"Unangemessenes Gerede"

Klaus Hänsch im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 27.03.2013
Der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, Klaus Hänsch (SPD) hat die Deutschen im Umgang mit der Euro-Krise zu mehr Selbstbewusstsein aufgerufen. Deutschland stünde nicht nur am Pranger. Es gebe auch viel Anerkennung für die deutsche Position.
Korbinian Frenzel: Was war das für eine Idee: Wenn wir erst mal eine Währung haben, dann werden die Europäer immer enger zusammenrücken, sich besser kennen, sich besser leiden lernen, im schönen Haus Europa vielleicht die eine oder andere trennende Wand beseitigen. Das war die Utopie der Gemeinschaftswährung Anfang der 90er-Jahre, als der Euro auf den Weg gebracht wurde.

Wer sich dieses Haus Europa heute anguckt, der hört eigentlich nur noch die Türen knallen. Ja, wir helfen uns zwar, sogar mehr als mal vereinbart, aber mögen tun wir uns immer weniger: Der Norden schaut streng auf die Hallodris im Süden, und dort hat nicht nur ein Demonstrant Angela Merkel schon mal ein Hitlerbärtchen verpasst und dem Finanzminister die Pickelhaube. Und so langsam wächst ein Gedanke: Macht dieser Euro am Ende all das Positive wieder kaputt, was in Europa nach dem Krieg gewachsen ist zwischen den Völkern?

Genau darüber spreche ich jetzt mit einem, der an diesem Europa mitgebaut hat, mit Klaus Hänsch, lange Jahre für die SPD in Brüssel, von 1994 bis 97 war er Präsident des Europäischen Parlamentes. Guten Morgen!

Klaus Hänsch: Guten Morgen, Herr Frenzel!

Frenzel: Herr Hänsch, schadet der Euro Europa?

Hänsch: Nein. Sie haben eben in der Anmoderation einen klaren und wichtigen Satz gesagt: Ja, wir helfen uns ja. Und das ist das Entscheidende – dass wir uns mögen … es wäre schön, wenn es besser wäre als im Augenblick, das ist keine Frage, aber es ist nicht so, dass in Europa die Bundesrepublik Deutschland, die Deutschen, am Pranger stehen oder sich nicht mehr sehen lassen können. Ja, es ist eine Krise, die Türen werden laut geöffnet und noch lauter wieder zugeschlagen, aber wir gehen immer noch durch. Und ich glaube, dass das das Entscheidende ist in der gegenwärtigen Krise.

Frenzel: Wir gehen immer noch durch die Türen, wir helfen uns, das sagen Sie, aber wir helfen uns widerwillig. Heute hat sich die Bundesjustizministerin zu Wort gemeldet, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, hat gesagt, sie erwartet jetzt endlich mal von führenden europäischen Politikern auch so etwas wie Rückendeckung für die Deutschen, dass sie nicht immer die Buhmänner sind. Hat sie da Recht?

Hänsch: Nein, da hat sie nicht Recht, das ist wirklich ein unangemessenes Gerede. Die Deutschen sind nicht die Buhmänner. Gut, es gibt die Bilder, es gibt die Ressentiments, die wieder hervorgezerrt werden in dieser Krise, die ja allen an den Nerven zerrt, das ist das eine, und das müssen wir auch nicht so akzeptieren. Aber wir müssen dazu auch sehen, dass es das andere gibt in der Europäischen Union – und übrigens nicht nur in den sogenannten Nordländern, sondern auch im Süden –: Es gibt eine klare Anerkennung für Deutschlands Position, für Deutschlands Situation, für Deutschlands ökonomische Stärke, eine Anerkennung dafür, dass wir Reformen gemacht haben mit der Agenda 2010 zum Beispiel, die andere jetzt nachholen müssen. Ich war vor 14 Tagen in Portugal, und da ist mir viel an Kritik vorgetragen worden, aber auch diese Art von Anerkennung. Und wenn ich an den polnischen Außenminister Sikorski denke, der als Pole gesagt hat, er fürchtet deutsche Führung in Europa weniger, deutsche Macht in Europa weniger als deutsche Untätigkeit, dann ist das auch ein Deutschland-Bild, das sich in der Europäischen Union gebildet hat.

Frenzel: Aber, Herr Hänsch, wenn wir es mal jenseits der Psychologie betrachten, sondern auch rein ökonomisch, dann hat ja der Euro auch die Reichtumsunterschiede, die Unterschiede zwischen den Ländern in der EU eher verstärkt als ausgeglichen. Ist da nicht grundsätzlich was schiefgelaufen in diesem Projekt?

Hänsch: Ich glaube, dass das nicht allein der Euro ist, sondern dass das tatsächlich daran liegt, dass sich einige europäische Staaten, darunter Deutschland, besser auf die neue Situation, auf die neue globale Situation von Wirtschaft und Sozialem und Ökologie besser eingestellt haben als andere europäische Staaten.

Aber das kann und muss nachgeholt werden, das werden die auch nachholen, und dafür braucht Europa deutsche Führung und gleichzeitig deutsche Einordnung. Das ist unausgesprochen den meisten auch bewusst, aber das ist ein ungeheurer Spagat den die Deutschen und die deutsche Politik aushalten muss, aber den können wir auch aushalten, das ist deutsche Staatskunst in Europa – und übrigens auch deutsche Bürgerstärke. Also ich würde das Ganze, was da jetzt an Kritik und Bildern hervorgezerrt wird, mit gelassenem Selbstbewusstsein durchhalten.

Frenzel: Wie kommen wir denn raus aus dieser Krise, was muss passieren?

Hänsch: Wir kommen damit raus, erstens, dass wir das tun, was Solidarität innerhalb der Europäischen Union, in einer Völkergemeinschaft, für die es kein historisches Beispiel gibt, notwendig ist, und es ist auch notwendig, dass wir uns weder wirtschaftlich noch politisch wegducken.

Wir sind nun mal die Größten in Europa, die Geografie stellt uns ins Zentrum Europas, und wir sind auch wirtschaftlich die Mächtigsten. Und damit müssen wir und die anderen in Europa leben, und alle kommen wir damit besser zurecht in der Union und mit dem Euro als ohne. Und im Übrigen müssen wir zeigen, dass es vielleicht in der praktischen Politik, dass es in der gegenwärtigen Situation wichtig ist, zu sparen, wichtig ist, Reformen durchzuführen, und dass das auch durchgehalten werden muss. Aber wichtig ist, zugleich dafür zu sorgen, dass Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sich in den Krisenländern wieder entwickeln können. Und dazu muss die Bundesrepublik, wie übrigens auch die anderen europäischen Staaten, ihren Beitrag leisten – und das tun wir ja.

Frenzel: Wollen wir es vielleicht auch mal so pragmatisch sehen wie die Engländer, die sagen, Europa ist eine schöne Idee, wir behalten all das, was funktioniert, der Binnenmarkt, meinetwegen das Erasmusprogramm, aber wir lassen endlich die Dinge, die nicht funktionieren, zum Beispiel die Gemeinschaftswährung?

Hänsch: Ich halte das nicht für pragmatisch, das ist eine Illusion. Die Europäische Union, wie überhaupt Politik, ist ja kein Labor, in dem man mal einen Versuch machen kann, und wenn man merkt, der funktioniert nicht, dann bricht man ihn wieder ab und macht einen neuen.

Frenzel: Die Zyprioten denken das, glaube ich, gerade, dass sie im Labor sind.

Hänsch: Bitte?

Frenzel: Die Zyprioten denken das, glaube ich, gerade, dass sie im Labor sind.

Hänsch: Ja, die haben sich eben auch ihre Illusionen gemacht, wie die Briten das im Augenblick ja tun. Deren Wirtschaft geht es, obwohl sie nicht im Euro sind, nicht besser, sondern es geht genau so schlecht. Sie haben auch Versäumnisse in der Vergangenheit aufzuarbeiten, und die britische Währung steht nicht besser da, eher schlechter, als der Euro. Also was die Briten anlangt, das sehe ich mit großer Gelassenheit, die sind zwar schwierig in der Europäischen Union, immer wieder gewesen – das ist ja alles nicht neu –, sie sind aber nicht dumm. Und deswegen werden sie sich das alles mit ihren Austrittsgedanken und die Illusion, man könne einen Binnenmarkt haben ohne politische Bindung, die werden sie auch wieder verlassen.

Frenzel: Kränkelnde Frühgeburt – Gerhard Schröder hat das damals gesagt, als die Eurodebatte lief, ob man den Euro einführen soll. Haben Sie in dieser Zeit manchmal das Gefühl gehabt, vielleicht hat er doch Recht gehabt?

Hänsch: Nein, er hatte nicht Recht. Es gibt Situationen, in denen man etwas Wichtiges machen kann, und das war damals die Situation, als er eingeführt wurde. Dass es einen Fehler bei der Einführung gab, das war sehr vielen, übrigens auch gerade der Mehrheit im Europäischen Parlament damals, bewusst. Dass man den Euro, eine gemeinsame Währung, einführen könnte und musste, war klar, aber dass dazu auch die politische Union, zumindest eine stärkere Koordinierung der Wirtschafts-, Sozial- und Haushaltspolitiken in den Ländern, die den Euro schaffen, zustande kommen müsste, das war uns klar, und da liegt der eigentliche Fehler, dass man eine gemeinsame Währung hat, aber keine gemeinsame Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik geschaffen hat. Und da sind wir jetzt dabei, durch die Reformen in der Europäischen Union – Fiskalpakt zum Beispiel, ESM und andere, Bankenunion –, das zu korrigieren.

Frenzel: Das sagt Klaus Hänsch, ehemaliger SPD-Abgeordneter und Präsident des Europäischen Parlaments, dem man seinen Optimismus nicht nehmen kann. Herr Hänsch, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Hänsch: Ich bedanke mich auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema