Unerschöpfliche Reserven
Was hat Hans-Joachim Zillmer in seinen Büchern nicht schon alles für falsch erklärt: die Theorie der Plattentektonik, die Evolution, die Eiszeitalter. Nun also der Energie-Irrtum. Zu den Thesen, die auf den Leser einprasseln, gehören unter anderem: Erdöl und Erdgas werden nicht zur Neige gehen.
Auf den Klimawandel hat die Sonne einen viel größeren Einfluss als der Mensch. Die Erde expandiert. Der Erdkern besteht nicht aus Eisen. Die Sonne ist im Innern kalt. Die Schwerkraft wird von Astronomen falsch interpretiert. Alles pseudowissenschaftlicher Quatsch? So einfach ist es leider nicht.
Die Kernthese ist nicht neu. Nach konventioneller Denkart sollen Erdgas und Erdöl aus biologischen Resten einst lebender Organismen entstehen. Zillmer macht sich hingegen die im letzten Jahrhundert verschiedentlich vertretene Ansicht zu eigen, die angeblich "fossilen" Brennstoffe entstünden abiogen, also ohne die Hilfe von Fossilien, unter den extremen Bedingungen im Erdmantel. Dort würde ständig aus Methan neues Öl generiert, weshalb sich Lagerstätten wieder auffüllten und die Vorräte sich nach menschlichen Maßstäben nicht erschöpfen werden.
Methan dampft aus Ritzen, Rissen und unterseeischen Schloten weltweit aus dem Boden und könnte weitaus stärker zum Klimawandel beitragen als bisher angenommen. Riesige Felder aus Methaneis lagern am Meeresboden, und die Erde gast aus Schlammvulkanen weitere Mengen aus. Für die Entstehung von Methan werden normalerweise Mikroben verantwortlich gemacht. Aber da es auch auf anderen Planeten nachgewiesen wurde, geht man zusätzlich von einer abiogenen Entstehung aus. Der dazu nötige Kohlenstoff und Wasserstoff findet sich nach Zillmer im Innern der Himmelskörper. Der ganze Erdkern könnte demnach aus Wasserstoff bestehen statt aus Eisen. Genauer gesagt aus metallischem Wasserstoff, ein Zustand, der bis jetzt vor allem theoretisch vorhergesagt wurde und der das Magnetfeld der Erde bilden soll. Heftige Methandurchbrüche und -ausgasungen sind nach Zillmer auch die Ursache für Erdbeben, Tsunamis oder das Verschwinden von Schiffen im Bermuda Dreieck.
Um seine oft plausibel klingenden Spekulationen zu stützen, holt er weit aus und präsentiert Gedanken zur Evolution, zur Erdgeschichte, zur Planetenentstehung, zum Aufbau der Sonne und dem Wesen der Schwerkraft, kurz: ein ganz neues Weltbild. Keine dieser Ideen wird bis dato vom etablierten Wissenschaftsbetrieb akzeptiert. An einigen Streitfragen wird aktuell geforscht, zum Beispiel an der vermuteten Zusammensetzung des Erdkerns oder am Einfluss des aus der Erde aufsteigenden Methans auf das Klima. Zillmer hat aber kein Interesse daran, sich mit aktuellen Forschungsfragen auseinanderzusetzen oder darüber nachzudenken, wie seine Vermutungen bestätigt werden könnten. Lieber häuft er Spekulationen auf Spekulationen, baut darauf neue Vermutungen auf, aus denen er wiederum weitere plausibel klingende, aber (noch?) unbewiesene Schlüsse zieht.
Natürlich: Schüsse ins Blaue sind erlaubt – und abenteuerlich zu lesen allemal. Aber wer dermaßen viel in Zweifel zieht, stempelt den Wissenschaftsbetrieb entweder zu einem Haufen Verschwörer oder Trottel, und darf sich nicht wundern, selbst der Pseudowissenschaftlichkeit bezichtigt zu werden.
"Der Energie-Irrtum" ist eine Zumutung für Rezensenten wie für Wissenschaftler. Es arbeitet mit derart vielen Hypothesen, dass die einen nicht mehr durchblicken und die anderen sich die Haare raufen. Deshalb wird der Wissenschaftsbetrieb dieses Buch des Bauingenieurs und "unabhängigen Privatgelehrten" Zillmer ebenso ignorieren wie seine anderen. Für den naturwissenschaftlich ungeschulten Leser ist die Lektüre ohne Zweifel anregend. Aber aufgrund seines hochspekulativen Inhalts sollte es mit gebührend kritischer Distanz gelesen werden. Zu Zillmers Gunsten sei immerhin angeführt: jüngere Laborversuche scheinen die Kernthese des Buches – die Möglichkeit der abiogenen Entstehung von Erdöl im Erdmantel – zu bestätigen. Hier muss die träge Schulbuchweisheit wohl tatsächlich überdacht werden. Aber Zillmers komplettes Weltbild deswegen als visionär oder wegweisend zu feiern, wäre leichtsinnig und verfehlt.
Besprochen von Gerrit Stratmann
Hans-Joachim Zillmer: Der Energie-Irrtum. Warum Erdgas und Erdöl unerschöpflich sind
Herbig Verlag, München 2009
332 Seiten, 19,95 Euro
Die Kernthese ist nicht neu. Nach konventioneller Denkart sollen Erdgas und Erdöl aus biologischen Resten einst lebender Organismen entstehen. Zillmer macht sich hingegen die im letzten Jahrhundert verschiedentlich vertretene Ansicht zu eigen, die angeblich "fossilen" Brennstoffe entstünden abiogen, also ohne die Hilfe von Fossilien, unter den extremen Bedingungen im Erdmantel. Dort würde ständig aus Methan neues Öl generiert, weshalb sich Lagerstätten wieder auffüllten und die Vorräte sich nach menschlichen Maßstäben nicht erschöpfen werden.
Methan dampft aus Ritzen, Rissen und unterseeischen Schloten weltweit aus dem Boden und könnte weitaus stärker zum Klimawandel beitragen als bisher angenommen. Riesige Felder aus Methaneis lagern am Meeresboden, und die Erde gast aus Schlammvulkanen weitere Mengen aus. Für die Entstehung von Methan werden normalerweise Mikroben verantwortlich gemacht. Aber da es auch auf anderen Planeten nachgewiesen wurde, geht man zusätzlich von einer abiogenen Entstehung aus. Der dazu nötige Kohlenstoff und Wasserstoff findet sich nach Zillmer im Innern der Himmelskörper. Der ganze Erdkern könnte demnach aus Wasserstoff bestehen statt aus Eisen. Genauer gesagt aus metallischem Wasserstoff, ein Zustand, der bis jetzt vor allem theoretisch vorhergesagt wurde und der das Magnetfeld der Erde bilden soll. Heftige Methandurchbrüche und -ausgasungen sind nach Zillmer auch die Ursache für Erdbeben, Tsunamis oder das Verschwinden von Schiffen im Bermuda Dreieck.
Um seine oft plausibel klingenden Spekulationen zu stützen, holt er weit aus und präsentiert Gedanken zur Evolution, zur Erdgeschichte, zur Planetenentstehung, zum Aufbau der Sonne und dem Wesen der Schwerkraft, kurz: ein ganz neues Weltbild. Keine dieser Ideen wird bis dato vom etablierten Wissenschaftsbetrieb akzeptiert. An einigen Streitfragen wird aktuell geforscht, zum Beispiel an der vermuteten Zusammensetzung des Erdkerns oder am Einfluss des aus der Erde aufsteigenden Methans auf das Klima. Zillmer hat aber kein Interesse daran, sich mit aktuellen Forschungsfragen auseinanderzusetzen oder darüber nachzudenken, wie seine Vermutungen bestätigt werden könnten. Lieber häuft er Spekulationen auf Spekulationen, baut darauf neue Vermutungen auf, aus denen er wiederum weitere plausibel klingende, aber (noch?) unbewiesene Schlüsse zieht.
Natürlich: Schüsse ins Blaue sind erlaubt – und abenteuerlich zu lesen allemal. Aber wer dermaßen viel in Zweifel zieht, stempelt den Wissenschaftsbetrieb entweder zu einem Haufen Verschwörer oder Trottel, und darf sich nicht wundern, selbst der Pseudowissenschaftlichkeit bezichtigt zu werden.
"Der Energie-Irrtum" ist eine Zumutung für Rezensenten wie für Wissenschaftler. Es arbeitet mit derart vielen Hypothesen, dass die einen nicht mehr durchblicken und die anderen sich die Haare raufen. Deshalb wird der Wissenschaftsbetrieb dieses Buch des Bauingenieurs und "unabhängigen Privatgelehrten" Zillmer ebenso ignorieren wie seine anderen. Für den naturwissenschaftlich ungeschulten Leser ist die Lektüre ohne Zweifel anregend. Aber aufgrund seines hochspekulativen Inhalts sollte es mit gebührend kritischer Distanz gelesen werden. Zu Zillmers Gunsten sei immerhin angeführt: jüngere Laborversuche scheinen die Kernthese des Buches – die Möglichkeit der abiogenen Entstehung von Erdöl im Erdmantel – zu bestätigen. Hier muss die träge Schulbuchweisheit wohl tatsächlich überdacht werden. Aber Zillmers komplettes Weltbild deswegen als visionär oder wegweisend zu feiern, wäre leichtsinnig und verfehlt.
Besprochen von Gerrit Stratmann
Hans-Joachim Zillmer: Der Energie-Irrtum. Warum Erdgas und Erdöl unerschöpflich sind
Herbig Verlag, München 2009
332 Seiten, 19,95 Euro