Unbefriedigender Patchwork-Roman

07.11.2006
André Kubiczek hatte sich mit seinem letzten Roman "Die Guten und die Bösen" als angry young man der deutschen Literaturszene eingeführt. In seinem neuen Buch "Oben leuchten die Sterne" wirft er diverse Handlungsstränge aus, ohne die Fäden wieder elegant zusammen zu führen. Die einzelnen Episoden sind zwar spannend, bleiben aber unzusammenhängend, was den Roman wie Flickwerk erscheinen lässt.
André Kubiczek gilt als eines der interessantesten Talente der deutschen Gegenwartsliteratur. Sein letztes Buch, "Die Guten und die Bösen", war ein verwilderter Berlin-Roman, der sich als kantiges Gegenstück zur Erfolgskomödie "Good Bye Lenin" lesen ließ, zum Kino der gesamtdeutschen Rührung und Versöhnung.

Kubiczek, der "angry young man", widmete sich darin in polemischer, aber immer eloquenter Darstellung den mehr oder weniger feinen Unterschieden: Ostler versus Westler, arme Schweine gegen dekadente Schweine, Imbissbude kontra Schuh-Boutique. Den idiosynkratischen Ekel des Lifestyle-Geschädigten erregte die schöne, neue Welt der Design-Finessen und Sushi-Bars, der "kotelettchenverbrämten Männergesichter" und "Après-Movie-Parties", der Medienmenschen und Zeitgeist-Surfer. Gewiss waren Kubiczeks Figuren comichaft überzeichnet und aufs Klischee reduziert. Bevor irgend jemand dies jedoch bemängeln könnte, hatte der Autor selbst die Versimpelung als Methode seiner skurrilen Underground-Ästhetik kenntlich gemacht.

Auch wütende junge Männer werden jedoch älter, aus literarischen Trashpiloten wollen seriöse Romanciers werden. Rock und Bender, zwei Mittdreißiger, die nach dem Studium den Absprung in die etablierte Arbeitswelt noch nicht geschafft haben, stehen im Zentrum des neuen Romans: typische Gestalten des neuerdings so genannten intellektuellen Prekariats, der "Generation Praktikum". Der Roman verschafft ihnen, nach Erörterung der weitgehend aussichtslosen Lage, Abwechslung: Man unternimmt gemeinsam eine Reise, zuerst in den Harz, wo eine Testamentseröffnung zu absolvieren ist, dann weiter ins Süddeutsche, Visite bei Rocks Mittelstands-Eltern.

Ein zweiter Handlungsstrang beschäftigt sich derweil mit drei ebenfalls nicht mehr ganz jungen Frauen, die mit verbummeltem Studium und kurzfristiger lokaler Punkrockkarriere zeitgemäß verstolperte Lebensläufe aufweisen. Eine hat ein Kind von Rock, wodurch ein gewisser Zusammenhang mit dem ersten Strang verbürgt ist. Kubiczek schildert die Sorgen und Nöte dieser "prekären" Figuren mit Empathie und gelegentlich interessanten Reflexionen. Nur: ein Roman wird so noch nicht daraus. Deshalb wird die Gegenwartshandlung (wieder einmal) unterkellert mit düsterer Zeitgeschichte.

Schon das Testament von Benders Großvater, der offenbar nicht nur der einfache Arbeiter im stillgelegten Stahlwerk war, setzt Rock und Bender auf eine geheimnisvolle Spur in die Vergangenheit. Dann bricht die Handlung in der Mitte unvermittelt ab, und ein ganz neuer Roman beginnt. Er reicht zurück in den Kalten Krieg und die Hitlerzeit. Mit vielen Details und permanent ominösem Unterton wird von einer Art Geheimgesellschaft erzählt, die sich zunächst um die Rückholung deutscher Kriegsgefangener aus Russland kümmerte, dann zu einer straff antikommunistischen Organisation mutierte. Diverse Agenten treten auf, ihre Rivalitäten untereinander werden geschildert und ihre Aktionen, mit denen die damalige "Ostzone" infiltriert, unterwandert und schließlich zu einem offenen Aufstand gebracht werden sollte.

Der 17. Juni 1953 ist ein Schlüsselereignis in diesem Teil des Romans. Schließlich wird auch für den Leser deutlich, dass all dies zur Vorgeschichte von Benders Großvater gehört. Für eine bloße Vorgeschichte freilich werden diese Vorgänge allzu breit und selbstzweckhaft entfaltet. Erst auf den letzten 30 Seiten kommt Kubiczek zurück auf das junge Personal, mit dem er die erste Hälfte bestritten hatte. Jetzt werden die beiden Romane zusammengeführt; ein überzeugendes Buch entsteht allerdings nicht mittels dieser Hauruck-Aktion.

Man liest das Buch durchaus mit Spannung, allein schon um die vielen Fährten, die Kubiczek auslegt, zu ihrem Ende oder wenigstens ihrer Kreuzung mit anderen Fährten zu verfolgen. Der Autor will dem Leser viel bieten, und so führt er immer noch eine weitere Figur ein, ergeht sich in einer weiteren Nebenhandlung, einer weiteren Konspiration. Sogar ein Erdbeben gehört zum Programm. So entsteht trotz guter Episoden aufs Ganze gesehen ein atemloser Patchwork-Roman, dessen verfahrene Struktur unbefriedigend bleibt.

Unbefriedigend auch die Sprache. In "Die Guten und die Bösen" hatte der Erzähler Hass im Herzen, aber er schrieb eine elaborierte, witzige Prosa. Der neue Roman dagegen wirkt lustlos erzählt. Immer wieder verfällt er in einen merkwürdig prätentiösen Tonfall: "So begannen die Abenteuer dieser Tage", heißt es zu Beginn; Rock und Bender werden regelmäßig als "unsere Freunde" bezeichnet, und dem Leser wird mit Formulierungen wie "Sie wissen schon" oder "Sie kennen das vielleicht" auf die Schulter geklopft. Man stößt auf viele abgegriffene Wendungen (etwas geht "über die Hutschnur", jemand strahlt "wie ein Honigkuchenpferd") und verunglückte Formulierungen. Da ist die Rede von "Falten, die nicht Erschlaffung suggerieren", und wenn der wachsende Unmut in der DDR gemeint ist, heißt es, "das Volk wurde unmutiger". "Unmutig" am Ende auch der Leser, der auf das nächste Buch von André Kubiczek hofft.

Rezensiert von Wolfgang Schneider

André Kubiczek: "Oben leuchten die Sterne"
Rowohlt Berlin 2006
301 S., 19,90 Euro