UN-Sanktionsliste

Einmal Terrorist, immer Terrorist?

07:54 Minuten
Silhouette von New York die durch die Terroranschläge am 11. September 2001 im Rauch versinkt
Knapp 300 Einzelpersonen und etwa 70 juristische Personen stehen auf UN-Sanktionsliste. © picture alliance / STAR MAX / Mitch Gerber
Von Kristine Kretschmer · 19.07.2021
Audio herunterladen
Der Kampf gegen den Terrorismus wird weltweites geführt. Die Vereinten Nationen wollen die Sicherheitslage mit Sanktionslisten und präventiven Maßnahmen gegen dort aufgeführte potenzielle Gefährder verbessern. Doch das birgt rechtsstaatliche Probleme.
Daniel Kipfer hat einen ungewöhnlichen Job. Vor drei Jahren ließ sich der Schweizer Jurist von seinem Richteramt beurlauben und bewarb sich auf die Stelle des Ombudsmanns beim al-Qaida Sanktionskomitee der UNO. Seitdem ist er für deren wichtigstes Instrument zuständig: die Sanktionsliste, die die Welt sicherer machen soll.
"Die al-Qaida ISIL Sanctionslist wurde geschaffen, um die Ausbreitung von Terrorismus, Unterstützung von, Rekrutierung für möglichst einzuschränken. Und dafür werden dann Leute auf die Liste gesetzt."
Ein Who is Who des islamistischen Terrors, das knapp 300 Einzelpersonen und etwa 70 juristische Personen, also Vereine, Firmen, Gruppierungen aufführt. Sie alle haben mit einschneidenden Maßnahmen zu rechnen, die ihre Bewegungs- und Handlungsfreiheit einschränken.
"Das ist der travel ban, also das Reiseverbot, sie können offiziell mit ihrem Pass keine Grenzen überschreiten, das heißt sie müssen dort bleiben, wo sie sind. Mindestens innerhalb des Staates. Dann asset freeze, das wäre die Vermögenssperre. Das heißt konkret, Bankkonten werden eingefroren, und das heißt immer weltweit. Und das letzte ist dann das arms embargo, das Verbot, mit Waffen zu handeln."

UNO-Maßnahmen im Kampf gegen die Taliban

Eingeführt wurden diese Maßnahmen 1999, als die UNO den Kampf gegen die Herrschaft der Taliban aufnahm. Der Sicherheitsrat installierte auf Basis der Resolution 1267 ein Sanktionskomitee, das seine Arbeit später auf al-Qaida und den selbsternannten Islamischen Staat ausdehnte. Daniel Kipfer stellt klar, dass es sich bei der Verhängung dieser Maßnahmen nicht um Strafen handelt.
"Das ist eine Sanktion, die präventiv wirken soll, gezielt gegen Einzelpersonen, gegen verantwortliche Kriegsherren in Bürgerkriegen und eben gegen Terroristen. Auf die Liste kommt man nur, wenn ein Mitgliedsstaat der UNO dem Rat dies vorschlägt. Das heißt also auf Antrag eines Mitgliedslandes. Europäische Mitgliedsländer schlagen in der Regel eigene Staatsbürger für die Liste vor, wenn sie im eigenen Land wegen Terrorismus verurteilt worden sind."
So hat Deutschland zum Beispiel die Mitglieder der Sauerland-Gruppe listen lassen oder Unterstützer islamistischer Terrorgruppen, die Geld für Anschläge in Deutschland gesammelt haben.

USA stützen sich nicht immer auf Beweise

Die USA benennen im Wesentlichen Personen aus dem arabischen Raum, ausschließlich aufgrund von Geheimdienstinformationen, ohne dass es Beweise für tatsächliche Verwicklungen in Terrortaten gäbe. Dabei sträuben sich Daniel Kipfer als Juristen manchmal die Haare, wenn er weiß, dass die zusammengetragenen Informationen vor einem Gericht in Europa nicht für eine Verurteilung reichen würden. So wie beim Chauffeur von Osama bin Laden.
"Dass der dem Bin Laden nahegestanden haben soll und dort irgendeine Rolle gespielt hat, das hat genügt. Und wenn man als Strafrichter oder auch im Verwaltungsrecht jemanden mit diesen Sachverhalten konfrontieren wollte, dann könnte man ihm eigentlich nur vorhalten: Sie waren da nahe dran, stimmt das? Und dann könnte er sagen ja oder nein."
Dieser legere Umgang mit den Freiheitsrechten Verdächtiger erzürnte einige europäische Staaten und den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg von Anfang an. Da es kein Gericht gibt, das Entscheidungen des Sicherheitsrates überprüfen könnte, wurde 2009 auf Anweisung von Kofi Annan das Amt der Ombudsperson geschaffen. Als Kompromiss, um auch Terrorverdächtigen einen Hauch von Rechtsstaatlichkeit zuzugestehen.

Ombudsmann kann keine Listeneinträge verhindern

Daniel Kipfer kann keine Aufnahme auf die Liste verhindern, kann aber dafür sorgen, dass jemand wieder von der Liste gestrichen wird. Zuvor muss der Gelistete allerdings wissen, dass er überhaupt auf der Sanktionsliste steht. Denn die Sanktionen werden zwar bei den Behörden und Institutionen aller Länder bekannt gemacht - die Betroffenen aber erfahren in der Regel eher zufällig davon. So wie Abdul, ein Iraker Anfang 40. Eigentlich heißt er anders.
"Ich war in der JVA und plötzlich durfte ich nicht mehr einkaufen. Sie haben mir Tauchsieder und das TV-Gerät weggenommen wegen der Stromgebühren. Dann hab ich nachgefragt, warum das alles und dann haben die mir gesagt, dass ich auf der Liste stehe."
Dort landete er nach seiner Verurteilung durch ein deutsches Gericht. Er hatte Geld für eine islamistische Terrororganisation gesammelt, mit dem ein Anschlag finanziert werden sollte. Jahre nach dem Prozess, als er längst im Gefängnis seine siebeneinhalbjährige Haftstrafe absaß, waren die Sanktionen endlich umgesetzt worden. Abdul stellte fest, dass sein Konto von einem Tag auf den anderen eingefroren war und er im Gefängnis nicht einmal den Strom für seinen Fernseher bezahlen konnte.
"Niemand will mit dir wegen der Liste zu tun haben."

UN-Sanktionen stehen über nationalem Recht

Noch gravierender war, dass die Sanktionen auch nach der Entlassung aus der Haft bestehen blieben.
"Ich war bei drei unterschiedlichen Banken, die haben zuerst den Pass im Original von mir verlangt, aber mein Pass befindet sich bei der Regierung. Dann habe ich bei der Regierung beantragt, mir für eine Kontoeröffnung meinen Pass zu senden, da haben die telefonisch die Bank davor gewarnt und sie informiert, dass ich auf der Liste bin. So haben die Banken das abgelehnt. Kein Konto, keine Arbeit, alle bezeichnen mich als Terrorist, niemand wollte mit mir zu tun haben, weil alle Angst hatten."
Wo nach deutschem Recht eine Strafe mit Haftende abgegolten ist und der Wiedereingliederungsprozess beginnen soll, bleiben die UN-Sanktionen in Kraft und stehen hier quasi über dem nationalen Recht. Erst wenn der Gelistete einen Antrag stellt, kann Daniel Kipfer ein formal festgelegtes De-Listing-Verfahren in Gang setzen. Zunächst sammelt er Informationen über die Entwicklung des Antragstellers. Er bekommt sie von Geheimdiensten oder findet sie in öffentlich zugänglichen Quellen. Schließlich wird der Gelistete zum ersten Mal persönlich angehört.
"Es wird ein Interview mit ihm persönlich durchgeführt, vor Ort, in seinem Land, wo man mit ihm einfach alles diskutiert, was relevant ist, alle Informationen, die gesammelt wurden, was er über sein Privatleben von sich aus zu erzählen hat, seine Stellungnahme zur Verurteilung, zu seiner Vergangenheit, zur Listung. Dann wichtig auch Perspektiven für die Zukunft, um abzuschätzen, wie entwickelt sich das wohl? Könnte es sein, dass er rückfällig wird?"
Anschließend formuliert Daniel Kipfer seinen Schlussbericht, der an das Komitee geht und dort gebilligt werden muss. Solange es keine einstimmige Ablehnung gibt, wird der Empfehlung der Ombudsperson gefolgt. Hat Kipfer Bedenken, bleibt der Antragsteller auf der Liste. Zwei Drittel aller Anträge werden positiv entschieden, die Personen oder Vereinigungen von der Liste gestrichen. Auch Abdul. Als Terrorist rückfällig geworden sei bisher niemand, sagt Daniel Kipfer.
Mehr zum Thema