UN World Food Programme braucht dringend Geld

Ralf Südhoff im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Dem UN World Food Programme (WFP) fehlen Mittel für die Hungernothilfe. "Nur das Geld, was nur Deutschland nur der Hypo Real Estate zur Verfügung gestellt hat, und davon nur zwei Prozent, würde reichen, um alle hungernden Schulkinder der Welt durch eine Schulspeisung in der Schule zu ernähren," sagt der Leiter des Berliner Büros, Ralf Südhoff.
Gabi Wuttke: Die arme Verwandtschaft isst in der Küche oder am Katzentisch - das gilt bis heute für die Entwicklungsländer. Und daran hat auch die Weltwirtschafts- und Finanzkrise nichts geändert. Um alle an einen Tisch zu holen und gemeinsame Strategien zur Krisenbewältigung zu beschließen, haben die Vereinten Nationen zu einem Gipfeltreffen nach New York eingeladen. Aber morgen wird ein Drittel der Stühle leer bleiben, denn knapp 70 UN-Mitgliedsstaaten haben die Einladung ausgeschlagen. Ralf Südhoff leitet das Berliner Büro des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen und ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Südhoff!

Ralf Südhoff: Guten Morgen!

Wuttke: Haben Sie eine Vorstellung, warum es so viele Staaten vorziehen, zu Hause zu bleiben?

Südhoff: Nun, es ist ja bekannt geworden, dass es Streit gab über die genaue Agenda des Gipfels und auch sein Abschlussdokument. Es gibt offensichtlich eindeutig unterschiedliche Ansichten, was genau der Gipfel beschließen sollte, insbesondere mit Hinblick auch darauf, wie man die Finanzkrise meistern und künftig vermeiden sollte.

Wuttke: Der Gipfel ist ja schon mal vertagt worden. Es gab, so wie Sie gerade ja gesagt haben, eben diesen Streit um den Kurs des Präsidenten der UN-Vollversammlung, weil er sich an die Thesen von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz hält. Vielleicht können Sie uns schildern: Welcher Schaden steht für die Entwicklungsländer mittelfristig durch die Finanz- und Weltwirtschaftskrise bevor?

Südhoff: Nun, der Schaden für die Entwicklungsländer ist teils noch gar nicht abzusehen, das macht aber die Krise umso deutlicher. Man geht davon aus, dass quasi die dritte Welle dieser Wirtschaftskrise jetzt auf die Entwicklungsländer zurollt, nachdem es zunächst natürlich die Industriestaaten und die Schwellenländer getroffen hat. Wenn man sich rein die ökonomischen Daten mal anschaut, dann ist vor wenigen Tagen eine erste Studie veröffentlicht worden, die davon ausgeht, dass allein das Wirtschaftswachstum um fünf Sechstel einbrechen wird in den Entwicklungsländern, auf maximal so ein Prozent in diesem Jahr. Dazu muss man wissen, dass mit jedem Prozent weniger Wirtschaftswachstum man schätzt, dass rund 20 Millionen Menschen verarmen im Schnitt in den Entwicklungsländern.

Deswegen fürchtet man jetzt schon über 100 Millionen zusätzliche Arme in den Entwicklungsländern, nur durch die Wirtschaftskrise in diesem Jahr. Der Kapitalzufluss in die Entwicklungsländer, da geht man davon aus, dass das, was an Auslandsinvestitionen und an Kapitaleinlagen in die Länder floss, sich rund halbieren wird in diesem Jahr, nachdem es im vergangenen schon relativ niedrig war und all das hat massive Auswirkungen auf Armut und sogar auf den Hunger. Erst vor wenigen Tagen mussten wir bekannt geben, dass die Zahl der Hungernden auf über eine Milliarde Menschen gestiegen ist, allein im ersten halben Jahr und vor allem durch die Finanzkrise. Das hat es so noch nie gegeben.

Wuttke: Wir haben darüber gesprochen, ein Drittel der Stühle wird in New York auf dem Gipfeltreffen leer bleiben. Wovor fürchten sich die Industrieländer?

Südhoff: Nun, der Streit - soweit ich das verfolgen kann, das ist ja nicht wirklich unser Fachgebiet - dreht sich vor allem um die Frage: Welche Konsequenzen sind aus der Finanzkrise zu ziehen und welche Regularien braucht es, um sie künftig zu vermeiden?

Wuttke: Ja, eben das ist sozusagen dieses große Wort der Weltfinanzarchitektur.

Südhoff: Richtig. Wie sind Banken, Hedgefonds und so weiter künftig zu regulieren, wie massiv muss man dort eingreifen und welche Institutionen sollen das eigentlich tun? Da gibt es in der Tat offenbar Meinungsverschiedenheiten zwischen einigen Entwicklungsländern, auch nicht allen, und einigen Industriestaaten, auch nicht allen. Und weil man dort offenbar fürchtet, dass es zu keiner Einigung kommt, möchte sich da natürlich auch niemand mit einem Gipfel gemein machen, der von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein scheint, zumindest in dieser Hinsicht. Obwohl es so wichtig wäre, dass es eine Diskussion, eine gemeinsame, gibt, dass es einen gemeinsamen Fahrplan gibt, insbesondere auch, um diese massiven Folgen für die Entwicklungsländer abzufedern, die ja am allerwenigsten für diese Krise können, aber jetzt am allerstärksten unter ihr leiden.

Wuttke: Lassen Sie mich mal ganz naiv fragen: In Deutschland purzeln die Verbraucherpreise. Wird es da, global gesehen, nicht auch für die UN preiswerter, gegen den Hunger in der Welt zu kämpfen?

Südhoff: Die Frage ist berechtigt. Zum einen wird es in der Tat günstiger, weil auch wir können jetzt zumindest etwas niedrigere Nahrungsmittelpreise bezahlen für die Hungerhilfe, die wir ja auch leisten und ganz normal auf den Weltmärkten und in den Entwicklungsländern kaufen müssen. Das Problem ist: Die Welternährungskrise, von der wir ja im vergangenen Jahr noch so viel hörten und die auch etwas untergegangen ist durch die Debatte um die Finanzkrise, ist in keinster Weise vorbei.

Im vergangenen Jahr hatten wir extrem und absurd hohe Nahrungsmittelpreise, unter anderem übrigens auch durch Finanzspekulation. Zum Beispiel der Reispreis ist im vergangenen Jahr binnen weniger Monate um 300 bis 400 Prozent gestiegen, auch durch Spekulationen. Er ist in der Tat von diesem Niveau gefallen, aber quasi auf ein "nur noch", in Anführungsstrichen, doppelt so hohes Niveau. Das ist natürlich für Menschen, die schon vor der Krise zwei Drittel, drei Viertel ihres Einkommens nur für Nahrungsmittel ausgeben mussten, immer noch viel zu teuer. Es nutzt ihnen also nichts, dass der Preis jetzt nur noch doppelt so teuer ist, wie sie ihn bezahlen könnten und nicht mehr vier Mal so viel. Das gilt auch für uns, aber gleichzeitig müssen wir immer mehr Menschen versorgen und gleichzeitig sind die Nahrungspreise eben immer noch viel, viel höher als vor der Krise.

Wuttke: Industrieländer, reiche Industrieländer, sind im besten Fall Geberländer. Wie wirkt sich denn die Krise ganz konkret auf das Welternähungsprogramm aus?

Südhoff: Die Auswirkungen für uns zum Beispiel sind so: Wir sind eine komplett freiwillig finanzierte UN-Organisation, das heißt, wir haben kein festes Budget, auf das wir uns verlassen können, sondern das kleckert sich so im Laufe des Jahres durch Zusagen von Regierungen für einzelne Notprogramme in Ländern zusammen.

Wuttke: Wobei Zusagen ja immer noch nicht heißen, dass es dann auch tatsächlich was aufs Konto gibt?

Südhoff: Meistens werden diese Zusagen eingehalten, aber Sie haben recht, das Problem ist vor allem, dass es vielfach dann auch Monate dauert, und das ist gerade in der Nothilfe natürlich ein Problem. Aber gehen wir mal davon aus, wir kriegen die Gelder. Das Problem ist: Wir wissen meistens frühestens im Januar nächsten Jahres, wie viel Geld wir denn eigentlich zugesagt bekommen haben in 2009, weil diese Zusagen vielfach dann auch erst im November, Dezember kommen. Das ist ein großes Problem sowieso grundsätzlich, und es verschärft sich in diesem Jahr.

Nehmen Sie unser Budget, was durch die beschriebenen Preisexplosionen auch teurer wird, und immer mehr Hungernde sind auf unsere Hilfe angewiesen. Trotzdem haben wir jetzt, quasi am 1. Juli, Mitte des Jahres, erst 25 Prozent unseres Budgets für 2009 zusammen. Das stellt uns vor extrem große Herausforderungen und wir sind nur ein Beispiel. Die große Befürchtung ist natürlich, dass jetzt die Hilfsbudgets der Staaten zusammengestrichen werden, so wie das Staaten wie Italien, Irland, Frankreich auch schon angekündigt haben und die längst gemachten Zusagen - und nur um die geht es ja, die Hilfe zu erhöhen oder zumindest auf dem jetzigen Niveau zu halten - nicht eingehalten werden. Dabei geht es um lächerliche Summen.

Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Wenn Sie sich die Finanzkrise anschauen, nur das Geld, was nur Deutschland nur der Hypo Real Estate zur Verfügung gestellt hat - und davon nur zwei Prozent würden reichen, um alle hungernden Schulkinder der Welt zu ernähren durch eine Schulspeisung in der Schule, damit würden sie satt werden, damit würden sie eine Bildung bekommen und eine Zukunft und dem Hunger entfliehen können.

Wuttke: Vielen Dank, Herr Südhoff, es geht auf die Nachrichten zu, und zwar die 7-Uhr-Nachrichten. Ein eindringliches Schlusswort von Ihnen. Die Vereinten Nationen und die Weltwirtschafts- und Finanzkrise - vor dem Gipfeltreffen in New York sprachen wir mit Ralf Südhoff, dem Leiter des Berliner Büros des UN-Welternährungsprogramms. Vielen Dank, Herr Südhoff, schönen Tag.

Südhoff: Wir danken!