Umweltkatastrophen

Warum der Klimawandel kein Asylgrund ist

Ein Strand, blauer Himmel und im Hintergrund etwas Industrie.
Auf den ersten Blick erfüllt der schmale Pazifikstaat Kiribati alle Klischees eines Südseeparadieses. © picture alliance / dpa / Christiane Oelrich
Walter Kälin im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 19.11.2013
Ioane Teitiota aus Kiribati hatte wegen der schrecklichen Umweltzustände im Land Asyl in Neuseeland beantragt - und wurde abgewiesen. Zu Recht, findet der Völkerrechtler Walter Kälin. Die internationale Gemeinschaft sollte im Vorfeld von Umweltkatastrophen Möglichkeiten schaffen.
Liane von Billerbeck: Der Ausstoß klimaschädlicher Gase ist erneut gestiegen, Sie haben es in den Nachrichten gehört. Die größten Verursacher sitzen in den westlichen Industriestaaten. Die ersten Opfer des Klimawandels, die leben weit weg in Ländern wie dem Inselstaat Kiribati, 4000 Kilometer nördlich von Neuseeland. Das Wetter dort wird immer unberechenbarer, die Stürme stärker, das Hochwasser heftiger. Die Böden versalzen, man kann dort nicht mehr leben.
Deshalb hat ein Mann, der Familienvater Ioane Teitiota, in Neuseeland Asyl beantragt, und zwar als erster Klimaflüchtling weltweit. Jedoch, die UN-Flüchtlingskonvention schützt Menschen in diesem Recht nur bei Verfolgung durch Menschen, wegen ihrer Ethnie, Religion oder ihrem Geschlecht. Die Flüchtlingskonvention müsste also geändert oder ergänzt werden, und das fordert die sogenannte Nansen-Initiative. Einer ihrer Verfechter ist der Berner Staats- und Völkerrechtler Walter Kälin. Ich grüße Sie!
Walter Kälin: Guten Morgen!
von Billerbeck: Ioane Teitiota, ein Mann von einer Pazifikinsel, dessen Heimat über kurz oder lang dem Untergang geweiht ist. Inwieweit kann er sich auf die UN-Flüchtlingskonvention berufen?
Kälin: Wie Sie es erwähnt haben: Er kann sich nicht auf diese Konvention berufen. Im Kern des Flüchtlingsbegriffs steckt der Begriff der Verfolgung, das heißt, staatlicher oder nichtstaatlicher Aktionen, die sich gegen Menschen richten aus Gründen ihrer Religion, ihrer Rasse, ihre politischen Anschauungen. Und das fehlt natürlich dort, wo wir Umweltveränderungen haben wie im Südpazifik.
von Billerbeck: Wie argumentiert denn nun dessen Rechtsanwalt?
"Ich denke nicht, dass er mit dieser Argumentation Chancen hat"
Kälin: Sein Anwalt argumentiert, der Flüchtlingsbegriff sei weiter zu fassen. Die Tatsache, dass die Regierung von Kiribati oder Kiribas, wie die Leute dort ihren eigenen Staat nennen, dass diese Regierungen ihm nicht helfen könne, sei so etwas Ähnliches wie Verfolgung. Aber ich denke nicht, dass er mit dieser Argumentation Chancen hat. Die Flüchtlingskonvention kann höchstens zur Anwendung kommen in Situationen wie anlässlich der Dürre 2011 in Somalia, als mehr als 100.000 Menschen nach Kenia flüchteten, um der Dürre zu entgehen, und die kenianischen Behörden zur Auffassung kamen, der Konflikt, die Dürre, diese verschiedenen Ursachen sind derart gemixt, gemischt, dass man doch davon ausgehen kann, der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung komme einer Verfolgung gleich. Aber das sind doch Ausnahmesituationen, nur anwendbar eben auf Konfliktgebiete, die von Naturkatastrophen betroffen werden.
von Billerbeck: Wie wurde denn in Neuseeland auf diesen Asylantrag reagiert?
Kälin: Das zuständige Gericht hat in einem sehr, sehr detailliert und gut begründeten Entscheid den Asylantrag abgewiesen, etwa mit dem Argument, das ich eben erwähnt habe. Hat dann erkannt, dass die Lebensbedingungen im Herkunftsstaat, generell in diesen tief liegenden pazifischen Inseln schwierig sind, aber hat eben auch aufgezeigt, was die Grenzen des bestehenden Völkerrechts sind.
von Billerbeck: Nun gehören Sie zu einer Initiative, die von der Schweiz und Norwegen ins Leben gerufen wurde, die sogenannte Nansen-Initiative – welche Ziele verfolgt sie in Bezug auf den Flüchtlingsstatus und die Flüchtlingskonvention?
"Nach unserer Auffassung müsste der Ansatz Kooperation sein"
Kälin: Wir verfolgen nicht das Ziel, die Flüchtlingskonvention auszuweiten. Wir denken, das ist ein problematischer Ansatz. Wenn Sie Flüchtling sind, dann müssen Sie das Land verlassen, weil Sie haben den Schutz Ihres Heimatstaates völlig verloren. Die Regierung wendet sich gegen Sie oder nichtstaatliche Gruppierungen, die von Ihrer Regierung nicht kontrolliert werden. Deshalb haben wir im Flüchtlingsrecht dieses Konzept des internationalen Schutzes entwickelt. Wenn ich mich nicht mehr an meine Behörden wenden kann, dann bin ich auf den Schutz der internationalen Gemeinschaft angewiesen.
Bei Umweltveränderungen sieht das anders aus. Die Regierung von Kiribati wendet sich wirklich nicht gegen diesen Mann und seine Familie. Das gilt auch sonst in Situationen von Naturkatastrophen. Das heißt, eigentlich, nach unserer Auffassung, müsste der Ansatz Kooperation sein. Kooperation auf verschiedenen Ebenen. Unterstützung der betroffenen Staaten, also dass die Menschen dort länger leben können. Unterstützung und Ausbau von Möglichkeiten für Menschen wie diesen Asylsuchenden in Neuseeland. Zugang zu haben zu Arbeitsmigration, um sich so eben anpassen zu können an die Herausforderungen des Klimawandels. Man versucht, eine neue Existenz aufzubauen an einem anderen Ort.
Die Regierung von Kiribati investiert zusammen mit Australien und Neuseeland recht viel Geld, um ihre eigene Bevölkerung gut auszubilden, sodass sie eben Chancen hat auf dem weltweiten Arbeitsmarkt, als Krankenschwestern, als Seeleute. Aber die Einwanderungsgesetze etwa auch in Neuseeland stehen dann dem entgegen. Die Möglichkeiten sind sehr gering, das möchten wir ausbauen. Wir möchten auch ausbauen die Möglichkeit für vorübergehenden Schutz und dann Anstrengungen, dass die Leute zurückkehren können.
Das ist beispielsweise im Moment in Somalia die große Herausforderung. In gewissen Teilen des Landes ist die Dürre vorbei, aber es würde sehr große Investitionen brauchen für den Wiederaufbau der Landwirtschaft, auch für die Sicherheit. Und da gibt es eigentlich keine Mechanismen. Und nur im allerletzten Notfall, also dort, wo keine dieser Möglichkeiten greift, da möchten wir dann ein Aufnahmeregime schaffen können, das aber nicht unbedingt der bekannte Flüchtlingsstatus ist, sondern ein neues Konzept.
.Kiribati , .Klima Umwelt Katastrophe Südseeinsel
Kiribati auf verlorenem Posten: Abfall türmt sich überall, Autowracks liegen an der Straße.© picture alliance / dpa / Christiane Oelrich
von Billerbeck: Nun läuft ja derzeit in Warschau die Klimakonferenz. Wie sind da eigentlich Ihre Hoffnungen? Immerhin werden dort ja Loss and Damages, also Verluste und Schäden durch den Klimawandel diskutiert. Dadurch könnten ja immer mehr Menschen zu Klimaflüchtlingen werden.
Kälin: Wir hatten im Pazifik eine Konsultation durchgeführt im Mai, und was uns die Regierungen, aber auch betroffene Gemeinschaften, nichtstaatliche Organisationen einstimmig gesagt haben, ist, es gibt eigentlich eine dreistufige Prioritätenordnung.
Priorität 1: Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren
Priorität Nummer eins: Das ist der letzte Moment, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren oder zumindest stabilisieren. 2015 braucht es eine neue Klimakonvention. Und wir wollen nicht, bevor dieses Ziel festgeschrieben ist, nun uns einfach entschädigen lassen für die Schäden, die wir erleiden. Das heißt mit anderen Worten, der Hauptakzent muss weiterhin auf der Reduktion von Treibhausgasen liegen. Das ist ja Gegenstand in Warschau, das ist die schwierige Diskussion. Da bin ich wie andere nicht sehr optimistisch, dass es zu einem Durchbruch kommt.
Deshalb zweite Priorität, Anpassungsmaßnahmen, sogenannte Adaptation, wie der Fachbegriff lautet. Hier geht es darum, Bedingungen zu schaffen, sodass Menschen länger in ihren Ländern bleiben können, dort leben können in Würde. Und dazu gehört eben beispielsweise auch die Möglichkeit, freiwillige Zeit durch begrenzte Auswanderung zu ermöglichen, saisonal beispielsweise gibt es ein Programm in Australien. Da können die Leute dann in der Landwirtschaft arbeiten, und mit dem verdienten Geld kann die Familie dann leben ein weiteres Jahr.
Und erst, wenn auch diese Möglichkeiten alle ausgeschöpft sind, soll dann über Loss and Damages gesprochen werden, also eigentlich Entschädigung. Die betroffenen Menschen wollen sich nicht abspeisen lassen mit Entschädigungszahlungen. Sie möchten so lange als möglich bleiben, wo sie sind.
von Billerbeck: Trotzdem, ich bin da ja genauso pessimistisch wie Sie – wenn wir diesem Szenario ins Auge blicken, dass es in bestimmten Ländern eben kaum noch rückgängig zu machen ist, diese Veränderungen durch den Klimawandel, dann müssen wir uns ja darauf einstellen, dass es möglicherweise zu großen Flüchtlingsströmen kommt.
Im Vorfeld Möglichkeiten schaffen
Kälin: Das ist nicht auszuschließen, und darauf sollten wir vorbereitet sein. Und ich denke auch hier, wir sollen uns nicht primär darauf vorbereiten, Flüchtlinge aufnehmen zu müssen, sondern wir sollten im Vorfeld schon Möglichkeiten schaffen, durch Arbeitsmigration, durch Auswanderung, auch Investitionen in Ausbildung et cetera, hier diese Bevölkerungsbewegungen nicht eigentlich steuern zu können, aber doch damit so umgehen zu können, dass die Menschen eben in Würde irgendwo anders ihre Zukunft planen und wieder aufbauen können. Flüchtling zu sein, ist immer ein sehr schweres Schicksal, und Prävention und Anpassung im Vorfeld, gerade auch durch eine großzügigere Migrationspolitik wäre hier einer der Ansätze.
von Billerbeck: Das sagt der Berner Staats- und Völkerrechtler Walter Kälin. Nach dem Fall des Ioane Teitiota, der während der drastischen Umweltschäden durch die Klimaveränderungen auf seiner Insel Antrag auf Asyl gestellt hat als erster Klimaflüchtling.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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