„Und heute interessiert mich das All“
Auf allen wichtigen Bühnen hat Schauspieler Hilmar Thate gestanden, der seit über dreißig Jahren mit Angelica Domröse, der Frau seines Lebens, zusammenlebt. Als Junger wollte er wissen, was hinter Halle ist, und heute interessiert ihn das Weltall.
Liane von Billerbeck: „Neulich, als ich noch Kind war“, so heißt seine Autobiografie, und die ist schon vor fünf Jahren erschienen. Und nun ist er 80: Hilmar Thate, einer der berühmtesten deutschen Theaterschauspieler. Er hat am Berliner Ensemble, am Deutschen Theater, am Schillertheater, in München, in Wien, in Salzburg gespielt und all die großen Bühnenrollen gegeben, die man so haben kann auf deutschsprachigen Bühnen.
Seine Darstellung von Shakespeares „Richard III.“ ist bis heute legendär, er hat auch in Filmen gespielt, von Rainer Werner Fassbinder, Ingmar Bergman, Michael Haneke und Volker Schlöndorff. Er liest und singt Brecht, man kennt ihn als Hörbuchstimme und als Vorleser aus seiner Autobiografie. Hilmar Thate, ganz herzlich willkommen!
Hilmar Thate: Danke!
von Billerbeck: Als vor ein paar Tagen der Deutsche Filmpreis vergeben wurde, eine Veranstaltung geballter Eitelkeiten, da gab es für mich einen berührenden Moment, nämlich, als sich der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase mit den Worten für den Preis bedankte, dass man in jedem Alter Ermutigung brauche, auch mit 80. Geht Ihnen das auch so?
Thate: Ja, wenn sie nicht von außen kommt, die Ermutigung, also von meiner Außenwelt, dann versuche ich sie selber herzustellen.
von Billerbeck: Wie machen Sie das?
Thate: Atemübungen, schlicht und einfach t-i-e-f durchatmen – nein, seine Mitte suchen und Gelassenheit entwickeln, eine gewisse Gelassenheit und eine Betrachtungsfähigkeit zu bewahren und eine Sichtweise, und neugierig muss man sein. Neugierig, wahrnehmungsfähig – wenn ich das nicht mehr hätte, dann neige ich zur Depression, ja.
von Billerbeck: Sie sind in Dölau bei Halle an der Saale geboren, Ihr Vater war Schlosser, allerdings ein sehr musischer, ein sehr musikalischer Mensch. Bekamen Sie von ihm und Ihrer Mutter immer das Gefühl, du bist richtig so, wie du bist?
Thate: Im Wesentlichen ja. Mein Vater sowieso, der war ein Musenmensch, der immer auch so ... Wenn er kratzig wurde, hat er gesagt: Man weiß zu wenig, man weiß zu wenig, Herrgott, man müsste mehr wissen. Meine Mutter hat sich da keine Sorgen drum gemacht, hatte so den Ton drauf: Ach, die werden das schon machen. Eine sehr einfache und sehr realistische Frau – und sehr gerecht vor allem, sehr gerecht.
von Billerbeck: Sind Frauen im Allgemeinen etwas realistischer, etwas handfester als Männer?
Thate: Aber ja! Aber ja, sie sind auch intelligenter.
von Billerbeck: Das müssen Sie jetzt sagen, weil ich Ihnen gegenübersitze.
Thate: Nein, nein, das ist meine Meinung. Auch weil Sie mir gegenübersitzen, das spielt eine gewisse Rolle, aber ich verallgemeinere das, im Großen und Ganzen finde ich schon die Frauen realistischer und auch schneller im Denken. Männer neigen im Zweifelsfall zur Spinnerei. Ich weiß nicht, wenn die Frauen an der Macht wären – ich glaube, sie sind bewusst nicht an der Macht, weil wenn sie an der Macht wären, würden sie auch so werden, wie die Männer jetzt sind. Also eine gewisse Degeneriertheit lässt sich nicht übersehen, sagen wir so.
von Billerbeck: Sie machen Ihrem Ruf wieder alle Ehre, nicht auf den Mund gefallen zu sein. Hat Ihnen das immer genutzt?
Thate: Nein, es hat mir nicht nur genutzt, es hat mir auch geschadet. Aber ich kann nicht anders, Gott helfe mir.
von Billerbeck: Es gab ja den Weggang aus der DDR, nachdem Sie und Angelica Domröse gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann protestiert hatten und diesen Brief unterschrieben haben. Dann gab es jahrelang keine Rollen mehr für zwei, oder ganz wenig.
Thate: Keine ist übertrieben, aber es wurde sortiert. Auf keinen Fall durften wir zusammen auftreten, und dann musste jedes Mal telefoniert werden, ob wir ...
von Billerbeck: Ob es geht oder nicht.
Thate: ... besetzt werden können, ja.
von Billerbeck: Aber das waren jedenfalls ein paar schwierige Jahre, von 1976 bis 1980, bis zum Weggang.
Thate: Ja, klar.
von Billerbeck: War das der schmerzlichste Bruch in Ihrem Leben?
Thate: Ja. Nun hatte ich meinen Sinn für Pferde entdeckt, ich war mehr im Pferdestall, sowieso, lange Zeit. Als ich im deutschen Theater meine Schwierigkeiten bekam, habe ich mich nur im Pferdestall rumgedrückt und ich habe Theater nicht so wichtig genommen.
von Billerbeck: Geht das als Schauspieler?
Thate: Es geht, ja. Weil ich habe nicht Angst davor, auf die Bühne zu gehen, sondern ich geh gern auf die Bühne, aber ich wüsste jetzt im Moment gar nicht, mit wem, wo ist ein Team, wo ich mich wohlfühlen könnte oder wo ich sagen könnte, wir sprechen eine gemeinsame Grundsprache, wir haben eine Themenverwandtschaft oder so. Ich weiß es nicht. Das noch Berliner Ensemble, was ich ja nicht mehr BE, sondern PE nenne.
von Billerbeck: Wegen Peymann?
Thate: Ja. Das sollte man umnennen. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, was sich da abtut. Also, weil das ist das Theater Brechts und der Helene Weigel, und der Peymann hat als Erstes das Zimmer Brechts zerstört und das Weigel-Zimmer zerstört. Und Herr Zadek, Gott hab ihn selig, hat Karl von Appen, der ein großer weltberühmter Bühnenbildner war und Maler, und er hatte noch ein Zimmer da und da gab es Modelle und so weiter, das hat er entsorgen lassen. Schlimm – Barbaren können sie auch sein, die großen Künstler. Das ist das Seltsame: Charakter und Begabung fallen oft auseinander.
von Billerbeck: Nach dem Bruch und diesem erzwungenen Weggang aus der DDR haben Sie und Ihre Frau Angelica Domröse ja irgendwie ein neues Leben angefangen, und das war ja sicher nicht einfach. Bis dahin hat sie jeder gekannt. Angelica Domröse hat in einem Film gesagt: In der DDR konnte ich nirgendwo einen Kaffee trinken gehen oder ins Kino gehen, ohne dass das nicht registriert wurde, und plötzlich, drei Kilometer weiter, kannte mich kaum jemand.
Wie schwer war dieser Neuanfang, nicht bloß mit geringerer Popularität am Anfang, sondern überhaupt, wenn man mitten im Leben noch mal neu anfängt?
Thate: Ich hab das nicht so empfunden. Wir wurden von bestimmten bemerkenswerten Machern, also Regisseuren und Theaterleitern, gekannt. Fassbinder wusste alles über mich. Ingmar Bergman nicht so sehr, aber der kam ins Zimmer rein und sagte in seinem schwedischen Ton: Ich bin der Ingmar, und wer bist du? Ich sagte: Ich heiße Hilmar Thate. Dann bist du der Hilmar, wir sagen Du zueinander, gell?
Er war ein großartiger Mitarbeiter und ebenso Fassbinder, ein Genie, würde ich sagen. Er hatte den Film im Kopf und hat das so beiläufig gemacht, so ohne Belastung, also er blieb immer spielerisch. Sicher gibt es Leute, die er tyrannisiert hat – die Kehrseite der Medaille gibt es ja immer –, aber ich hatte ein großes Glück mit ihm, ich hab ihn geliebt. Und er mochte mich, glaube ich, auch.
von Billerbeck: Sie sind seit 1976, also seit fast 35 Jahren, mit der schönsten Frau, die Sie damals haben konnten, muss man sagen, mit Angelica Domröse zusammen und seit von einigen Kollegen darum schwer beneidet worden, und die haben sich gefragt, wie hat er das bloß angestellt. Und in einem Film haben Sie gesagt: Es gibt kein schlechtes Foto von ihr. Wie wichtig ist diese Frau und wie wichtig ist diese Liebe zu dieser Frau?
Thate: Das ist mein Leben, die Frau meines Lebens – geworden. Das heißt nicht, dass wir nur in Friede, Freude, Eierkuchen leben – wenn man über 30 Jahre zusammen lebt und sich noch länger kennt, ist das, glaube ich, nicht möglich, dass es nur Perlen auf die Schnur gezogen sind. Aber im Wesentlichen dominiert ein Grundmaßstab, den wir haben fürs Leben, der ist permanent und den haben wir in einer gewissen Gemeinsamkeit.
von Billerbeck: Andere Lieben haben das auch nicht ändern können?
Thate: Nein, nein, nie!
von Billerbeck: Nun kennt man das ja aus vielen Berufen, dass es nicht unbedingt einfach ist, einen Mann oder eine Frau zu lieben, die nicht nur den gleichen Beruf hat, sondern darin auch noch genauso gut ist. Wie war das mit der Konkurrenz innerhalb dieser Schauspielerbeziehung, dieser Schauspielerehe?
Thate: Ich habe keinerlei Konkurrenz. Im Gegenteil, ich freue mich, wenn sie erfolgreich ist.
von Billerbeck: Nun haben Sie ja auch zusammen gespielt, in einer Komödie „Josef und Maria“, aber vor allen Dingen „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Wie geht man nach so einem Stück nach Hause in die gemeinsamen vier Wände, nachdem man sich vorher an die Gurgel gegangen ist?
Thate: Wir haben uns natürlich weitergestritten. Das heißt ...
von Billerbeck: Wie lange?
Thate: Im Grunde genommen waren wir noch in einer gewissen Fahrt, ja: Du hast wieder da die Pause nicht gehalten und dann hast du mit der Platte nach mir geworfen und du hast sie nicht in die richtige Richtung, die hätte beinah mein Bein getroffen! – und so. Und ich sage: Ja, und was hast du gemacht? Du hast mich hängen lassen, als ich reinkam und eine Pause, wo ganze Elefantenherden hätten reinfallen können. – Ja, da hat mir der Text gefehlt, oder so was.
von Billerbeck: Wie gleicht man wieder aus, wie kommt man dann wieder in so ein normales „Gib mir mal bitte die Milch rüber, Schatz“.
Thate: Das Leben ist doch ein Spiel.
von Billerbeck: Angelica Domröse, die ist gerade 70 geworden, Sie sind beide Widder und wahrscheinlich auch relativ typische Vertreter dieses Sternbildes. Sie spielt wieder in einem Film, Sie spielen nicht, was fehlt Ihnen?
Thate: Die Drehbücher. Im Grunde genommen gelte ich als, glaube ich, zu schwierig oder so. Dabei bin ich es nicht. Ich knie vor Intelligenz, ich finde, nur Blödheit, da werde ich natürlich pampig, das stimmt. Aber wenn Intelligenz an mich herantritt, dann werde ich fromm.
von Billerbeck: Liebe Regisseure, ich hoffe, das haben Sie jetzt gehört und Sie liefern jetzt mal demnächst anständige Drehbücher für Hilmar Thate.
Thate: Na ja, es gibt einen Traumstoff, das ist …
von Billerbeck: Welchen?
Thate: „Das etruskische Lächeln“. Das ist ein Roman, von einem Spanier geschrieben, spielt aber in Italien. Eine grandiose Figur, ein alt gewordener König Lear auf heute, ein wandelnder Olivenbaum, der nicht von Sizilien weggekommen ist, ein Leben lang auf seinem Berg gehockt hat und Krebs kriegt.
Und er wird von seinem Sohn abgeholt, und sie fahren zum ersten Mal in seinem Leben durch den Stiefel und machen in Rom Halt. Und er geht in ein Museum und sieht dieses Bildnis, „Das etruskische Lächeln“, und kommt in ein Staunen, was er so noch nie erlebt hat. Entdeckt plötzlich, dass es etwas gibt, was er auf dem Berg natürlich nicht wahrnehmen konnte, auf dem er ein Leben lang verhaftet war.
Das ist eine ganz große poetische Geschichte, und von so was träumt man. Von so einer vergleichbaren Figur, wenn die mir einer schriebe! Da gibt es Wolfgang Kohlhaase, den ich sehr mag und der wunderbare Bücher schreibt – ob das sein Stoff wäre, weiß ich nicht, aber es müsste ein dichterischer Mensch ran, der für so was zu haben ist.
von Billerbeck: Im Zusammenhang mit Älterwerden und Altsein wird immer gern von Demut gesprochen, man werde demütiger und dankbarer – gilt das auch für Sie?
Thate: Demut ist ein Begriff, den ich ein Leben lang für mich gehalten habe, nicht erst im Alter. Ich hatte den Anspruch, das zu wollen, ich wollte aus Dölau raus, als ich noch ein Knäblein war, aus dem Dorf raus, ich wollte wissen, was hinter Halle ist, und als ich hinter Halle war, wollte ich wissen, was da weiter ist.
Und heute interessiert mich das All. Und wenn ich aufhören würde, zu lieben, dann – habe ich irgendwann mal gesagt – möchte ich lieber ein Strahl sein, der durchs All saust. Oder so was Ähnliches.
von Billerbeck: Wir hatten mit Ihrem Buch angefangen, mit Ihrer Autobiografie „Gestern, als ich noch Kind war“, die erschien, da waren 75 – jetzt sitzen Sie, hab ich gelesen, wieder an einem Buch, und zwar über ein Thema, das man nun gerade nicht erwarten könnte, wenn einer 80 ist: Sie schreiben ein Buch über Ihre Niederlagen – warum das?
Thate: Weil ohne Fehler gibt es keine Erfolge. Die Herausforderungen, die wir brauchen, um uns zu entwickeln, kann man auch Fehler nennen oder Missgeschicke. Es passiert jedem von uns. Man muss es nur wahrnehmen und muss damit umgehen. Mit den Fehlern fertig werden, heißt, etwas gewinnen. Und Gewinne fallen nicht vom Himmel, sondern man muss durch das Gewühle des Daseins auch sich selber behaupten – wollen und können.
von Billerbeck: Hilmar Thate war das, der wird heute unglaubliche 80 Jahre alt. Ganz herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Thate: Ich bedanke mich bei Ihnen!
Seine Darstellung von Shakespeares „Richard III.“ ist bis heute legendär, er hat auch in Filmen gespielt, von Rainer Werner Fassbinder, Ingmar Bergman, Michael Haneke und Volker Schlöndorff. Er liest und singt Brecht, man kennt ihn als Hörbuchstimme und als Vorleser aus seiner Autobiografie. Hilmar Thate, ganz herzlich willkommen!
Hilmar Thate: Danke!
von Billerbeck: Als vor ein paar Tagen der Deutsche Filmpreis vergeben wurde, eine Veranstaltung geballter Eitelkeiten, da gab es für mich einen berührenden Moment, nämlich, als sich der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase mit den Worten für den Preis bedankte, dass man in jedem Alter Ermutigung brauche, auch mit 80. Geht Ihnen das auch so?
Thate: Ja, wenn sie nicht von außen kommt, die Ermutigung, also von meiner Außenwelt, dann versuche ich sie selber herzustellen.
von Billerbeck: Wie machen Sie das?
Thate: Atemübungen, schlicht und einfach t-i-e-f durchatmen – nein, seine Mitte suchen und Gelassenheit entwickeln, eine gewisse Gelassenheit und eine Betrachtungsfähigkeit zu bewahren und eine Sichtweise, und neugierig muss man sein. Neugierig, wahrnehmungsfähig – wenn ich das nicht mehr hätte, dann neige ich zur Depression, ja.
von Billerbeck: Sie sind in Dölau bei Halle an der Saale geboren, Ihr Vater war Schlosser, allerdings ein sehr musischer, ein sehr musikalischer Mensch. Bekamen Sie von ihm und Ihrer Mutter immer das Gefühl, du bist richtig so, wie du bist?
Thate: Im Wesentlichen ja. Mein Vater sowieso, der war ein Musenmensch, der immer auch so ... Wenn er kratzig wurde, hat er gesagt: Man weiß zu wenig, man weiß zu wenig, Herrgott, man müsste mehr wissen. Meine Mutter hat sich da keine Sorgen drum gemacht, hatte so den Ton drauf: Ach, die werden das schon machen. Eine sehr einfache und sehr realistische Frau – und sehr gerecht vor allem, sehr gerecht.
von Billerbeck: Sind Frauen im Allgemeinen etwas realistischer, etwas handfester als Männer?
Thate: Aber ja! Aber ja, sie sind auch intelligenter.
von Billerbeck: Das müssen Sie jetzt sagen, weil ich Ihnen gegenübersitze.
Thate: Nein, nein, das ist meine Meinung. Auch weil Sie mir gegenübersitzen, das spielt eine gewisse Rolle, aber ich verallgemeinere das, im Großen und Ganzen finde ich schon die Frauen realistischer und auch schneller im Denken. Männer neigen im Zweifelsfall zur Spinnerei. Ich weiß nicht, wenn die Frauen an der Macht wären – ich glaube, sie sind bewusst nicht an der Macht, weil wenn sie an der Macht wären, würden sie auch so werden, wie die Männer jetzt sind. Also eine gewisse Degeneriertheit lässt sich nicht übersehen, sagen wir so.
von Billerbeck: Sie machen Ihrem Ruf wieder alle Ehre, nicht auf den Mund gefallen zu sein. Hat Ihnen das immer genutzt?
Thate: Nein, es hat mir nicht nur genutzt, es hat mir auch geschadet. Aber ich kann nicht anders, Gott helfe mir.
von Billerbeck: Es gab ja den Weggang aus der DDR, nachdem Sie und Angelica Domröse gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann protestiert hatten und diesen Brief unterschrieben haben. Dann gab es jahrelang keine Rollen mehr für zwei, oder ganz wenig.
Thate: Keine ist übertrieben, aber es wurde sortiert. Auf keinen Fall durften wir zusammen auftreten, und dann musste jedes Mal telefoniert werden, ob wir ...
von Billerbeck: Ob es geht oder nicht.
Thate: ... besetzt werden können, ja.
von Billerbeck: Aber das waren jedenfalls ein paar schwierige Jahre, von 1976 bis 1980, bis zum Weggang.
Thate: Ja, klar.
von Billerbeck: War das der schmerzlichste Bruch in Ihrem Leben?
Thate: Ja. Nun hatte ich meinen Sinn für Pferde entdeckt, ich war mehr im Pferdestall, sowieso, lange Zeit. Als ich im deutschen Theater meine Schwierigkeiten bekam, habe ich mich nur im Pferdestall rumgedrückt und ich habe Theater nicht so wichtig genommen.
von Billerbeck: Geht das als Schauspieler?
Thate: Es geht, ja. Weil ich habe nicht Angst davor, auf die Bühne zu gehen, sondern ich geh gern auf die Bühne, aber ich wüsste jetzt im Moment gar nicht, mit wem, wo ist ein Team, wo ich mich wohlfühlen könnte oder wo ich sagen könnte, wir sprechen eine gemeinsame Grundsprache, wir haben eine Themenverwandtschaft oder so. Ich weiß es nicht. Das noch Berliner Ensemble, was ich ja nicht mehr BE, sondern PE nenne.
von Billerbeck: Wegen Peymann?
Thate: Ja. Das sollte man umnennen. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, was sich da abtut. Also, weil das ist das Theater Brechts und der Helene Weigel, und der Peymann hat als Erstes das Zimmer Brechts zerstört und das Weigel-Zimmer zerstört. Und Herr Zadek, Gott hab ihn selig, hat Karl von Appen, der ein großer weltberühmter Bühnenbildner war und Maler, und er hatte noch ein Zimmer da und da gab es Modelle und so weiter, das hat er entsorgen lassen. Schlimm – Barbaren können sie auch sein, die großen Künstler. Das ist das Seltsame: Charakter und Begabung fallen oft auseinander.
von Billerbeck: Nach dem Bruch und diesem erzwungenen Weggang aus der DDR haben Sie und Ihre Frau Angelica Domröse ja irgendwie ein neues Leben angefangen, und das war ja sicher nicht einfach. Bis dahin hat sie jeder gekannt. Angelica Domröse hat in einem Film gesagt: In der DDR konnte ich nirgendwo einen Kaffee trinken gehen oder ins Kino gehen, ohne dass das nicht registriert wurde, und plötzlich, drei Kilometer weiter, kannte mich kaum jemand.
Wie schwer war dieser Neuanfang, nicht bloß mit geringerer Popularität am Anfang, sondern überhaupt, wenn man mitten im Leben noch mal neu anfängt?
Thate: Ich hab das nicht so empfunden. Wir wurden von bestimmten bemerkenswerten Machern, also Regisseuren und Theaterleitern, gekannt. Fassbinder wusste alles über mich. Ingmar Bergman nicht so sehr, aber der kam ins Zimmer rein und sagte in seinem schwedischen Ton: Ich bin der Ingmar, und wer bist du? Ich sagte: Ich heiße Hilmar Thate. Dann bist du der Hilmar, wir sagen Du zueinander, gell?
Er war ein großartiger Mitarbeiter und ebenso Fassbinder, ein Genie, würde ich sagen. Er hatte den Film im Kopf und hat das so beiläufig gemacht, so ohne Belastung, also er blieb immer spielerisch. Sicher gibt es Leute, die er tyrannisiert hat – die Kehrseite der Medaille gibt es ja immer –, aber ich hatte ein großes Glück mit ihm, ich hab ihn geliebt. Und er mochte mich, glaube ich, auch.
von Billerbeck: Sie sind seit 1976, also seit fast 35 Jahren, mit der schönsten Frau, die Sie damals haben konnten, muss man sagen, mit Angelica Domröse zusammen und seit von einigen Kollegen darum schwer beneidet worden, und die haben sich gefragt, wie hat er das bloß angestellt. Und in einem Film haben Sie gesagt: Es gibt kein schlechtes Foto von ihr. Wie wichtig ist diese Frau und wie wichtig ist diese Liebe zu dieser Frau?
Thate: Das ist mein Leben, die Frau meines Lebens – geworden. Das heißt nicht, dass wir nur in Friede, Freude, Eierkuchen leben – wenn man über 30 Jahre zusammen lebt und sich noch länger kennt, ist das, glaube ich, nicht möglich, dass es nur Perlen auf die Schnur gezogen sind. Aber im Wesentlichen dominiert ein Grundmaßstab, den wir haben fürs Leben, der ist permanent und den haben wir in einer gewissen Gemeinsamkeit.
von Billerbeck: Andere Lieben haben das auch nicht ändern können?
Thate: Nein, nein, nie!
von Billerbeck: Nun kennt man das ja aus vielen Berufen, dass es nicht unbedingt einfach ist, einen Mann oder eine Frau zu lieben, die nicht nur den gleichen Beruf hat, sondern darin auch noch genauso gut ist. Wie war das mit der Konkurrenz innerhalb dieser Schauspielerbeziehung, dieser Schauspielerehe?
Thate: Ich habe keinerlei Konkurrenz. Im Gegenteil, ich freue mich, wenn sie erfolgreich ist.
von Billerbeck: Nun haben Sie ja auch zusammen gespielt, in einer Komödie „Josef und Maria“, aber vor allen Dingen „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Wie geht man nach so einem Stück nach Hause in die gemeinsamen vier Wände, nachdem man sich vorher an die Gurgel gegangen ist?
Thate: Wir haben uns natürlich weitergestritten. Das heißt ...
von Billerbeck: Wie lange?
Thate: Im Grunde genommen waren wir noch in einer gewissen Fahrt, ja: Du hast wieder da die Pause nicht gehalten und dann hast du mit der Platte nach mir geworfen und du hast sie nicht in die richtige Richtung, die hätte beinah mein Bein getroffen! – und so. Und ich sage: Ja, und was hast du gemacht? Du hast mich hängen lassen, als ich reinkam und eine Pause, wo ganze Elefantenherden hätten reinfallen können. – Ja, da hat mir der Text gefehlt, oder so was.
von Billerbeck: Wie gleicht man wieder aus, wie kommt man dann wieder in so ein normales „Gib mir mal bitte die Milch rüber, Schatz“.
Thate: Das Leben ist doch ein Spiel.
von Billerbeck: Angelica Domröse, die ist gerade 70 geworden, Sie sind beide Widder und wahrscheinlich auch relativ typische Vertreter dieses Sternbildes. Sie spielt wieder in einem Film, Sie spielen nicht, was fehlt Ihnen?
Thate: Die Drehbücher. Im Grunde genommen gelte ich als, glaube ich, zu schwierig oder so. Dabei bin ich es nicht. Ich knie vor Intelligenz, ich finde, nur Blödheit, da werde ich natürlich pampig, das stimmt. Aber wenn Intelligenz an mich herantritt, dann werde ich fromm.
von Billerbeck: Liebe Regisseure, ich hoffe, das haben Sie jetzt gehört und Sie liefern jetzt mal demnächst anständige Drehbücher für Hilmar Thate.
Thate: Na ja, es gibt einen Traumstoff, das ist …
von Billerbeck: Welchen?
Thate: „Das etruskische Lächeln“. Das ist ein Roman, von einem Spanier geschrieben, spielt aber in Italien. Eine grandiose Figur, ein alt gewordener König Lear auf heute, ein wandelnder Olivenbaum, der nicht von Sizilien weggekommen ist, ein Leben lang auf seinem Berg gehockt hat und Krebs kriegt.
Und er wird von seinem Sohn abgeholt, und sie fahren zum ersten Mal in seinem Leben durch den Stiefel und machen in Rom Halt. Und er geht in ein Museum und sieht dieses Bildnis, „Das etruskische Lächeln“, und kommt in ein Staunen, was er so noch nie erlebt hat. Entdeckt plötzlich, dass es etwas gibt, was er auf dem Berg natürlich nicht wahrnehmen konnte, auf dem er ein Leben lang verhaftet war.
Das ist eine ganz große poetische Geschichte, und von so was träumt man. Von so einer vergleichbaren Figur, wenn die mir einer schriebe! Da gibt es Wolfgang Kohlhaase, den ich sehr mag und der wunderbare Bücher schreibt – ob das sein Stoff wäre, weiß ich nicht, aber es müsste ein dichterischer Mensch ran, der für so was zu haben ist.
von Billerbeck: Im Zusammenhang mit Älterwerden und Altsein wird immer gern von Demut gesprochen, man werde demütiger und dankbarer – gilt das auch für Sie?
Thate: Demut ist ein Begriff, den ich ein Leben lang für mich gehalten habe, nicht erst im Alter. Ich hatte den Anspruch, das zu wollen, ich wollte aus Dölau raus, als ich noch ein Knäblein war, aus dem Dorf raus, ich wollte wissen, was hinter Halle ist, und als ich hinter Halle war, wollte ich wissen, was da weiter ist.
Und heute interessiert mich das All. Und wenn ich aufhören würde, zu lieben, dann – habe ich irgendwann mal gesagt – möchte ich lieber ein Strahl sein, der durchs All saust. Oder so was Ähnliches.
von Billerbeck: Wir hatten mit Ihrem Buch angefangen, mit Ihrer Autobiografie „Gestern, als ich noch Kind war“, die erschien, da waren 75 – jetzt sitzen Sie, hab ich gelesen, wieder an einem Buch, und zwar über ein Thema, das man nun gerade nicht erwarten könnte, wenn einer 80 ist: Sie schreiben ein Buch über Ihre Niederlagen – warum das?
Thate: Weil ohne Fehler gibt es keine Erfolge. Die Herausforderungen, die wir brauchen, um uns zu entwickeln, kann man auch Fehler nennen oder Missgeschicke. Es passiert jedem von uns. Man muss es nur wahrnehmen und muss damit umgehen. Mit den Fehlern fertig werden, heißt, etwas gewinnen. Und Gewinne fallen nicht vom Himmel, sondern man muss durch das Gewühle des Daseins auch sich selber behaupten – wollen und können.
von Billerbeck: Hilmar Thate war das, der wird heute unglaubliche 80 Jahre alt. Ganz herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Thate: Ich bedanke mich bei Ihnen!