Unbekannte Bauhaus-Wurzeln

Von Günther Beyer · 28.08.2005
Bei Bauhaus denken die meisten an kühle Funktionalität. Dabei war das Bauhaus in seiner ersten Phase auch stark weltanschaulich geprägt. Die Ausstellung "Das Bauhaus und die Esoterik" im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm beleuchtet nun diesen weitgehend unbekannten Aspekt.
Was "typisch Bauhaus" ist, glauben wir zweifelsfrei zu erkennen: Zum Beispiel die eleganten Freischwinger aus Stahlrohr von Marcel Breuer. Oder die halbkugelförmige Tischlampe von Wilhelm Wagenfeld. Und natürlich das Bauhausgebäude in Dessau selbst, 1925 entworfen von Walter Gropius. Bauhaus-Design, das sind Entwürfe, die schön sind, weil sie funktionsgerecht sind und sich in Serien industriell herstellen lassen. So hat das Bauhaus Kunstgeschichte geschrieben.
Das aber ist nicht die ganze Wahrheit, betont der Kunsthistoriker Christoph Wagner.

"Die These ist, dass das Bauhaus abweichend von dem Bild, das von der Bauhaus-Rezeption verbreitet ist, dass das Bauhaus auf Rationalität und Technik orientiert ist, in der Frühphase in Weimar sehr stark mit weltanschaulichen Verbindungen zu verstehen ist. Es ging am Weimarer Bauhaus nicht nur um die Ausbildung von Künstlern, sondern um die Bildung eines "neuen Menschen"."

Von weltanschaulichen Strömungen teils dubioser Couleur wurde das Bauhaus in seiner ersten Phase umspült - esoterische Heilslehren, Astrologie, Anthroposophie und Mystik hatten unter den Lehrenden einflussreiche Anhänger.

Wagner: "Und wir versuchen, diese Hintergründe in dieser Ausstellung auszuleuchten."

Gleich am Eingang ist ein weihnachtsbaumgroßer, konisch zulaufender Turm aus farbigen Glasfächern zu sehen, die den funkelnden Kreisel in eine rasante Drehbewegung zu versetzen scheinen.

Wagner: "Es handelt sich um das erste Hauptwerk von Johannes Itten, das am Bauhaus entstanden ist. Dieses Werk wurde lange Zeit als "Turm des Feuers" angesprochen. Der authentische Titel ist "Turm des Lichts", und ich könnte zeigen auf der Basis der Quellengrundlage, dass dieser "Turm des Lichts" als ein Weltanschauungskunstwerk symbolisch den Entwicklungsgang der Menschheit verkörpern soll, den Aufstieg von unten, vom Materiellen, zum Geistigen, zum Logos, zu Gott hin."

Der Schweizer Johannes Itten unterrichtete die Vorkurse. Er war Anhänger der Mazdaznan-Bewegung, die spezielle Heils- und Heilungslehren sowie strenge vegetarische Diäten propagierte.

Wagner: "Er hat ganz programmatisch nach dem Besuch eines Mazdaznan-Kongresses in Leipzig eine Lithografie ausgearbeitet, in der er einen Spruch von Hanish, dem Gründer der Mazdaznan-Bewegung, illustriert hat, und dieses Blatt ist in die erste Bauhaus-Mappe eingegangen."

Esoterisches, Okkultes, Übersinnliches wird in Hamm zwischen dunkel gestrichenen Wänden inszeniert.

Schwinzer: "Die im Zentrum des Ganzen, in einer Kreuzform gehalten wurde, die dann schwarz gestaltet ist..."

Ellen Schwinzer, Direktorin des Gustav-Lübcke-Museums.

Schwinzer: "... das ist das Herzstück der Ausstellung. In diesen Kreuzesarmen werden dann auch die großen Drei - also Johannes Itten, Paul Klee und Wassily Kandinsky - mit ihren Werken vorgestellt."

Acht Themenbereiche gliedern mit goldfarbenen Kapitelüberschriften wie "Esoterische Hieroglyphen" oder "Der Mensch im Farbkreis" die rund 200 Exponate. Für Johannes Itten und Wassily Kandinsky ist der Mensch eingebettet in eine Aura des Farbigen. Dem liegt eine übersinnliche Systematik zugrunde, wonach es blaue, gelbe und rote Menschen gibt. Noch heute steht bei den alljährlichen sommerlichen Farbfesten in Dessau immer eine bestimmte Farbe im Vordergrund - an diesem Wochenende die Farbe Violett.

In der Abteilung "Tod und Wiedergeburt" illustriert eine knallig bunte Sargbemalung Jenseitsvorstellungen. Ein solches "Totenhaus der Frau" und ein "Totenhaus des Mannes" hatte einst Lothar Schreyer, "Meister" der Bühnenklasse, in seinem Atelier stehen.

Weber: "Von diesen Särgen waren bisher nur die Berichte in seinen Erinnerungen bekannt und ein Foto."

Klaus Weber, Mitarbeiter am Berliner Bauhaus-Archiv.

Weber: "Und im Nachlass des Künstlers tauchte nun ein originalgroßer Karton zum "Totenhaus der Frau" auf, von dem wir bisher überhaupt keine Ahnung hatten. Er wurde speziell für diese Ausstellung hier in Hamm restauriert und wird hier zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt."

Schreyers Entwurf lässt an Mumiensarkophage, an altägyptische Vorstellungen von Wiedergeburt denken.

Freilich ernteten die Esoteriker auch Widerspruch und Spott. Mit flottem Strich karikierte Paul Citroen eine völlig vom Fleische gefallene "Frau Weiss aus Basel", die sich offenbar nach den Rezepturen der Esoteriker ernährte. Paul Klees Verhältnis zum Übersinnlichen war ambivalent. Mal warf er süffisant eine "verzückte Priesterin", mal "Zahlenspiele (aus einer Zeitschrift für Mystik)" - so der Titel - aufs Papier. Einerseits erklärte er 1920: "Diesseitig bin ich gar nicht fassbar". Andererseits machte er sich über die rigiden Diäten der Mazdaznan-Jünger lustig: Er, Klee, denke nicht daran, "auf dem Weg über den gereinigten Darm in den Himmel" zu kommen.

Möglich geworden ist die Ausstellung erst, nachdem lange gehütete Nachlässe, etwa der von Johannes Itten, unlängst wissenschaftlicher Forschung zugänglich wurden. Vor allem aber haben die Bauhäusler selbst dafür gesorgt, dass die esoterischen Flegeljahre lange Zeit wenig beachtet geblieben sind.

Wagner: "Das diente ein Stück weit dem Selbstschutz, aber auch natürlich dem Verbreiten eines gewissen Images des Bauhauses, das ja weltweit dann auch von Erfolg getragen ist. Aber es blendet eben ein Stück historischer Wahrheit aus, das nun in dieser Ausstellung in Werken zu sehen ist."

Die Ausstellung ist noch bis zum 09.01.2006 zu sehen.