Unabhängigkeit als Ziel

Von Reinhard Spiegelhauer · 19.05.2011
In Katalonien, der wirtschaftlich starken Region im Nordosten Spaniens, dominierten im Kommunal-Wahlkampf nationalistische Töne. Mit großer Beharrlichkeit verfolgen katalanische Separatisten ihr Ziel: die Unabhängigkeit Kataloniens. Wer kein Katalan spricht, ist klar im Nachteil.
Früher gingen von hier aus die Straßenverbindungen in benachbarte Dörfer ab. Heute ist der etwa zwei Fußballfelder große Platz einer der zentralen Orte Barcelonas. Südlich führt die Rambla zum Meer hinunter, nördlich verläuft die Gran Via. Verwinkelte Altstadtviertel stoßen hier auf die Neustadt, das Eixample, mit seinen schachbrettartigen Straßenzügen. Auf dem von Bäumen eingesäumten Platz, tritt der Großstadtlärm etwas zurück, die Spatzen drängen sich in den Vordergrund. Die Rede ist von der Plaça de Catalunya – dem Katalonien-Platz.

Der Name ist auch Programm, für eine Bürgerinitiative, die ihren Sitz in einer der angrenzenden Straßen hat. Ihre Mitglieder und Sympathisanten wollen erreichen, dass Katalonien ein eigenständiger Staat wird. Die Initiative hat sogar schon eine Beauftragte für internationale Kommunikation, Ana Arqué.

"Ana, sollen wir das Interview auf Spanisch oder auf Englisch machen?"
"Ich würde Englisch vorziehen, wenn es dir nichts ausmacht."
"Warum?"
"Nun, es ist ja für Deutschland – und wenn ich nicht meine Muttersprache, Katalanisch, sprechen kann, sondern zwischen Spanisch und Englisch entscheiden muss, ziehe ich Englisch im internationalen Umgang vor. Das darf man als politisches Statement verstehen."

Ana trägt Jeans, einen breiten Gürtel, dazu eine gestreifte Bluse und einen Blazer. Sie hat schulterlange, glatte, blonde Haare, und eine Ray-Ban Sonnenbrille auf. Geboren worden ist sie in Lleida, im katalonischen Herzland. Nach dem Studium ging sie ins Ausland: nach England, Frankreich, Portugal, Italien und Spanien – ja, Spanien firmiert unter "Ausland".

Die 38jährige ist Kommunikationsberaterin in der Finanzbranche. Damit ist sie nicht nur perfekt gerüstet für ihren Job in der Bürgerinitiative, sondern auch geradezu ein Abziehbild des Klischees vom Katalanen als besonders modernen, weltgewandten und zielstrebigen Menschenschlag unter den Spaniern.

Das Klischee-Gegenüber wäre der vermeintlich träge und zurückgebliebene Südspanier – aber so billig argumentiert Ana selbstverständlich nicht, wenn es um die Frage der Verbindung zwischen Katalonien und dem Rest Spaniens geht:

"So wie wir mit Nizza, Sizilien, Portugal oder meinetwegen Griechenland verbunden sind. Als Katalanen sind wir in aber in erster Linie Mediterraner – gemein mit Spanien haben wir zwar, dass wir Latiner sind – aber sonst haben wir wohl viel mehr mit den Mittelmeerländern gemein, zum Beispiel Südfrankreich, Italien, Korsika, Sardinien, als mit Spanien."

Tatsächlich hat Katalonien, an der südlichen Verbindung der Iberischen Halbinsel mit dem restlichen europäischen Kontinent und am Mittelmeer gelegen, immer wieder enge Beziehungen in Richtung Frankreich, Italien, ja sogar Griechenland gehabt. Und im Laufe der Jahrhunderte wechselte auch der Status der katalanischen Territorien immer wieder. Mal waren sie eigenständig, dann wieder Teil größerer Staatengebilde. Dennoch prägten sich eine eigenständige Kultur und eine eigene Sprache heraus – die Vorstellung Katalanin zu sein, und nicht etwa Spanierin, sei für sie ganz natürlich, sagt Ana Arqué.

"Nein, die Wahrheit ist, dass es nicht eine plötzliche Erkenntnis war, dass ich plötzlich von der Unabhängigkeitsbewegung gehört hätte und gesagt hätte, das mag ich wegen diesem oder jenem – so läuft es nicht. Wenn du ins Ausland gehst, nach Spanien, dann spürst du einfach – ohne jeden Groll, ganz wertfrei – dass das eine andere Kultur ist. Und wenn du nach Katalonien zurück kommst, ist das einfach eine andere Nation. Du hast deine Identitätsmerkmale, die nichts mit den anderen gemein haben."

Am brutalsten ist die katalanische Kultur wohl unter dem Franco-Regime unterdrückt worden - alles Identität Stiftende wurde verboten, vor allem die Sprache: jahrelang durften weder Bücher noch Zeitungen auf Katalanisch erscheinen, und selbst auf der Straße Katalanisch zu sprechen, stand zeitweise unter Strafe.

Nach dem Ende der Diktatur bekam Katalonien kraft Verfassung ein besonderes Recht auf Autonomie zugestanden. Heute haben die Katalanen eine eigene Polizei und weit reichende Kompetenzen in wichtigen Politikfeldern wie Bildung und Kultur oder Wirtschaft. Von Rechten, wie sie die deutschen Bundesländer haben, kann Katalonien aber nur träumen. Das deutsche Grundgesetz war zwar Anregung für die spanische Verfassung – einen echten Föderalismus sieht sie aber nicht vor.

Dennoch: 2006 wurde ein neues Autonomiestatut verabschiedet, das die Kompetenzen Kataloniens erweiterte. Die Bevölkerung in Katalonien nahm dieses neue Statut in einem Referendum an. Doch inzwischen hat das Verfassungsgericht einige Artikel des Statuts für verfassungswidrig erklärt. Die zentralistische konservative Volkspartei hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt – ihr gehen die Autonomiebestrebungen der Katalanen zu weit, sie sieht die staatliche Einheit Spaniens bedroht. Doch das Urteil des Verfassungsgerichtes war letztlich nur Wasser auf die Mühlen der Separatisten:

"Es gab ein Referendum, und wir haben zugestimmt. Und zwar genau jenem Autonomiestatut. Und dann kommen die und bevormunden uns: das ist nicht gut, wir ändern das hier, und hier – und es bleibt etwas, für das wir nicht gestimmt haben. Das ist nicht ehrlich - und das ist der Punkt. Es ist nicht ehrlich, zu sagen: es gibt die Parteien, wählt diejenigen, die für die Unabhängigkeit sind. Das wird nie passieren. Wir haben über das Statut abgestimmt und dann wird es geändert. Die Parteien sind wie Kinder, das ist alles eine Scharade – deswegen gibt es so eine starke gesellschaftliche Bewegung."

Genaue Daten gibt es nicht, aber aus Umfragen und Wahlergebnissen leiten Soziologen ab, dass sich etwa ein Drittel der katalanischen Bevölkerung einen eigenen Staat wünscht. Die Bürgerinitiative, der Ana Arqué angehört, hat in Katalonien mobil gemacht, für die Unabhängigkeit: in den vergangenen eineinhalb Jahren hat sie in mehr als 500 Städten und Gemeinden symbolische Referenden über die Frage veranstaltet, ob Katalonien ein eigenständiger Staat sein sollte. Rechtlich waren die Abstimmungen zwar ohne jede Bedeutung – aber sie waren medienwirksam, auch im Ausland. Vor allem aber sollten sie diejenigen mobilisieren, die zwar grundsätzlich für die Eigenständigkeit Kataloniens sind, aber keine reelle Chance dafür sehen.

Der Carrer de la Canuda, im Barri Gótic – eine kleine Gasse in der Altstadt. Wo heute nur junge Skateboarder unterwegs sind, war am 10. April ein Abstimmungslokal. An jenem Sonntag fand in Barcelona das - zumindest vorläufig - letzte der symbolischen Referenden über die Unabhängigkeit statt. Ferrán Clement hat mit "ja" gestimmt, für einen eigenen Staat. Der klein gewachsene Dreißigjährige ist bei "Ärzte ohne Grenzen" – er findet nicht nur, dass die Kulturnation Katalonien ein Recht auf Eigenständigkeit hat:

"Ich denke, es würde uns in vieler Hinsicht besser gehen – wirtschaftlich zum Beispiel. Ich denke, Madrid ist eine Belastung. Und ich finde, jedes Volk hat das Recht, zu entscheiden, ob es einen Staat bilden will oder nicht."

"Madrid" - das steht für Ferrán für Bevormundung durch den Zentralstaat - aber viel schlimmer noch ist für ihn und viele andere das Gefühl, Melkkuh Spaniens zu sein: die wirtschaftlich starke Region im Norden müsse mit ihren Steuereinnahmen die schwachen Regionen mitschleppen. Von den Steuern, die der Zentralstaat einnimmt, geht bis zu ein Drittel in eine Art Länderfinanzausgleich – das empfinden die meisten Katalanen als unverschämt viel. Dieses Gefühl hat sich im Zuge der Wirtschaftskrise noch verstärkt – auch in Katalonien ist die Arbeitslosigkeit stark angestiegen – selbst, wenn sie noch einige Punkte unter der 21-Prozent-Marke ganz Spaniens liegt.

Es sind deswegen auch nicht zuletzt wirtschaftliche Gründe, warum bei den Regionalwahlen im November nationalistische Parteien zugelegt haben. Den größten Stimmenanteil hat Convergència i Unió erhalten, ein liberalkonservatives Bündnis mit nationalistischen Zielen. Das Bündnis stellt den Ministerpräsidenten und fordert Steuerhoheit für Katalonien. Convergéncia bezieht in seinem Parteiprogramm keine Stellung zur Frage der Unabhängigkeit. Prominente Mitglieder und Funktionäre äußern sich dazu unterschiedlich - dadurch ist das Bündnis sowohl für diejenigen wählbar, denen mehr Selbstverwaltung reichen würde, als auch für Befürworter eines eigenen Staates. Es spricht einiges dafür, dass Convergència i Unió ihren Stimmenanteil auch bei den Kommunalwahlen steigern kann.

Bei dem symbolischen Unabhängigkeitsreferendum vom April lag die Beteiligung in Barcelona nur bei rund 18 Prozent. Es kamen vor allem Menschen, die wie Ferrán für die Unabhängigkeit sind: 90 Prozent Ja-Stimmen war das Ergebnis:

"Ich denke, auch wenn es eine rechtsgültige Abstimmung geben würde, würde Katalonien im Moment kein eigenständiger Staat werden. Dazu braucht es die richtigen Umstände. Wir sind auf dem Weg. Aktionen wie die symbolischen Referenden nutzen, aber es fehlt noch einiges. Aber gut, die Krise fördert nationalistische Einstellungen, und die Reaktionen, die Medien in Madrid stärken noch die katalanische Unabhängigkeitsbewegung. Die Hetze in Intereconomia, Razon und El Mundo eint uns. Ich will jedenfalls nicht zu solchen Leuten gehören."

Ferrán wirkt schon beinahe angeekelt, wenn er von der zentralistisch-konservativen Presse spricht. Aber mal ehrlich, wäre Katalonien wirklich fit dafür, als eigener Staat zu bestehen? Wie ist es mit dem Tourismus, auch in Katalonien wichtige Einnahmequelle? Spanisch ist eine Weltsprache, immer mehr Menschen – gerade auch Deutsche – erlernen sie. Wenn Katalonien ein eigenständiger Staat würde und die eigene Sprache das Spanische verdrängen würde – wäre das nicht eine Gefahr für die ganze Tourismusbranche?

"Wenn die Leute nach Holland fahren, sprechen sie auch nicht unbedingt Holländisch – und wenn einer nicht nach Katalonien kommen will, weil wir Katalan sprechen – Pech. Jedenfalls werden wir uns nicht dafür entschuldigen, dass wir Katalanen sind."

Die katalanische Sprache – ein besonders heikles Thema, selbst abseits des Streits um die Frage eines eigenen Staates. Ferrán antwortet zwar ohne jedes Zögern, wenn er auf Spanisch angesprochen wird – aber wenn er das Gefühl hätte, die katalanische Sprache sei ernstlich bedroht, könnte und würde er sofort auf stur schalten.

Für viele Ausländer, die in Katalonien leben, arbeiten, und zum wirtschaftlichen Wohlstand beitragen, ist der Sprach-Radikalismus schon heute manchmal schwer zu verstehen und kaum zu ertragen. Die 27-jährige Sandra Hoermann lebt seit einigen Jahren in Barcelona, arbeitet im Büro eines Motorroller-Verleihs.

"Ich kann manchmal nicht verstehen, dass sie so extreme Meinungen haben. Also – generell sehr offen und international, aber mir ist schon passiert, dass ich Telefonanrufe entgegen genommen habe – und klar, man bekommt erst mal eine Anfrage auf Katalan, verstehe ich vollkommen, was ich dann aber schwierig finde, ist, wenn einer merkt, dass ich nicht auf Katalan antworte, und wenn einer merkt, dass ich noch Ausländerin bin, und dann von mir erwartet, dass ich Katalan spreche, das verstehe ich eben nicht, dass man darauf keine Rücksicht nehmen kann, und dann so auf seinem Land beharrt."

Sandra ist sich nicht sicher, ob der Nationalismus auf dem Vormarsch ist oder nicht – aber sie wundert sich darüber, dass auch viele junge Menschen beim Thema nationale Identität und Eigenständigkeit recht radikal werden können:

"Klar – Franco hat unterdrückt, und das ist ein Thema, das man halt als Ausländer nicht so nachfühlen kann, aber ich denke, es ist einfach nicht realistisch und macht auch keinen Sinn. Ok, Katalonien verdient mehr, ist wohlhabender als andere spanische Regionen – ja, das Problem sehe ich schon auch. Aber ich sehe genauso wenig Katalonien als einen unabhängigen Staat. Katalonien, als so kleines Land, kann auch nicht viel bewegen, denke ich."

Ana Arqué, die auf der Plaça de Catalunya die Sonne genießt, sieht das ganz anders. Natürlich stimme es, wenn Ausländer – ob Touristen oder Residenten – erst einmal der Ansicht seien, sie seien doch in Spanien. Aber das müsse sich eben ändern - deswegen engagiere sie sich in der Bürgerinitiative, die die symbolischen Referenden organisiert hat. Die internationale Gemeinschaft müsse eben über Katalonien aufgeklärt werden.
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