Umstritttene Investitionen

Russland nach der Fußball-WM

Luschniki-Stadion in Moskau
Luschniki-Stadion in Moskau, wo das WM-Finale zwischen Frankreich und Kroatien stattfand. © picture alliance/dpa/Foto: Komsomolskaya Pravda
Von Thielko Grieß · 28.08.2018
Keine WM war bisher so teuer wie die in Russland. Die Gesamtausgaben sollen sich auf rund 11,6 Milliarden Euro belaufen. Aber was passiert nun mit diesen neuen Anlagen, die im Sommer für wenige Wochen im Fokus der Weltöffentlichkeit standen?
Ein Freundschaftsspiel in Glebowskij, ein kleiner Ort, gut 70 Kilometer nordwestlich von Moskau. Polizisten der Samtgemeinde gegen Verwaltungsangestellte. Auf der Tribüne haben einige Dutzend Fans Platz genommen. Die meisten haben Freunde oder Verwandte in den Mannschaften. Das Fußballfeld und die ganze Anlage sind noch brandneu. Flutlichtstrahler stehen bereit, der Rasen ist sorgfältig gestutzt. Dieser Platz ist jetzt schon ziemlich legendär.
Hier hat während der Weltmeisterschaft die französische Nationalmannschaft trainiert. Eingerahmt von seiner Frau und seinem Neffen sitzt nun Familienvater Jewgenij in der ersten Reihe der Tribüne. Er kommt aus einem Ort nur fünf Kilometer von hier entfernt und schwenkt eine sehr große blau-weiß-rote französische Fahne.
"Das ist ein historischer Sieg gewesen, hier ist ein historischer Ort. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir hier Gastgeber sein konnten, so eine Mannschaft hier beherbergt haben. Und natürlich bin ich nun Fan von Frankreich. Ich glaube, hier liegt großes Potenzial für Fußballtraining. Und jeder Junge kann hier lernen, dass auch er Weltmeister werden kann. Zumal ja auch die russische Mannschaft bei der WM sehr gut gespielt hat."

WM hat die Popularität von Fußball im Land wohl gesteigert

Tatsächlich hat die Weltmeisterschaft die Popularität von Fußball in Russland wohl gesteigert. Andrej Dunajew ist Chef der Verwaltung und nennt Zahlen aus der Gemeinde:

"Viel mehr Kinder spielen Fußball. Wir sind im besten Sinne des Wortes gezwungen, die Zahl der Trainerstellen zu erhöhen. Weil anderthalb Mal so viele Kinder beim Fußball sind wie im letzten Jahr. 3000 werden in den Fußballabteilungen spielen."
Im Dorf soll nun noch mehr Neues hinzukommen: ein Sportkomplex und eine Sportschule. Ähnliches soll an etlichen Orten geschehen, die zur WM entstanden sind.
In Russland sind in elf Städten zwölf Stadien neu- oder umgebaut worden, mehr als 90 Fußballplätze entstanden, Flughäfen wurden erweitert, Straßen neu asphaltiert. Die Summe der Gesamtausgaben wird in russischen Medien mit bis zu 883 Milliarden Rubel angegeben, das sind zurzeit rund 11,6 Milliarden Euro. Das historischer Rekord: Keine Weltmeisterschaft war so teuer wie die in Russland. Etliche Projekte sind allerdings gar nicht oder nicht transparent ausgeschrieben worden. Verdient haben in solchen Fällen Bauunternehmer, die dem Staatsapparat eng verbunden sind.

Laut Putin soll weiter Geld fließen

Damit das neu Gebaute mit Leben gefüllt werden kann, hat Präsident Wladimir Putin nur fünf Tage nach dem WM-Finale angekündigt, dass die föderale Ebene Russlands weiter viel Geld aufwenden will. In einem Konzept der Regierung ist die Rede von 16 Milliarden Rubel, etwa 211 Millionen Euro.
"Klar ist, dass die WM-Einrichtungen auch nach dem Turnier weiter mit voller Kapazität genutzt werden müssen. Genau dafür wurden sie gebaut. Die Programme zur Entwicklung der WM-Einrichtungen werden fünf Jahre lang finanziell unterstützt werden, damit sie zum Jahr 2024 eigenständig werden und als Entwicklungszentren der Städte und deren öffentlichen, geschäftlichen und kulturellen Lebens dienen."


Zurzeit aber haben die meisten Arenen ein Problem, und das besteht in geringen Zuschauerzahlen bei hohen Instandhaltungskosten. Zwar zeigen die Besucherzahlen der ersten Liga-Spieltage vielerorts deutlich nach oben. Aber niemand weiß, ob das auch im Winter noch so bleibt.
Das Beispiel Saransk, 600 Kilometer östlich von Moskau, steht für die problematischste Gruppe von Spielorten. Deren Kennzeichen sind: Der örtliche Verein zieht zwar nach der WM auch mehr Zuschauer an und hat damit viele erstaunt, aber das Stadion ist selbst dafür noch zu groß. Helfen soll ein Konzept, das der zuständige Minister der Teilrepublik Mordowien, Alexej Merkuschkin, erklärt:
"Im Stadion können Geschäfte, Restaurants, Sportzentren, Bowling und anderes untergebracht werden. Wir haben von Beginn an so geplant, damit später nicht so viel Geld für den Unterhalt des Stadions ausgegeben wird."
Das Krestowski-Stadion in St. Petersburg
Das Krestowski-Stadion in Sankt Petersburg© picture alliance/dpa/Foto: firo/Sebastian El-Saqqa

Um Stadien wachsen Stadtzentren herum

Ob die Rechnung aufgeht, wird sich erst noch erweisen. Jedenfalls wächst um das Stadion sichtbar ein neuer Stadtteil. Ähnlich wie in Saransk ist die Situation auch in Kaliningrad, Wolgograd, Rostow am Don, Nischnij Nowgorod und Jekaterinburg: Um die Stadien herum werden weitere Sportzentren errichtet, örtliche Vereine verlegen aus anderen, älteren Stadien ihre Spiele in die neuen Arenen und zahlen hohe Mieten. Ein Zweitligist aus Sankt Petersburg wird sogar rund 2300 Kilometer gen Süden, nach Sotschi, verpflanzt. Zuschüsse aus Steuermitteln fallen auch in Kasan oder Samara an.
Etwas stabiler auf eigenen Beinen stehen das Stadion Spartak in Moskau und das Stadion in Sankt Petersburg, weil dort vergleichsweise erfolgreiche Vereine spielen. Ein Sonderfall ist aber der Ort, an dem Frankreich im Finale Weltmeister wurde: Die größte Arena Russlands, das Stadion "Luschniki" in Moskau.


Arbeiter montieren auf dem abgedeckten Rasen eine Bühne für ein Konzert, das bald stattfinden soll. Das Stadion hat mehr als 80.000 Sitzplätze, eine Fassade, die dem Berliner Olympiastadion nachempfunden ist, und eine Menge High-Tech, erklärt Artjom Leonow, Leiter des Touristenzentrums "Luschniki".
"Offiziell wurden für die Renovierung 34 Milliarden Rubel ausgeben, knapp 450 Millionen Euro. 30 Prozent dieser Summe war für das Spielfeld, das Engländer gebaut haben. Das hat das ganze Jahr über eine Temperatur von 15 Grad. Unter ihm liegen 35 Kilometer Rohre für Bewässerung, Belüftung, Trocknung."
Aber: Luschniki ist nicht Heimat eines Liga-Vereins. Also bleibt es dort bei dem ein oder anderen Nationalmannschaftsspiel, dem jährlich ausgetragenen Fußball-Pokalfinale und Konzerten. Die Arena gehört der Stadt Moskau. Sie ist ein teurer Prestigebau, der oft leer stehen wird und hohe Zuschüsse erhält. Aber für die Erinnerung an eine perfekte Weltmeisterschaft, heißt es, lohne es sich, tief in die Tasche zu greifen.
Luschniki-Stadion in Moskau
Luschniki-Stadion in Moskau, wo das WM-Finale stattfand. Die Fassade wurde dem Berliner Olympia-Stadion nachempfunden.© Deutschlandradio / Thielko Grieß

Hören Sie auch hier zum Thema den Beitrag "Hohe Schulden, leere Stadien – Olympia und Fußball-WM in Brasilien" von Andreas Behn.
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