Uneitler Held
Nach dem 20. Juli 1944 trug der Major der Kavallerie Philipp von Boeselager seine Uniform vorschriftswidrig. Seine Brusttasche war nicht mehr verschlossen, wie es die Anzugordnung vorsah. In der Brusttasche steckte griffbereit eine Zyankalikapsel - als sein letztes Mittel, falls die Gestapo ihm auf die Spuren kommen sollte.
Philipp Freiherr von Boeselager, geboren 1917, fünf Mal an der Ostfront verwundet und Ritterkreuzträger, hatte Angst, dass er nach einer Verhaftung zu nervös wäre, um die Brusttasche noch aufzunesteln und nach der tödlichen Pille zu greifen. Also ist er in den Wochen und Monaten nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler "immer angemopst worden: 'Boeselager, machen Sie doch die Taschen zu'" - und musste stets "eine blöde Ausrede" erfinden, dass die Tasche offen bleiben konnte.
Philipp von Boeselager, katholisch und antipreußisch, gehörte zu denen, die den Sprengstoff für die Bombe des Grafen Claus von Stauffenberg lieferten, die der am 20.Juli 1944 in Hitlers ostpreußischem Hauptquartier Wolfsschanze detonieren ließ. Und mit 1.200 Mann seiner Kavallerietruppe war er von der Ostfront zweihundert Kilometer westwärts geritten, von wo aus sie nach Berlin geflogen werden sollten, um gegen die SS in der Reichshauptstadt zu kämpfen. Seine Männer hatten gerade abgesessen - da kam der Obergefreite Rethel, der Melder von Boeselagers Bruder Georg, "ein erstklassiger Kommunist", "ein prima Fahrer", der einen kleinen Zettel brachte: "Alles in die alten Löcher" - der Code, dass alles gescheitert war. Hitler hatte Stauffenbergs Boeselager-Bombe überlebt, der Staatsstreich würde scheitern.
Dorothee von Meding und Hans Sarkovicz haben Philipp von Boeselager, neben Ewald-Heinrich von Kleist der letzte Überlebende des 20. Juli, in seinen letzten Lebensmonaten noch interviewen können. Seine Biographie gab er am Nachmittag des 30. April frei. In der Nacht zum 1. Mai starb er im Alter von 90 Jahren. So ist das Buch sein Vermächtnis.
Dorothee von Meding, die vor 16 Jahren einen Band über "Die Frauen des 20. Juli" herausgebracht hat, und Hans Sarcowicz, der sich vor allem mit der Literatur unter den Nazis beschäftigt hat, haben es gemeinsam verfasst - mit einem langen Schlusskapitel, in dem sie den Wortlaut des Interviews wiedergeben.
In knorriger Sprache und völlig uneitel tritt hier einer heraus aus dem Schatten der legendären Gestalten des 20. Juli, des Grafen Stauffenberg und des Generalmajors Henning von Tresckow: geradlinig, ohne jede Heldenpose. Ein Mann, der von seiner Angst erzählt, auch den Ängsten, die er schon lange vor dem 20.Juli hatte - aber da hatte er dem väterlich-brüderlichen Freund und Vorgesetzten von Tresckow, der sich nach dem 20. Juli an der Ostfront umbrachte, schon das Ja-Wort gegeben, damit endlich Schluss gemacht würde mit den Morden an den Juden und Russen, 16.000 täglich. Eine Zahl, die dem aus altem westfälisch-katholischem Geschlecht stammenden einstigen Jesuitenschüler den Schlaf raubte.
Er selbst war einmal kurz davor, Hitler zu erschießen, als der die Ostfront besuchte. Sein General Hans Günther von Kluge untersagte das. Einer von so vielen Fehlschlägen, den "Verbrecher", der "auch noch verrückt" war, zu beseitigen; Hitler, der für Philipp von Boeselager "einen teuflischen Schutz" genoss.
"Es hat gar nichts funktioniert", sagt Philipp von Boeselager im Interview - und dann stellt er sich die Frage, "ob es nicht ganz gut war, dass nichts funktioniert hat. Denn den heutigen Staat hätten wir bestimmt in dieser Form nicht bekommen, wenn der 20. Juli geglückt wäre."
Die Gestapo kam Philipp von Boeselager nicht auf die Spur, weil die verhafteten Mitverschwörer selbst unter der Folter seinen Namen nicht verrieten. In den letzten Kriegstagen war er mit seinen Reitertrupps in Österreich und setzte sich in Richtung der englischen Truppen in Bewegung. Dabei überquerten sie die Mur und die Zyankalikapsel verschwand in dem Fluss. Nun konnte Philipp von Boeselager seine Brusttasche wieder verschließen.
Rezensiert von Klaus Pokatzky
Dorothee von Meding/Hans Sarkovicz: Philipp von Boeselager - Der letzte Zeuge des 20. Juli 1944
Verlag ZS Debatten, 2008
216 Seiten, EUR 19,95
Philipp von Boeselager, katholisch und antipreußisch, gehörte zu denen, die den Sprengstoff für die Bombe des Grafen Claus von Stauffenberg lieferten, die der am 20.Juli 1944 in Hitlers ostpreußischem Hauptquartier Wolfsschanze detonieren ließ. Und mit 1.200 Mann seiner Kavallerietruppe war er von der Ostfront zweihundert Kilometer westwärts geritten, von wo aus sie nach Berlin geflogen werden sollten, um gegen die SS in der Reichshauptstadt zu kämpfen. Seine Männer hatten gerade abgesessen - da kam der Obergefreite Rethel, der Melder von Boeselagers Bruder Georg, "ein erstklassiger Kommunist", "ein prima Fahrer", der einen kleinen Zettel brachte: "Alles in die alten Löcher" - der Code, dass alles gescheitert war. Hitler hatte Stauffenbergs Boeselager-Bombe überlebt, der Staatsstreich würde scheitern.
Dorothee von Meding und Hans Sarkovicz haben Philipp von Boeselager, neben Ewald-Heinrich von Kleist der letzte Überlebende des 20. Juli, in seinen letzten Lebensmonaten noch interviewen können. Seine Biographie gab er am Nachmittag des 30. April frei. In der Nacht zum 1. Mai starb er im Alter von 90 Jahren. So ist das Buch sein Vermächtnis.
Dorothee von Meding, die vor 16 Jahren einen Band über "Die Frauen des 20. Juli" herausgebracht hat, und Hans Sarcowicz, der sich vor allem mit der Literatur unter den Nazis beschäftigt hat, haben es gemeinsam verfasst - mit einem langen Schlusskapitel, in dem sie den Wortlaut des Interviews wiedergeben.
In knorriger Sprache und völlig uneitel tritt hier einer heraus aus dem Schatten der legendären Gestalten des 20. Juli, des Grafen Stauffenberg und des Generalmajors Henning von Tresckow: geradlinig, ohne jede Heldenpose. Ein Mann, der von seiner Angst erzählt, auch den Ängsten, die er schon lange vor dem 20.Juli hatte - aber da hatte er dem väterlich-brüderlichen Freund und Vorgesetzten von Tresckow, der sich nach dem 20. Juli an der Ostfront umbrachte, schon das Ja-Wort gegeben, damit endlich Schluss gemacht würde mit den Morden an den Juden und Russen, 16.000 täglich. Eine Zahl, die dem aus altem westfälisch-katholischem Geschlecht stammenden einstigen Jesuitenschüler den Schlaf raubte.
Er selbst war einmal kurz davor, Hitler zu erschießen, als der die Ostfront besuchte. Sein General Hans Günther von Kluge untersagte das. Einer von so vielen Fehlschlägen, den "Verbrecher", der "auch noch verrückt" war, zu beseitigen; Hitler, der für Philipp von Boeselager "einen teuflischen Schutz" genoss.
"Es hat gar nichts funktioniert", sagt Philipp von Boeselager im Interview - und dann stellt er sich die Frage, "ob es nicht ganz gut war, dass nichts funktioniert hat. Denn den heutigen Staat hätten wir bestimmt in dieser Form nicht bekommen, wenn der 20. Juli geglückt wäre."
Die Gestapo kam Philipp von Boeselager nicht auf die Spur, weil die verhafteten Mitverschwörer selbst unter der Folter seinen Namen nicht verrieten. In den letzten Kriegstagen war er mit seinen Reitertrupps in Österreich und setzte sich in Richtung der englischen Truppen in Bewegung. Dabei überquerten sie die Mur und die Zyankalikapsel verschwand in dem Fluss. Nun konnte Philipp von Boeselager seine Brusttasche wieder verschließen.
Rezensiert von Klaus Pokatzky
Dorothee von Meding/Hans Sarkovicz: Philipp von Boeselager - Der letzte Zeuge des 20. Juli 1944
Verlag ZS Debatten, 2008
216 Seiten, EUR 19,95