Umwelt

"Das Ganze hatte System"

Ein Industriegebiet Mitte der 60er-Jahre in der DDR
Nicht nur in der Region um Bitterfeld gehörte die Belastung der Umwelt durch die Industrie zum Alltagsleben. © picture alliance / Klaus Rose
Roland Jahn im Gespräch mit Jörg Degenhardt  · 05.03.2014
Marode Rohre und giftige Brühe, die im Teich versickert - solche Bilder zeigt die Dokumentation "Mitgift" im Kino. In der DDR sei Protest dagegen systematisch verhindert worden, sagt Roland Jahn, Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde.
Jörg Degenhardt: Jeder konnte es sehen, riechen und schmecken, und nicht nur in Bitterfeld oder Wolfen. Auch ökologisch war die DDR Ende der 80er so ziemlich am Ende. Morgen kommt ein Dokumentarfilm in die Kinos, der das ganze Ausmaß der Umweltzerstörung noch einmal bebildert, der aber auch zeigt, was aus kaputten Lebenswelten geworden ist: ja durchaus blühende Landschaften. Aufnahmen von 1990, von 2000 und Eindrücke von heute zeigt der Film "Mitgift" von Roland Blum. Und über die Langzeitdokumentation möchte ich jetzt reden mit Roland Jahn, dem ehemaligen DDR-Bürgerrechtler aus Jena und heutigen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Guten Tag, Herr Jahn, und schön, dass Sie ins Studio gekommen sind!
Roland Jahn: Schönen guten Tag!
"Wir hatten uns schon so daran gewöhnt"
Degenhardt: Nehme ich die Situation, so wie der Film sie beschreibt, dann könnte man denken, die DDR wäre ohnehin und auch ohne friedliche Revolution an ihren Umweltsünden gewissermaßen erstickt und zusammengebrochen. Ein verschlissenes Land, sagt der Filmemacher Roland Blum. War das auch Ihr Eindruck Ende der 80er-Jahre?
Jahn: Für mich wird in dem Film deutlich, wohin es führt, wenn keine demokratischen Grundrechte da sind, wenn Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Pressefreiheit nicht gegeben sind. Dann kann halt keine Auseinandersetzung mit den Umständen, in denen man lebt, stattfinden, und das war der Unterschied von Ost und West. Im Westen gab es auch Umweltprobleme; dort gab es aber die Möglichkeit, dass die Bürger sich zusammengefunden haben, in Initiativen dagegen protestiert haben und durchgesetzt haben, dass es auch Veränderungen gab. Denken wir auch an die Grünen, die 1983 in den Bundestag eingezogen sind. Da ist doch auch in der Politik etwas passiert.
Und in der DDR? – Im Film heißt es immer wieder, wir hatten uns schon so daran gewöhnt. Das ist eine ganz, ganz wichtige Aussage. Die Menschen hatten sich schon daran gewöhnt und es waren nur ganz wenige, die auch gerade unter der Gefahr von Repressionen versucht haben, sich zu wehren.
Degenhardt: Es war also vor allem ein Fakt der Gewöhnung und auch der Mutlosigkeit, der dazu geführt hat, dass die Leute nicht aufbegehrt haben gegen tropfende Rohre zum Beispiel in diesem Arzneimittelwerk in Dresden, gegen den Silbersee in Wolfen, ich könnte noch viele andere Beispiele nennen. Ehrlich gesagt als einer, der aus Ostdeutschland kommt: einige Beispiele waren mir gar nicht so bewusst, zum Beispiel, dass das Trinkwasser in Dresden derart hinüber ist, dass es erst abgekocht werden musste, bevor man es zu sich nehmen konnte.
Jahn: Das war ja auch ein Problem in der DDR. Es gab 1982 einen Ministerratsbeschluss zur Geheimhaltung von Umweltdaten. Das heißt, das Ganze hatte System. Man hat bewusst Umweltdaten geheim gehalten und dafür war dann die Staatssicherheit eingesetzt, das auch sicherzustellen. Es wurden Menschen, die in Betrieben tätig waren, die eigentlich für Umwelt zuständig waren, von der Stasi aus ihren Funktionen entfernt, wenn sie unzuverlässig erschienen, und so hat man systematisch hier Betriebe gesäubert, dass Menschen, die eine Gefahr darstellen, dass sie Umweltdaten an die Öffentlichkeit bringen, entfernt werden.
Degenhardt: Das heißt, die SED-Führung hat auch nicht zuletzt durch das ausgeklügelte Stasi-Überwachungssystem natürlich von diesen unhaltbaren Zuständen gewusst?
Jahn: Die SED-Führung hat davon gewusst. Es gab auch immer wieder Berichte, selbst von der Staatssicherheit an die SED-Führung. Aber das Entscheidende war: Man wollte ja im Wettlauf mit dem Kapitalismus sich durchsetzen. Das heißt, die Umwelt war wirklich ein Faktor, der keine Beachtung entsprechend gefunden hat.
Wechselspiel zwischen Wirtschaft und Umwelt
Degenhardt: Ist dieses Kapitel eigentlich schon auch durch Ihre Behörde ausreichend erforscht, oder machen Sie da immer noch neue Entdeckungen, dass in diesem Bereich doch der Stasi-Apparat stärker verankert war, als man das seinerzeit annehmen musste?
Jahn: Wir sind jetzt ganz aktiv gerade in dem Bereich Umwelt, in dem Bereich Wirtschaft, im Chemie-Dreieck. Dort haben wir zwei Forschungsprojekte, die auch dieses Wechselspiel zwischen Wirtschaft und Umwelt betrachten und vor allen Dingen den Einsatz der Staatssicherheit, hier diese Umweltdaten geheim zu halten, das, was an Missständen in Sachen Umwelt da ist, auch wirklich nicht an die Öffentlichkeit kommen zu lassen.
Degenhardt: Was mir ein bisschen in dem aus meiner Sicht sehr guten, sehr gelungenen, sehr eindrucksvollen Film fehlt, das ist die Stellungnahme derjenigen, die für das, was da zu sehen ist, für das Desaster, für den drohenden Umwelt-Kollaps, die dafür verantwortlich waren. Wie sehen Sie das? Gehört das nicht auch dazu zur Aufarbeitung der Vergangenheit, dass diejenigen, die dafür Verantwortung tragen, für die Missstände, dass die sich auch stärker in diesen Prozess mit einbringen, mit äußern?
Jahn: Das kann so ein Film nicht alles leisten. Aber es ist schon wichtig, dass wir die Frage der Verantwortung stellen. Es kann nicht sein, dass wir uns immer nur auf Stasi und Stasi-Mitarbeit konzentrieren bei der Aufarbeitung. Diese Fixierung auf das Thema Stasi, denke ich, das ist nicht gut und mir wäre wichtig, dass wir gerade auch in dem Bereich, wo es um Verantwortliche geht, die zum Beispiel beim Rat des Kreises, Rat des Bezirkes gesessen haben, die auch hätten oft anders entscheiden können, die auch hätten Umweltdaten bekannt machen können, auch Zivilcourage zeigen können, dass man die in die Verantwortung nimmt. Zumindest möchte ich, dass hier sie die Chance haben, auch sich auseinanderzusetzen mit ihrem Verhalten von damals.
Degenhardt: Zivilcourage zeigen – Sie haben das praktiziert. Aus heutiger Sicht das einzufordern, ist natürlich leicht, wenn man in Freiheit lebt. Wie reagieren Sie auf das Argument, damals hätte ich ja alles mögliche verloren, Anstellung, Ansehen, Respekt vielleicht der Kollegen, und es wäre trotzdem weitergegangen wie bisher?
Jahn: Ich denke, dass man natürlich auch verstehen muss, dass Menschen in Zwängen waren, gerade auch was den Arbeitsplatz betrifft und so weiter. Aber jeder kann sich individuell die Frage stellen, was wäre gewesen, wenn ich hier auf ein Problem aufmerksam gemacht hätte. Es gab ja einige, die es vorgemacht haben. Ich meine, wir haben den Film damals in der Sendung "Kontraste" in der ARD gesendet: "Bitteres aus Bitterfeld". Dort waren mutige Menschen unterwegs und haben hier für diese Informationen gesorgt, die dann von Ost nach West geschmuggelt worden sind. Oder andere Filme über den Altstadtzerfall, über Umweltverschmutzung in der Luft. Das sind alles Informationen gewesen, die aus der DDR von mutigen Menschen kamen, die gezeigt haben, dass es möglich ist, doch auch hier couragiert vorzugehen, und vor allen Dingen, die dazu beigetragen haben, die Augen zu öffnen denen, die sich schon daran gewöhnt haben. Ich habe eine Reaktion auf den Film über Altstadtzerfall und Luftverschmutzung in Leipzig gehört, die hieß, wir haben gar nicht mehr gewusst, wie schlimm es eigentlich schon ist. Und hat sich gezeigt, wie der Mut von wenigen geholfen hat, dafür zu sorgen, dass die Menschen dann in Leipzig wirklich auf die Straße gegangen sind und gesagt haben: Die Verhältnisse müssen sich ändern.
Degenhardt: "Mitgift" – eine Langzeitdokumentation über die Entwicklung Ostdeutschlands von der ehemaligen DDR von 1990 bis heute kommt morgen in die Kinos. Über den Film sprach ich mit dem einstigen Bürgerrechtler und jetzigen Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, mit Roland Jahn. Vielen Dank, Herr Jahn, für den Besuch im Studio!
Jahn: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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