Umstrittener Umzug

Von Sacha Verna · 12.06.2010
Der Pharmamillionär und Kunstsammler Alfred Barnes verfügte in seinem Testament, dass keines der Kunstwerke in der von ihm gegründeten Barnes Foundation je umgehangen werden darf. Jetzt soll die ganze Sammlung in einen Neubau umziehen.
Anderswo wäre von Querelen die Rede. Doch in den USA ist immer gleich eine Verschwörung mit im Spiel und das Ganze sowieso filmreif. "The Art of the Steal", "Die Kunst des Stehlens" heißt der jüngst in die Kinos gekommene Doku-Thriller, aus dem die eingangs gehörten Zitate stammen. Von den darin aufgestellten Behauptungen ist zumindest eine richtig: Die Barnes Foundation, zu der auch eine Schule und ein Arboretum gehören, bildet mit ihrer Kunstsammlung ein in der amerikanischen Kulturlandschaft einzigartiges Monument. Diese Sammlung umfasst 181 Werke von Renoir, 69 von Cézanne, 59 von Matisse neben fünfhundert weiteren von El Greco bis Van Gogh sowie Hunderte von anderen Kostbarkeiten aus der Schatztruhe der Geschichte.

Im Fall Barnes geht es um die ökonomischen Interessen eines Stiftungsrats und von Lokalpolitikern einerseits und um den Willen des Stiftungsgründers, des 1951 verstorbenen Pharmamillionärs Alfred Barnes andererseits. Oder besser, darum ging es bis vor Kurzem. Denn nach einem Gerichtsurteil steht inzwischen fest, dass die Barnes Foundation in zwei Jahren einen Neubau im Zentrum Philadelphias beziehen wird. Der Grund, so die Befürworter des Umzugs: Die Stiftung befindet sich in Finanznöten und brauche mehr zahlendes Publikum. Der Skandal, so die Opponenten, zu denen namhafte Kunstkritiker, Kuratoren und Sammler zählen: Eben vor den Massen wollte Barnes seine Sammlung schützen.

Sicher ist: Wer sie einmal besucht hat, wird die Intimität, die Kuriosität und die schiere Pracht der Barnes Collection nicht vergessen. Noch liegt die 88-jährige Stiftung in einem schwer zugänglichen Vorort von Philadelphia. Besuche in der Beaux-Arts-Villa sind nur mit Voranmeldung möglich, und zugelassen werden etwas über 60.000 pro Jahr - weniger als andere Institutionen pro Tag verzeichnen. Das soll, gemäß Barnes testamentarischer Verfügung, auch so bleiben.

Alfred Barnes hat über jedes Detail der Präsentation seiner Sammlung entschieden. Sie widerspiegelt seine Sicht künstlerischer Zusammenhänge, keine -Ismen, Themen oder akademischen Kategorien. Die Wände der 24 neo-klassizistischen Ausstellungsräume sind regelrecht gepflastert mit Werken, in keiner ersichtlichen Ordnung. Ein Akt von Rubens hängt über einem Picasso, daneben prangt ein Steinrelief aus dem Mittelalter, und davor steht eine afrikanische Holzskulptur. Auch dass müsse so bleiben: Kein Exponat darf laut Barnes je umplatziert, ausgeliehen oder verkauft werden.

Die Dimensionen der alten Räumlichkeiten und die Hängung würden am neuen Standort der Barnes Foundation exakt repliziert, versichert der Stiftungsvorstand. Als wäre die Akropolis in Disneyland genauso am Platz wie auf ihrem Hügel in Athen. Philadelphias Politiker kalkulieren derweil die Einkünfte, die sie sich von der zusätzlichen Touristenattraktion versprechen. Das neue von den Architekten Tod Williams und Billie Tsien entworfene Heim der Barnes Foundation gleicht einer kubistischen Geburtstagstorte mit leuchtendem Überbau und verfügt, natürlich, über ein Café und einen Museumsshop.

Benötigt die Welt wirklich einen weiteren dieser Kunstkonsumtempel? Und: Wie werden die Alfred Barneses der Zukunft das Schicksal dieser Stiftung interpretieren, wenn sie damit rechnen müssen, dass ihr letztes Wort nichts gilt?