Die Kreml-Führung will das Internet abschotten
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In Russland tritt ein umstrittenes neues Internetgesetz in Kraft. Experten, wie der Netzaktivist Michail Klimarew, bezweifeln, dass es mit dem "souveränen Internet" wirklich losgeht, fürchten aber zunehmende Zensur.
Russland will Souveränität – auch im Netz. Das heißt: Die russische Regierung will unabhängig sein vom World Wide Web und ein ganz eigenes Domain-System aufbauen. Das soll dafür sorgen, dass das Internet auch dann weiter funktioniert, wenn es von der Außenwelt abgeschnitten ist – quasi als Intranet. Heute tritt ein entsprechendes Gesetz in Kraft. Aber ob es heute auch wirklich losgeht mit dem sogenannten "souveränen Internet", das bezweifeln nicht nur IT-Experten.
Michail Klimarew ist IT-Experte und Gründer der Nichtregierungsorganisation "Gesellschaft für Freies Internet". Auf die Frage, was denn jetzt passiert, wenn das Gesetz über das sogenannte "souveräne Internet" in Kraft tritt, antwortet er: "Mit großer Wahrscheinlichkeit wird nichts funktionieren, aus dem einfachen Grund, dass es unmöglich ist, allen Netzbetreibern in Russland - und das sind ungefähr 3000 – die entsprechende Hardware zu liefern." Außerdem habe die zuständige Aufsichtsbehörde Roskomnadzor es einfach nicht geschafft, alle Satzungen zum Gesetz in vollem Umfang vorzubereiten. Die seien aber notwendig, damit das ganze System funktioniere.
Internet-Blockade leichter möglich
Es geht um ein eigenes, nationales Domain-System. Durch das Gesetz sollen alle in Russland arbeitenden Internet-Provider dazu verpflichtet werden, nur noch diese russischen Domains zu nutzen – und darüber hinaus auch noch Technik zu installieren, die den staatlichen Behörden den direkten Zugriff auf ihre Kanäle garantiert. Dadurch sollten Daten und Inhalte leichter blockiert werden können. Und Russland könne sich so ideal vor Cyber-Angriffen schützen. So die Idee! Eine Idee, die Kritikern, wie Klimarew nicht gefällt: "Wenn dieses Gesetz in vollem Umfang funktionieren würde, würde das zu einer extremem Verschärfung der Zensur im Land führen. Weil genau das auch das Ziel des Gesetzes ist."
Auch wenn der IT-Spezialist skeptisch bleibt, ob das Gesetz umgesetzt werden kann, blickt er mit Sorge auf weitere Entwicklungen der russischen Netzpolitik. "Wenn wir in die Zukunft blicken und schauen, was weiter passieren kann, dann gibt es hier einige Trends. Der erste Trend ist das komplette Abschalten des Internets, der sogenannte Government Internet Shutdown - auf Befehl der Staatsmacht. Der Zweite sind immer mehr Gesetze, die mit Geldstrafen oder gar Strafverfolgung verbunden sind. Also immer mehr Gesetze um etwas zu blockieren und abzuschalten, um Nutzer und Eigentümer von Internet-Unternehmen zu bestrafen."
Unklare Testphase
Im Frühjahr waren Tausende auf die Straße gegangen um für die Freiheit des russischen Internets zu demonstrieren. Trotzdem wurde das Gesetz über das sogenannte "souveräne Internet" in kürzester Zeit verabschiedet. Über die Testphase, die zwischen der Verabschiedung des Gesetzes und seinem Inkrafttreten laufen sollte, ist kaum etwas bekannt – außer, dass sie in zwei Städten im Ural geplant sein soll. Deshalb zeigt sich der IT-Experte trotz aller grundsätzlichen Bedenken, entspannt: "Es ist offensichtlich, nichts wird sich verändern, es wird erst einmal kein souveränes Internet geben."
Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein: Auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow soll auf Anfrage einer Medienagentur geantwortet haben, dass sich die Technologien erst noch entwickeln müssten und das Gesetz daher erst einmal nur schrittweise umgesetzt werde.