Umstrittener Schriftsteller

Von Thomas Fitzel |
Alessandro Pipernos Roman-Debüt "Mit bösen Absichten" war in Italien höchst umstritten. Der Schriftsteller beschreibt darin die drei Generationen einer reichen jüdischen Familie, die nicht an die Vergangenheit denkt, sondern nur an ihren Lebensgenuss in der Gegenwart. Jetzt beginnt Piperno eine Lesereise durch Deutschland.
Einen weichen Hut, einen Borsalino, dazu fester englischer Tweed in grün und ein schauderhaftes rotes Strickwestchen, dazu einen Bart, der eher an den französischen Frauenmörder Landru erinnert, so sieht der neue und eigentlich mit 33 Jahren noch junge Star der italienischen Literatur aus.

Star ist keineswegs übertrieben. Nicht nur dass innerhalb von zwei Woche die erste Auflage seines Romans "Mit den bösen Absichten" verkauft war, sein erster Roman überhaupt, Presse und Medien überschlugen sich geradezu: Auftritte in Talkshows, seitenlange Homestories in den Hochglanzmagazinen und an vorderster Front der ehrwürdige Corriere della Sera. Doch hier tritt kein verschrobener Akademiker auf, wie man vielleicht meinen könnte, schließlich unterrichtet Piperno an der Universität von Rom Literaturwissenschaft, nein, mit diesen Erkennungszeichen der feinen römischen Gesellschaft, die den englischen Landhausstil dem italienischen Chic vorzieht, tritt ein wahrer Snob auf. Nicht umsonst vergleicht man ihn mit Marcel Proust. Understatement ist hier alles. Doch das Erstaunen über den Erfolg seines Buches, das ist echt.

Piperno: "Ich glaubte, ein Buch für einen kleinen Kreis zu schreiben, wie meine Kollegen etwa. Ich nahm an, mein Buch nähme den gleichen Weg wie alle ernsthaften Romane in Italien. Ein paar gute oder schlechte Kritiken und nur geringen Erfolg in den Buchläden. Stattdessen passierte etwas, was ich noch immer nicht recht begreife. Das Buch wurde zum Skandal, wohl weil einer es wagte, das Italienisch wieder in seiner größtmöglichen Ausdrucksmöglichkeit zu gebrauchen und es wurde zugleich ein Buch alla mode und daher reagierte ich doch erst einmal recht bestürzt darauf."

An Selbstbewusstsein fehlt es ihm nicht. Plötzlich wurde er zu einem bekannten Gesicht, der erkannt wurde, der bemerkte, dass im Restaurant über ihn gesprochen wurde. Obwohl der Roman in den Kreisen der römischen High-Society spielt, dazu noch einer jüdisch-katholischen erkennt sich doch eine ganze Generation in diesem Roman wieder. "Mit bösen Absichten" ist für Italien das, was "American Psycho" für die USA ist.

Piperno: "In gewisser Weise ist die Art, wie ich meinen Roman erzähle, also gleichzeitig hedonistisch und erbarmungslos, verwandt mit der Art der Generation, die in den achtziger Jahren aufwuchs, der Zeit des Hedonismus. Wir besaßen keine großen ideologischen Systeme mehr, stattdessen ein schönes Auto, eine tolle Uhr und ein wunderbares Haus."

Schon lange hat man kein so zugleich elegantes wie bitterböses und witziges Porträt der römischen High Society, gespickt mit einem ganzen Köcher voller Giftpfeile, gelesen. Erzählt wird die klassische Buddenbrooks-Geschichte vom Niedergang der jüdisch römische Familie Sonnino über drei Generationen. Nachdem sie der Shoa entkommen waren, stürzten sie sich nach dem Krieg hemmungs- und tabulos in das vitale Vergnügen des römischen Jet-Sets. Piperno spielt mit allen Klischees und mischt sie gehörig auf.

So feiert die eine Seite seiner Leser seine politisch unkorrekte Darstellung einer jüdischen Familie, die anderen, wie er den Antisemitismus aufs Korn nimmt. Zum ersten Mal schreibt einer wieder über diesen latenten Antisemitismus, der unausrottbar tief im bigott katholischen Bürgertum steckt. Piperno selbst stammt aus einer reichen, jüdisch-katholischen und römischen Familie und kennt, wovon er schreibt allzu gut.

Piperno: "Was doch recht bestützt ist die Tatsache, dass die einzige Sache, worüber sich die extreme Linke wie die extreme Rechte einigen sind, Israel ist. Manchmal habe ich den Eindruck, die Trauer über die toten Juden lässt die lebendigen vergessen."

Der Roman spiegelt aber auch die Bigotterie der italienischen Gesellschaft wieder, in der mit Berlusconis Privatfernsehen ständig barbusige Blondinen durch die Fernsehshows hüpften, zugleich aber extrem prüde geworden ist.

Piperno: "Der Roman kann auch als die Geschichte einer sexuellen Konterrevolution gelesen werden: von der Generation des Großvaters Bepy, für den die Sexualität eine enorme Kraft war und Lebensfreude symbolisierte bis zu dem Enkel Daniel, einem Onanisten, der im Grunde puritanisch, moralistisch und voll Hass sowie Lebensunfähigkeit ist, also die Geschichte einer Degeneration."

In vieler Hinsicht spiegelt der Roman das Italien wider, das jemanden wie Berlsuconi erst möglich gemacht hat. Mit einem gewissen wollüstigen Schauer genießt das italienische Publikum sein eigenes, mitleidlos gezeichnetes Porträt als Gesellschaft, in der die Oberfläche inzwischen alles ist. Doch darf man in Alessandro Piperno keinen entschiedenen Berlusconi Gegner erwarten wie viele andere seiner Kollegen, die die Trommel gegen dessen Wiederwahl im April rühren. Das wäre vielleicht zu viel der Ehre für Berlusconi und Piperno ist gegen jede Art der Übertreibung.

Piperno: "Berlusconi ist kein Erfinder, er nützt lediglich die Zeichen der Zeit für seine Zwecke aus. Mir scheint es, dass sehr viel Klischees darüber von Leuten wie Umberto Eco genährt werden, der sogar droht, bei einer möglichen Wiederwahl Berlusconis zusammen mit anderen Intellektuellen zu emigrieren. Aber das fälscht ein wenig die italienische Realität. Berlusconi stellt eine Anomalität unserer Demokratie dar, aber die Gesellschaft unterscheidet sich letztlich nicht sonderlich von der in Frankreich etwa."

Es widerspricht eben dem ganzen Wesen Alessandro Pipernos, das zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert schillert, sich in dieser Weise politisch zu engagieren. Piperno ist eben in allem eine Ausnahme.

Piperno: "Erstens mag ich Clubs aller Art nicht und daher gefallen mir auch keine Anti-Berlusconi Clubs, in der sich alle an bestimmten recht snobistischen Haltungen wieder erkennen und auch Sachen behaupten, die nicht wahr sind. Außerdem sollten meiner Überzeugung nach Intellektuelle gute Bücher schreiben du sich nicht in die Gesellschaft einmischen."