Und sie stürmten den Palast

Von Karl-Ludolf Hübener · 10.08.2009
Vor 200 Jahren ertönte in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito der erste Ruf nach Unabhängigkeit in Südamerika. Die rebellischen Kreolen im Land waren unzufrieden mit der spanischen Kolonialverwaltung.
"Wir, die unterzeichnenden Abgesandten des Volkes, erklären feierlich – unter Beachtung der aktuellen kritischen Lage der Nation – die Richter dieser Hauptstadt und Provinzen für abgesetzt."

"Das ist der berühmte 10. August 1809 in Ecuador. An diesem Tag bot sich den höchsten Gesellschaftskreisen die Gelegenheit, die politische Unabhängigkeit durchzusetzen."

Edmundo Vera Manzo, Botschafter, Geschichts- und Philosophieprofessor.
Vor 200 Jahren ertönte in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito der erste Ruf nach Unabhängigkeit in Südamerika. Bei den Rebellen handelte es sich um eine Elite. Die sogenannten Criollos, Kreolen, im Lande geborene Nachfahren spanischer Eltern, waren unzufrieden mit der spanischen Kolonialverwaltung.

"Sie kämpften für die Unabhängigkeit von Spanien, aber nur, um dessen Macht durch die eigene zu ersetzen."

In Quito lebten damals rund 30.000 Menschen. In der Kolonialzeit waren die höheren Stellen in Verwaltung und Kirche den in Europa geborenen Spaniern vorbehalten. Sie regierten in den Vizekönigreichen und den untergeordneten "audiencias", den königlichen Gerichtsbezirken. Ihre Richter sicherten die Oberherrschaft des spanischen Königs. Auch in Quito hatte eine Königliche Audienz ihren Sitz.

Von einer Loslösung von der spanischen Krone war bei den kreolischen Rebellen zunächst nicht die Rede, als sie im Morgengrauen des 10. August 1809 den Palast des Gerichtspräsidenten erstürmten und die audiencia durch eine "junta suprema", Oberste Junta, ersetzten.

"Wir wählen zum Präsidenten der Obersten Junta den Marquis de Selva Alegre. Er wird sofort den feierlichen Eid des Gehorsams und der Treue auf den König in der Kathedrale ablegen."

Der Marquis war der wichtigste Rädelsführer der Aufständischen in Quito. Alexander von Humboldt hatte ihn auf seiner Reise an den Orinoco und nach Ecuador kennengelernt. Der berühmte Naturforscher kam 1802 in Quito an, ...

" ... wo der Marquis die Großzügigkeit besaß, uns ein schönes Haus vorzubereiten, welches uns nach den ganzen Anstrengungen alle Gemächlichkeit bot, die man nur in Paris oder London verlangen könnte."

Das "schöne Haus" war bekannt als Treffpunkt politischer Zirkel. Dort wurden auch liberale Ideen der Französischen Revolution debattiert und Pläne für Unabhängigkeit und Junta geschmiedet. Doch der Obersten Junta war nur ein kurzes Leben beschieden. Drei Monate später rückten Truppen der benachbarten Vizekönigreiche Peru und Neu-Granada an, um den Aufstand zu ersticken.

Endgültig erlangte Ecuador seine Unabhängigkeit erst 1830, als der Traum des Freiheitskämpfers Simon Bolivar von einer unabhängigen Konföderation aller lateinamerikanischen Staaten geplatzt war. Zwar hatte Bolivar die Republik Groß-Kolumbien als ersten Schritt zu dieser Konföderation gründen können; doch kurz nach dem Tod des Befreiers zerbrach die Republik in die einzelnen Staaten Venezuela, Kolumbien und Ecuador.

"Es gibt einen aus Ecuador stammenden Spruch, der 1830, als sich Ecuador von Großkolumbien trennte, aufkam: der letzte Tag des Despotismus und der erste Tag desselben. Man tauschte den ausländischen Kolonialherren und Ausbeuter gegen einen nationalen Ausbeuter ein."

Die Oberschicht Quitos hielt auch nach der Unabhängigkeit am kolonialen Gesellschaftsmodell fest. Indianer, die auch heute fast 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, waren für sie heidnische Wilde. Die Großgrundbesitzer hielten sie auf ihren Haciendas in sklavenähnlicher Abhängigkeit - als Leibeigene, die zur "mita", dem kolonialen Frondienst, und der "encomienda", der Zwangsarbeit, gezwungen wurden.

"Die Haciendas wurden mit den Indianern verkauft. Das ging so bis 1895. In einigen Fällen überlebten 'mitas', 'encomiendas' und andere koloniale Überbleibsel gar bis 1964 in Ecuador."

Der heutige Präsident Rafael Correa will deshalb mit der neuen Verfassung Ecuadors die zweite und endgültige Unabhängigkeit durchsetzen – auch für die Indianer.