... und schöne Grüße aus Bonn.

Von Volker Wagener |
Eigentlich müsste sie schon lange im Elend versunken, im deutschen Bermuda-Dreieck verschwunden sein. Aber: Bonn geht's gut. Der Kussmund also im Ortsnamen, schon zu offiziell glücklichen Hauptstadtzeiten ein Markenzeichen der kleinen Stadt am Rhein, könnte als Symbol für die wundersame Genesung der abgewählten Bundeshauptstadt stehen. Die Stadt werde aussterben, überaltern, die Preise für Immobilien würden ins Bodenlose stürzen, hieß es, damals. Nur: Bonn boomt! Ja, die Stadt wächst sogar. Ein bemerkenswertes Phänomen.
"Herr Paulus, ich suche eine Postkarte mit der Aufschrift: "schöne Grüße aus Bonn”. Haben sie so was? - Ja, haben wir. Einen ganzen Ständer voll........Hat es eigentlich einen Motivwechsel auf den Karten gegeben nach 1991, nach der Hauptstadtentscheidung? - Ja, natürlich. Die politischen Motive, zum Beispiel die Villa Hammerschmidt, sind vollkommen verschwunden. Stattdessen wird jetzt mehr mit dem Beethovenhaus geworben. "

Aha, die Veränderungen im ehemaligen "Bundesdorf", wie Spötter noch heute die Stadt am Rhein hänseln, lassen sich schon im Postkartenvergleich erkennen. Ganz ohne Zerstörungen. Norbert Paulus von der Buchhandlung Bouvier kennt sich da aus. Dabei kam das knappe Votum des Bundestages am 20. Juni 1991 gegen Bonn als Bundeshauptstadt für viele Bonner einem verlorenen Krieg gleich. Panik machte sich gelegentlich breit. Im alternativen Stadtmagazin "De Schnüss" - womit der Rheinländer das Mundwerk meint, - war von "spontanen Versteppungen ganzer Stadtteile" zu lesen.

Damals trug die Stadt Trauer. Verheulte Gesichter zwischen Münsterplatz und Beethovenhalle. Dabei nahm das gute Ende da erst seinen Anfang. Die Zukunft hatte begonnen. Und die ist sicht- und begehbar. Bonn boomt wie nie zuvor.

Studenten: "Was studiert ihr denn? - Südostasien-Wissenschaften". Ah ja, das hat Zukunft! "

Auf der Hofgartenwiese geben die Studenten den Ton an. Heute genauso wie damals, als schon mal Politiker mit Einkaufstasche den historischen Rasen überquerten. Die Attraktivität der 1818 gegründeten Universität ist geblieben. Über 30.000 Studenten sorgen mit dafür, das Bonn als junge Stadt von sich reden macht. Viel bedeutender ist hingegen die Entwicklung der Universität zur Premium-Adresse als Wissenschaftsstandort. Das Dreieck Aachen, Bonn, Köln zählt mittlerweile zur dichtesten Forschungs- und Technologielandschaft Europas. Das Highlight nennt sich "Caesar". Center of Advanced European Studies and Research, ein interdisziplinäres Institut, das genau an der Schnittstelle zwischen Theorie und Marktbezug arbeitet. Hier wird beispielsweise am Mikrochip der Zukunft gearbeitet. Ein Produkt das nicht nur Renommee sondern auch Geld bringt. Da passt es ganz gut, das in Bonn gleich mehrere Förderorganisationen der Wissenschaft zuhause sind.

Bärbel Dieckman: "1991 war eine Zäsur für uns. Viel Arbeit seit 13 Jahren. Heute sind wir eine internationale ... .positive Bilanz. "

Bärbel Dieckmann kann sich Selbstbewusstsein leisten. Seit anderthalb Jahrzehnten lenkt die Sozialdemokratin die Geschicke der Stadt vom Chefsessel aus im Rathaus. Die Umsetzung des Berlin-Bonn-Gesetzes seit 1994 zum Nutzen der 300.000 Einwohner zählenden Kommune wird maßgeblich ihr und Johannes Rau zugerechnet. 1,43 Milliarden Euro gingen in den letzten zehn Jahren als Ausgleichszahlungen auf den Stadtkonten ein. Rechnet man die verbliebenen sechs Ministerien - darunter das Verteidigungsressort - hinzu und die Neuansiedlung von politischen Großorganisationen und Konzernzentralen, dann wundert es kaum, dass der Strukturwandel mittlerweile gelungen ist und als abgeschlossen gilt.

Heinz Engels: "1949 hab ich abgefangen........hier, sehen Sie, ich mit dem Heuss. Der Heuss hat damals zu mir gesagt, ich weiß das noch genau: jeder ist wichtig in seinem Beruf, Hauptsache er macht seine Sache gut. "

Und Heinz Engels hat seinen Job immer gut gemacht. Zu gut manchmal. Das gereichte dem bekanntesten Pressefotografen des Bonner Politmilieus nicht nur einmal zum Schaden.

Engels: "Es gab mal ein Foto von mir, da hab ich den Adenauer abgelichtet beim lesen eines Dokuments. Mit dem Teleobjektiv konnte man genau lesen was da drauf stand: "Atomwaffensperrvertrag". Jede Zeile konnte man lesen. Das hat mir dann ein Parlamentsverbot von drei Monaten eingebracht…"

Der Mann, der für den Spiegel, den Stern, die Quick und heute noch, mit fast 76 Jahren, für den Bonner Generalanzeiger durch den Sucher schaute und schaut, ist erkennbar wehmütig. Aber er ist auch froh, das historische Kapitel, "die große Politik und Bonn", miterlebt und mitgeprägt zu haben. Als die Macht an die Spree verzog, blieb für ihn fast nur noch lokaler Kleinkram. Die Einweihung einer neuer Kinderrutsche statt einer Einladung ins Kanzleramt. Er kann damit leben, sagt er. Andere packte nackte Existenzangst, damals im Juni, als Wolfgang Schäuble, so behaupten die Bonn-Sympathisanten, mit seiner Rede die Mehrheit zugunsten der Berlin-Fraktion zum Kippen brachte.

Marianne Pitzen hatte eine böse Vorahnung, was auf ihr Museum zukommen würde. Sogar Angst war mit im Spiel, erzählt das Bonner Original, das seit 25 Jahren das Frauenmuseum leitet.

Marianne Pitzen: "Aber ja,... haben viel mit Botschaften zusammen gearbeitet. Mussten dann sehen wie es weiter geht. Müssen ziemlich kämpfen…"

Heute, 14 Jahre später, ist die exzentrische Dame mit der Schneckenhausfrisur und den breiten Lidstrichen unter den Augen wieder ganz entspannt. 35.000 Besucher lockt ihre Dauerausstellung über die Geschichte der Frauen jedes Jahr an.

Dass die Unos jetzt hier sind, sagt sie befreit ins Unreine, sei ein "Groß-Lichtblick". Die Vereinten Nationen passen zur Stadt. Das Internationale ist es, wonach die Bonner lechzen, seitdem ihnen der Regierungsstatus genommen wurde. Nicht nur auf schnöde Arbeitsplätze kommt es ihnen an. Das Niveau muss stimmen.

Pitzen: "Das gebildete Publikum der höheren Regionen von damals wurde durch ein mittleres Management der Telekom- und Deutsche Post-Angestellten ersetzt. Es ist ganz witzig: die neuen Bonner Arbeitnehmer bekommen von der Stadt einen Kulturgutschein für verschiedene Veranstaltungen und Häuser, das klappern die dann alles schön ab .... "

.... und kommen nicht wieder. Eine Form des kulturellen Mitnahmeeffekts. Keine Frage: die Stadt hat sich soziologisch verändert. Im Zweifel findet die Hochkultur nicht mehr ganz so viele Jünger wie seinerzeit zu seligen Hauptstadtzeiten. Auch die Buchhandlung Bouvier registriert einen Wandel beim Publikum. Es wird nicht weniger gelesen, aber anderes. Das bemerkt sogar Marion Hegner, deren Name ist nicht so bekannt bei den Bonnern, wohl aber ihr Bücherkarren. Auf dem Holzwagen zwischen Hofgartenwiese und Kaiserpassage stapeln sich hunderte gebrauchte Bücher. Seit Jahrzehnten steht das kleine Antiquariat wie ein Denkmal am immer gleichen Platz. Verändert hat sich nur die Kundschaft.

Marion Hegner: "Politik hat stark nachgelassen..... Politikgeschichte ist nicht mehr gefragt, fällt eigentlich weg. "

Noch fehlen die Blätter an den Bäumen, doch die ersten warmen Tage lassen die städtischen Gärtner aktiv werden. Das Erdreich rund um das Beethoven-Denkmal wird gelockert, die Pflanzzeit läutet eine neue touristische Saison ein. Und Beethoven ist eine Zugnummer für die Stadt.

Gitta Schatz-Sträßner/Museumführerin Beethovenhaus: "Ja, wir stehen hier vor dem Beethovenhaus ... gehn wir mal rein .. .ein ziemlich ausgetretener Holzdielenboden … was haben wir denn hier? - Ja das ist der Wirtschaftsraum… "

Das Geburtshaus des Musikers ist ein wichtiges Element im Besuchsprogramm des Bonn-Touristen, sagt Gitta Schatz-Sträßner, die nicht weniger, sondern nur andere Gäste seit dem Wegfall des Regierungsstadt-Privilegs registriert. Vor allem Chinesen entdecken den ernsten Musiker nun für sich. Und das nicht nur am Rhein, sondern auch virtuell, im digitalen Beethovenhaus via Internet. In einem eigenen Computerraum können Besucher in Erstausgaben und handgeschriebenen Partituren des Meisters blättern. Und: sie können jede Vertonung einer Beethovennote per Mausklick erklingen lassen.

Holländer bei Internetrecherche: "Was suchen sie? - Wir suchen … alte Versionen … mit historischen Instrumenten? -Ja … schon etwas gefunden? - Nein, brauchen sie Hilfe? - Ja! "

Kulturell waren die Bonner jahrzehntelang gesättigt. Fette Bundessubventionen hielten einen anspruchsvollen schöngeistigen Betrieb am Laufen. Als Bonn, die kleine Hauptstadt für zwischendurch, wie ein Journalist einmal lästerte, nichts mehr für die Welt repräsentieren sollte, drehte der Finanzminister schmerzhaft an der Zuschussschraube. Seit 2003 fällt die Bundeskulturstütze für Bonn fast gänzlich weg. Endgültig Schluss mit der Alimentierung ist 2010. Seit vorletztem Jahr wird der Stadthaushalt Jahr für Jahr kräftig umgeschichtet. Denn alles lassen, was vorher finanziert worden war, das sollte nicht sein. Mehr als 20 Millionen Euro per anno schießen die Bonner nun aus anderen Etattöpfen in Oper, Theater und Museen. Und es funktioniert.

Allein der Hauptanziehungspunkt für Bonn-Gäste, die Museumsmeile, ist mit jährlich über einer Million Besuchern ein Magnet. Das Bonner Theater hat sich auf der europäischen Biennale einen Namen gemacht und das jährliche Beethoven-Fest wirkt sowieso weit über die Grenzen hinaus. Bärbel Dieckmann, die Oberbürgermeisterin, weiss die Bevölkerung hinter sich. Und das heißt etwas: Immerhin regiert die Genossin fast gegen eine schwarze Zweidrittelmehrheit im Rat.

Dieckmann: "Bonn hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich …"

Die Kür ist beeindruckend für die Kommune die ein Kabarettist einmal so charakterisierte: "Ich weiß nicht, wo Bonn aufhört und die Kleinstadt anfängt." Aber wie steht es um die Pflicht? Bonn drohten Ruhrgebietsverhältnisse, unkten chronische Missmacher mit Blick auf die gepackten Koffer der Heerscharen von Beamten. Nichts dergleichen. Die Stadt brummt. Das Tulpenfeld, das Viertel des Bundestages, der Journalisten, ist heute so belebt wie seinerzeit in einer Plenarwoche. Auch wenn heute der Eingang zum Wasserwerk, dem Bundestag, in der Herrmann Ehlers Straße, so verlassen wirkt wie eine still gelegte Fabrik.

Und dennoch: Immobilienmakler in Bonn zu sein, ist schon wieder lukrativ.

Asbeck Immobilien-Verwaltung: "Es gibt eine neue Klientenstruktur … .haben Landesvertretungen gekauft, Botschaften, renoviert, umgebaut und wieder gut verkauft … Bonn schießt über sich hinaus … Bonner sind stolz Strukturwandel geschafft zu haben. "

Mark Asbeck gehört zu jenen Menschen, die einem Vegetarier ein Schnitzel schmackhaft reden können. In diesem Fall hat sein Sendungsbewusstsein einen gesicherten Faktenhintergrund. Allein im ehemaligen Regierungsviertel arbeiten heute knapp 15.000 Menschen mehr im Vergleich zur ausschließlichen Politik-Ära.

Es gibt im neuen Bonn Hochglanz-Merian-Heft ein Foto, das wie kein zweites den Bedeutungswechsel der Stadt festhält. Im Vordergrund stürzt gerade die alte CDU-Parteizentrale zusammen, nachdem man in dem Hochhaus 53 Kilo Dynamit kunstvoll verteilt hatte. Im Hintergrund glänzt schon der Post-Tower, Bonns neues Wahrzeichen, und links schiebt sich das magentafarbene T der Telekom ins Bild. Von so einem eiligen und erfolgreichen Strukturwandel träumt das gesamte Ruhrgebiet immer noch.

Asbeck: "Ich war zuletzt in Berlin und fragte den Taxifahrer: Können wir nicht mal durch schöne Straßen fahren? - Nichts gegen Berlin, aber hier haben wir nur schöne Straßen .... einfach Lebensqualität. "

Über 600 Unternehmen melden sich pro Jahr neu bei der Industrie- und Handelskammer an. Die Arbeitslosenquote liegt bei etwas über sieben Prozent. Süddeutsche Verhältnisse am Rhein. Und auch das Bildungs- und Ausbildungs-Niveau konnte Bonn halten, hat Ernst Franceschini errechnet, der vor den Toren Bonns ein traditionsreiches Lebensmittelunternehmen leitet.

Ernst Franceschini: "Bonn ist die Stadt mit der höchsten Zahl an Akademikern...jeder sechste Bonner hat Hochschulabschluss .... "

Und trotzdem: wer genau hinschaut in den Fußgängerzonen, dem entgeht auch in Bonn das langsame Sterben der Qualitätsgeschäfte nicht.

Jakob Hillenbrand: "Gucken se doch mal genau hin. Haben keine guten Geschäfte mehr. Nur noch Ramsch. In der Wenzelgasse zum Beispiel: sechs 1-Euro-Läden und fünf Bäcker... "

Jakob Hillenbrand läßt sich nichts vormachen. Trotz Deutscher Welle, die 2003 mit 1.500 Redakteuren, Technikern und Verwaltungsangestellten in den Schürmannbau zog, trotz einem Dutzend UN-Organisationen - der Mann, der seit 43 Jahren exotische Früchte und Gemüse vor dem historischen Rathaus verkauft, seine Stadt hat gelitten nach 1991, da ist er sich sicher. Und nicht nur wegen der fehlenden Politiker, die oft bei ihm einkauften.

Hillenbrand: "Auf den Blüm waren wir nicht gut zu sprechen, der war immer so frech ... der Ehmke kaufte immer nur das Billigste. Gerne hatten wir Barzel und Brandt, die ließen sich auch hier im feinen Kaufhaus Maßanzüge machen. Aber seitdem.....haben über 50 Prozent Umsatzeinbuße." Was das politische Bonn betrifft, so hilft kein Klagen: Ein Nabel des Weltgeschehens ist der historische Sonderfall am Rhein nicht mehr. Heute werden die baulichen Hinterlassenschaften der jungen Bundesrepublik von Menschen besichtigt, die mit Kamera und Rucksäcken behängt nach dem Beethovenhaus und der Museumsmeile nun auch die Villa Hammerschmidt aufsuchen, die zum gelegentlichen Dienstsitz des Staatsoberhauptes herabgewürdigt wurde. "

Führerin Villa Hammerschmidt: "Treten Sie beim Gang durch den Park nicht in die Kieselsteine, das würde dem Parkett drinnen nicht gut tun. "

Das Politik- und Beamtenmonopol ist durchbrochen. Heute saugt die Stadt von verschiedenen Berufsgruppen Honig. Der ganz große Glanz ist freilich Geschichte. Doch seine Vitalität hat sich Bonn erhalten können. Nur wer direkt im politischen Milieu der Stadt seine Meriten verdiente wird dem Geschichtskapitel "Bundeshauptstadt Bonn" noch lange Tränen nachweinen. Trotz oder gerade wegen Altkanzler Helmut Schmidts Bonmot: "Bonn als deutsche Hauptstadt sei ein trauriger Witz, aber Realität," hatte er einmal fallen lassen. Es war eine Realität, daran denkt Fotograf Heinz Engels immer wieder, wenn er seine abgelichteten Eisenhowers, Heuss und Adenauers aus dem Portemonaie zieht. Denn seit der Puls der Nation in Berlin schlägt, schickt ihn der Bonner Generalanzeiger nur noch zu schnöden Lokalterminen.

Engels: "Jetzt geh ich gleich zu einem SPD-Stadtpolitiker, der will Frühlingsblumen pflanzen. "