Unabgeschlossenes schwarzes Kapitel

Von Irene Meichsner · 17.08.2005
Die leitenden Manager des IG-Farben-Konzerns machten fast alle im Nachkriegsdeutschland wieder Karriere. So hatten sich die Westalliierten das Ganze nicht vorgestellt, als sie heute vor 55 Jahren die alte IG-Farben zerschlugen. Das Chemieunternehmen war mit dem Hitler-Regime aufs Engste verbunden gewesen und hatte extra ein Konzentrationslager mit Arbeitskräften eingerichtet bekommen. Entschädigungszahlungen für die Häftlinge gab es nach 1950 nicht.
"Gerade bei IG Farben ist das Besondere, dass Konzentrationslager er selber, der IG Farben-Konzern, erstellt hat. Man muss wissen, der Beginn war 1940 dieses IG-Farben-Werkes Buna in Auschwitz, die ersten Häftlinge kamen von Auschwitz. Und dann gab es eine Übereinkunft zwischen dem Reichssicherheitshauptamt IV, Eichmann, und IG Farben, dass neben dem Werk ein Konzentrationslager gebaut wurde - IG Farben verlangte ständig 10.000 Zwangsarbeiter zu bekommen, die er dann immer auch bekommen hat. Das war Monowitz."

Hans Frankenthal, der 1999 verstorbene Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, war einer von 35.000 Zwangsarbeitern, die der seinerzeit größte Chemiekonzern der Welt im polnischen Monowitz beschäftigte; 25.000 überlebten die Strapazen nicht. Die Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG, 1925 aus dem Zusammenschluss von acht großen deutschen Chemiefirmen hervorgegangen, stellte auf dem KZ-Gelände her, was Hitler zur Kriegführung benötigte: synthetischen Kautschuk und künstliches Benzin. Die Tochterfirma Degesch produzierte das Zyklon B, mit dem in Vernichtungslagern Millionen Menschen vergast wurden.

23 leitende Mitarbeiter wurden nach dem Krieg in Nürnberg von den Amerikanern vor Gericht gestellt.

"Defendant Karl Krauch, how do you plea to this indictment: Guilty or not guilty? - Nicht schuldig. - Hermann Schmitz, how do you plea to this indictment: Guilty or not guilty? - Auf keinen Fall schuldig."

Alle plädierten auf "unschuldig", zwölf bekamen bis zu acht Jahre Gefängnis, fünf von ihnen laut Urteilsbegründung auch wegen der "Sklavenarbeit" beim Bau der Buna-Werke in Monowitz.

"Arbeiter wurden vom Werkschutz und von den Vorarbeitern geschlagen. Gerüchte über die Aussonderung für den Gastod liefen um. Die Arbeiter lebten und arbeiteten unter dem Schatten der Liquidierung."

Mit einem Gesetz vom 17. August 1950 zur "Aufteilung des Besitzes der IG Farben" zerschlugen die West-Alliierten das Firmenimperium. Zwei Jahre später war das Erbe aufgeteilt, der Löwenanteil ging an Bayer, BASF und die Hoechst AG. Die alte Interessengemeinschaft überlebte als "IG Farben in Abwicklung"; sie sollte eigentlich nur noch sich selber liquidieren, neben dem Auslandsbesitz hatte man ihr das unzugängliche Vermögen in der sowjetisch besetzten Ostzone zugeteilt. Doch ihre Aktien wurden weiter an der Börse gehandelt - ein hoch umstrittenes, millionenschweres Spekulationsobjekt.

Die ehemaligen Zwangsarbeiter forderten Entschädigung. Aktivisten kauften selber Aktien, um an Hauptversammlungen teilnehmen zu können. Emil Carlebach, ein ehemaliger Häftling aus Birkenau, trat regelmäßig in Häftlingsuniform auf.

"Ich habe eine einzige Forderung gestellt, und die stelle ich auch immer wieder: dass die Gelder, die die IG Farben angeblich in Liquidation verwaltet, dass die unter den noch lebenden Opfern bzw. ihren Witwen und Waisen ausgegeben werden.

Ernst Krienke, der Aufsichtsratsvorsitzende, konterte:

"Wir sind ja nicht der Nachfolger des Deutschen Reiches. Der Nachfolger des Deutschen Reiches ist die Bundesrepublik Deutschland. Und alles was das deutsche Reich an Unheil angestiftet hat, das möge die Bundesrepublik Deutschland besorgen."

Den Ostbesitz hatten die Dauer-Liquidatoren längst abgeschrieben. Und dann schien er ihnen plötzlich doch noch in den Schoß zu fallen. Der Historiker Otto Köhler erlebte die erste Hauptversammlung nach dem Zusammenbruch der DDR.

"Wir kriegen unseren alten Besitz zurück, so jubelten sie. Denn sie hatten unendlich viel Besitz. Um Leuna, in Berlin: Filetgrundstücke.

Mit ihrem Anspruch auf 151 Millionen Quadratmeter bebaute und unbebaute Grundstücke in den neuen Bundesländern scheiterten die IG Farben-Nachfolger vor dem Bundesverfassungsgericht. Dem Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft schlossen sie sich nicht an, sie gründeten eine eigene Stiftung, aber auch daraus floss noch kein Cent an die Zwangsarbeiter. Im November 2003 erklärte sich die Gesellschaft für zahlungsunfähig. Bleibt ihr letzter Coup: eine Schadensersatzklage in Milliardenhöhe gegen die Schweizer Großbank UBS wegen der Übernahme von amerikanischen Vermögenswerten der Firma "Interhandel", einer früheren IG-Farben-Tochter. Es hieß, man wolle mit dem Geld im Falle eines Erfolges auch die Zwangsarbeiter befriedigen. Doch so richtig glauben mag das nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte niemand mehr.