat.
In den letzten fünfzehn Jahren hat er sieben Romane veröffentlicht, ein Theaterstück und eine Erzählung, und obwohl er sich zuletzt mit zwei "großen Themen" beschäftigt hat – "Liebespaare" (2001) war ein breit angelegtes Generationenporträt der so genannten 78er, "Die letzte Vorstellung" (2002) eine Auseinandersetzung mit Terrorismus – ist er doch nie zum Gegenstand aufgeregter Feuilletondebatten geworden.
Vielleicht ist es darum nur konsequent, wenn er für seinen neuen Roman "Die Einsamkeit des Astronomen" wieder ein eher privates Sujet gewählt hat – und mit Frank Zweig die Hauptfigur seines Debüts "Freigang" aus dem Jahre 1990 wieder auftauchen lässt. Frank Zweig, der sich damals in eine ödipale Wahnvorstellung geflüchtet hatte, ist jetzt vierzig Jahre alt. Zu Beginn des neuen Romans reist er nach Köln, um den elterlichen Haushalt aufzulösen: Der Vater, den er einst in seiner Phantasie ermorden wollte, ist nun wirklich gestorben.
Doch das ist nicht der einzige Grund für die Reise. Der Physiker Frank Zweig hat sich für mehrere Wochen von seiner Arbeit beurlauben lassen, weil ihm das Forschungsressort der Europäischen Union vorwirft, "für die Zerstörung von astronomischen Instrumenten im Wert von mehr als drei Millionen Euro verantwortlich zu sein". Jetzt will er im Haus der Eltern eine Stellungnahme zu den katastrophalen Vorgängen in seiner Sternwarte verfassen. Dieser Bericht weitet sich schließlich immer mehr aus und wird zu einer Art Lebensbeichte.
Für den Erzähler verbindet sich damit kein Gefühl der Erleichterung, sondern die bedrückende Verpflichtung, die scheinbar willkürlichen Erinnerungssplitter und "endzeitlichen Augenblicke" seines Lebens in eine Kontinuität zu überführen. Doch eine geschlossene Biographie ist nur eine Illusion, meint der Physiker zu wissen, die allein der Tatsache geschuldet ist, "dass wir nicht in der Lage sind, den Faden der Zeit zu verlassen".
Ziellos streift Frank Zweig daher durch das Haus der Eltern und sammelt die versprengten Bruchstücke seiner eigenen Vergangenheit. Urlaubsfotos, Ansichtskarten und andere Fundstücke stehen am Anfang der zahlreichen Rückblenden, aus denen sich die "Die Einsamkeit des Astronomen" zusammensetzt. Nach und nach wird auch vom Sterben des Vaters erzählt, und man erfährt die traurige Geschichte eines ungeborenen Kindes, durch das der unwillige Sohn Frank Zweig beinahe selbst zum Vater geworden wäre.
Der Erzähler, der auch seine intimsten Empfindungen im Tonfall einer wissenschaftlichen Versuchsbeschreibung formuliert, bekennt, dass er vor allem deshalb Physiker geworden sei, um sich "die Welt auf Distanz zu halten". Es ist also kein Zufall, dass der 1960 geborene Ulrich Woelk, der promovierter Physiker ist, an verschiedenen Stellen auf "Homo faber" anspielt.
Frank Zweig ist genauso "unerschütterlich rational" wie der Techniker in Max Frischs Roman. Auch die Suche des Astronomen nach einer "zweiten Erde" ist nichts anderes als eine Flucht vor dem Dasein auf der ersten Erde: Frank Zweig erträgt es einfach nicht, dass das Leben nicht den gleichen Gesetzen folgt wie der Himmel.
Geradezu zärtlich widmet sich Ulrich Woelk dieser Hilflosigkeit, mit der Frank Zweig nach Erklärungen für etwas sucht, das man früher "Schicksal" und heute vielleicht "Kontingenz" nennt – und selbst wenn die Gesetze der Physik das vielleicht ausschließen, so ist es ihm gelungen, aus der "Die Einsamkeit des Astronomen" trotz seiner Zeitsprünge und der Zersplitterung in zahlreiche Erinnerungsbilder ein kunstvolles und in sich geschlossenes Universum zu machen.
Ulrich Woelk: Die Einsamkeit des Astronomen
Hoffmann und Campe, Hamburg 2005.
284 Seiten, 18,95 Euro
Vielleicht ist es darum nur konsequent, wenn er für seinen neuen Roman "Die Einsamkeit des Astronomen" wieder ein eher privates Sujet gewählt hat – und mit Frank Zweig die Hauptfigur seines Debüts "Freigang" aus dem Jahre 1990 wieder auftauchen lässt. Frank Zweig, der sich damals in eine ödipale Wahnvorstellung geflüchtet hatte, ist jetzt vierzig Jahre alt. Zu Beginn des neuen Romans reist er nach Köln, um den elterlichen Haushalt aufzulösen: Der Vater, den er einst in seiner Phantasie ermorden wollte, ist nun wirklich gestorben.
Doch das ist nicht der einzige Grund für die Reise. Der Physiker Frank Zweig hat sich für mehrere Wochen von seiner Arbeit beurlauben lassen, weil ihm das Forschungsressort der Europäischen Union vorwirft, "für die Zerstörung von astronomischen Instrumenten im Wert von mehr als drei Millionen Euro verantwortlich zu sein". Jetzt will er im Haus der Eltern eine Stellungnahme zu den katastrophalen Vorgängen in seiner Sternwarte verfassen. Dieser Bericht weitet sich schließlich immer mehr aus und wird zu einer Art Lebensbeichte.
Für den Erzähler verbindet sich damit kein Gefühl der Erleichterung, sondern die bedrückende Verpflichtung, die scheinbar willkürlichen Erinnerungssplitter und "endzeitlichen Augenblicke" seines Lebens in eine Kontinuität zu überführen. Doch eine geschlossene Biographie ist nur eine Illusion, meint der Physiker zu wissen, die allein der Tatsache geschuldet ist, "dass wir nicht in der Lage sind, den Faden der Zeit zu verlassen".
Ziellos streift Frank Zweig daher durch das Haus der Eltern und sammelt die versprengten Bruchstücke seiner eigenen Vergangenheit. Urlaubsfotos, Ansichtskarten und andere Fundstücke stehen am Anfang der zahlreichen Rückblenden, aus denen sich die "Die Einsamkeit des Astronomen" zusammensetzt. Nach und nach wird auch vom Sterben des Vaters erzählt, und man erfährt die traurige Geschichte eines ungeborenen Kindes, durch das der unwillige Sohn Frank Zweig beinahe selbst zum Vater geworden wäre.
Der Erzähler, der auch seine intimsten Empfindungen im Tonfall einer wissenschaftlichen Versuchsbeschreibung formuliert, bekennt, dass er vor allem deshalb Physiker geworden sei, um sich "die Welt auf Distanz zu halten". Es ist also kein Zufall, dass der 1960 geborene Ulrich Woelk, der promovierter Physiker ist, an verschiedenen Stellen auf "Homo faber" anspielt.
Frank Zweig ist genauso "unerschütterlich rational" wie der Techniker in Max Frischs Roman. Auch die Suche des Astronomen nach einer "zweiten Erde" ist nichts anderes als eine Flucht vor dem Dasein auf der ersten Erde: Frank Zweig erträgt es einfach nicht, dass das Leben nicht den gleichen Gesetzen folgt wie der Himmel.
Geradezu zärtlich widmet sich Ulrich Woelk dieser Hilflosigkeit, mit der Frank Zweig nach Erklärungen für etwas sucht, das man früher "Schicksal" und heute vielleicht "Kontingenz" nennt – und selbst wenn die Gesetze der Physik das vielleicht ausschließen, so ist es ihm gelungen, aus der "Die Einsamkeit des Astronomen" trotz seiner Zeitsprünge und der Zersplitterung in zahlreiche Erinnerungsbilder ein kunstvolles und in sich geschlossenes Universum zu machen.
Ulrich Woelk: Die Einsamkeit des Astronomen
Hoffmann und Campe, Hamburg 2005.
284 Seiten, 18,95 Euro