Unberechenbare Fotos

Von Imke Schridde · 10.04.2006
Der Texaner Ryan Gallagher hat eine neue Form des Fotografierens erfunden, die sich in Windeseile weltweit verbreitet hat, und zu so etwas wie einem neuen Genre in der Fotografie zu werden scheint. Von den USA, Kolumbien und Equador über Portugal bis England und Deutschland werfen Menschen ihre Kamera seit neuestem in die Luft, wo sie sich dreht und wieder Richtung Boden fällt - und vor allem ganz besondere Fotos schießt.
"Ich hab’s halt erstmal zu Haus auf der Couch ausprobiert- und auch gar nicht zu hoch, sondern einfach nur kurz gedreht und geschaut: Wie sieht’s aus …"

"Ja, man muss halt fangen können- das ist das Entscheidende."

Natürlich kennen diese Hobby-Fotografinnen den Namen Ryan Gallagher. Schließlich wären sie ohne ihn womöglich nie zu ihrer neuen Leidenschaft gekommen: dem Camera-Tossing.

"Das war vielleicht am Anfang so, dass man sich gefreut hat, wenn man heil mit der Kamera wieder nach Hause gekommen ist. Jetzt nach 'ner Zeit, denkt man da nicht mehr so dran; ist halt wie mit Autofahren; irgendwann passiert halt mal ein Unfall - dagegen kann man nichts machen."

" Jede Kamera verhält sich anders. Wenn die sehr klein und kompakt sind, kann man die toll werfen, man kann 'nen tollen Spin reinbringen. Es gibt aber auch welche, die klobiger sind; da muss man erstmal ausprobieren: Wie fliegt das Ding eigentlich, was hat das für 'ne Flugphysik sozusagen."

Ryan Gallagher scheint es eher unangenehm zu sein, einen solchen Hype verursacht zu haben. Er ist ein zurückhaltender Lichttechnik- und Computer-Freak, 28 Jahre alt, der allen Texaner-Klischees widerspricht: nicht sehr groß gewachsen, schmächtig, mit schmalen Fingern und langem Pferdeschwanz im Nacken. Er verbringt Stunden vor dem Rechner, um Internet-Seiten des Foto-Blog-Portals flickr.com mitzugestalten

"Ich finde den sozialen Aspekt von Blogs wie flickr.com sehr interessant. Schon seit längerem gründe ich dort Rubriken zu bestimmten Themen. Dann kann jeder seine Photos zu diesem Thema ins Netz stellen, man kann sich austauschen und gegenseitig inspirieren. Und als ich dann meinen ersten Kamera-Wurf gemacht hatte, dachte ich: Das würde eine klasse Flickr-Rubrik abgeben. Ich hab sie also gegründet und von da an gab es dann diese unglaubliche Kettenreaktion."

Der erste Wurf - die Geburt des Camera-Tossings - ist einem Zufall zu verdanken: Eines Tages im Herbst letzten Jahres war Gallagher mal wieder ziemlich genervt von seiner Digicam, die nur verschwommene Nachtbilder zustande brachte. Er reizte das Manko noch aus, indem er die Kamera einfach in die Luft warf. Was er dann auf dem Display sah, überraschte ihn: Psychedelische Muster in zahlreichen Farben. Fotos, die aussehen, als hätte man die Kamera auf einen sich drehenden Plattenteller gelegt; oder leuchtende Schlieren, die an die Struktur einer DNA-Doppelhelix erinnern

"Du übergibst die Kamera-Bewegung physikalischen Kräften - das ist die Grundidee. Auch wenn natürlich das Ergebnis immer noch davon abhängt, wie man wirft oder auch davon, wie lange du belichtest."

Die Ergebnisse sind unberechenbar. Anfangs hat Gallagher die Kamera draußen in die Luft geworfen - nachts in durch Bars beleuchteten Straßen; oder auch im Hellen mal geworfene Porträts versucht. Seine neuesten Werke allerdings sind in einem völlig abgedunkelten Zimmer entstanden - mit zahlreichen kleinen Lampen-Konstruktionen. Daher rührt Gallaghers ganz eigener Stil: Dichte, wie gezeichnete Muster sind darunter und spiralförmige Strudel in weichen Farben. Bilder, die einen Wissenschaftler genauso faszinieren wie einen romantischen Träumer.

"Für meine Fotografien sind Lichtquellen das Allerwichtigste. Zum Beispiel Weihnachts-Lichterketten; eigentlich alles Leuchtende mit einer interessanten Struktur. Das kommt wahrscheinlich auch daher, dass ich am College Lichtdesign studiert habe, und dass jetzt meine andere Beschäftigung ein Job als Bühnenlichttechniker ist."

Im Center of Performing Arts in Austin/ Texas - wo er studiert hat und jetzt auch lebt - arrangiert Gallagher die Beleuchtung für Schauspieler und Tänzer. Damit verdient er seinen Lebensunterhalt. Licht fasziniert ihn so lange er denken kann. Früh experimentierte er damit auf der Bühne; und - seit er vor ein paar Jahren von einem Freund eine Digitalkamera geschenkt bekam - auch in der Fotografie: Da hatten es ihm zunächst Physiogramme angetan: Fotos, die durch im Dunkeln bewegte Lichtquellen entstehen, zum Beispiel durch eine beleuchtete Spielzeugeisenbahn oder dadurch, dass eine zweite Person vor der Kamera-Linse mit Lichterketten umherwirbelt.
Aber: warum die Objekte in Bewegung bringen, wenn es so viel einfacher ist, die Kamera in die Luft zu werfen …

"Ich plane in Zukunft noch viele Kamera-Würfe mit ganz verschiedenen Dingen vor der Linse zu machen. Aber auch ganz andere Photos, die mit Bewegung zu tun haben - durch das Camera-Tossing habe ich tausend Ideen bekommen. Und ich glaube, es hat auch anderen tausende von neuen Ideen gegeben."

Der Hype um das Camera-Tossing hat für Gallagher natürlich auch seine guten Seiten: In den vergangenen Wochen hat er acht seiner Werke verkauft. Und übrigens: Gecrashed hat er beim Werfen noch keine einzige Kamera.

"Throwing cameras on purpose is not as dangerous as you think, I haven’t broken any by throwing them but I did it otherwise."