Umstrittener Philosoph der Macht

Warum fasziniert Carl Schmitt sogar seine Feinde?

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Der deutsche Staatsrechtler und Philosoph Carl Schmitt (1988-1985).
Der Staatsrechtler Carl Schmitt wird bis heute gelesen - auch von seinen politischen Gegnern. © Carl-Schmitt-Gesellschaft e. V. Berlin
Von Stefan Osterhaus · 24.11.2019
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Der Staatstheoretiker Carl Schmitt ist bis heute ein Faszinosum. Was reizt seine politischen Gegner an diesem bekennenden Demokratieverächter? Das Berliner Einstein-Forum sucht nach Antworten.
Was geschieht, wenn sich ein katholischer Antisemit und ein Rabbinersohn, der sich selbst als "Erzjude" bezeichnet, aus freien Stücken treffen? Zwei Menschen also, deren Biographie "gegenstrebiger" kaum sein könnte?
1978 reist Jacob Taubes, der an der Freien Universität Berlin lehrt, nach Plettenberg, um den Staatsrechtler und Rechtsphilosophen Carl Schmitt zu treffen. Schmitt, der die Freund-Feind-Unterscheidung als Kern des Politischen betrachtet, ist in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit wegen seines Engagements für die Nationalsozialisten verfemt. In der sauerländischen Heimat inszeniert er sich als intellektuellen Desperado.

Mit großer Überwindung: Jakob Taubes bei Carl Schmitt

Das Bindeglied zwischen Taubes und Schmitt bildet eine Korrespondenz Schmitts mit Walter Benjamin aus dem Jahr 1930. So tritt Taubes gewissermaßen an dessen Stelle. Ihre Gespräche kreisen um den Apostel Paulus, dem Taubes später eine Studie widmet. Es geht um die letzten Dinge – die Endzeit, die Apokalypse. Ethan Taubes, der Sohn des 1987 verstorben Hermeneutikers, bringt den Kontakt der beiden Antipoden auf eine prägnante Formel:
"Paulinian jew befriends – as my father would put it, and I think he was right – apocalyptic prophet of the counterrevolution. Okay, that was Schmitt."
Ein paulinischer Jude und ein apokalyptischer Prophet der Gegenrevolution freunden sich an, so hätte das sein Vater ausgedrückt, sagt Ethan Taubes. Auch den Berliner Kunsthistoriker und Schmitt-Kenner Horst Bredekamp hat dieses Verhältnis zweier derart Ungleicher beschäftigt. Der Gang zu Schmitt habe Taubes große Überwindung gekostet – wohl bis an die Grenze der Verleugnung:
"Taubes hat verneint, dass Benjamin Schmitt ebenbürtig sei. Es schmerzt, diese Zeilen zu lesen, aber sie verdeutlichen, mit welcher Brachialgewalt sich Taubes von den ethischen Fixierung der Geschichte zu lösen versuchte."

"Das Leben selbst ist nicht liberal"

Die Besuche von Taubes stehen nicht für sich allein. Dass ein Mann wie Schmitt von Rechten rezipiert wird, versteht sich von selbst. Aber Taubes war ein selbsterklärter Linker. Und so wirft sein Verhältnis zu Schmitt vor allem die Frage auf, was diesen antiliberalen Denker für jene attraktiv macht, die er doch eigentlich als seine Feinde hätte betrachten müssen.
"Immer wieder verwundert es, warum ein Gegner des Liberalismus für die Verfechter desselben von Bedeutung und Wert sein kann", sagt Horst Bredekamp. "Taubes hat dies in die entwaffnende Formel gebracht, dass das Leben selbst nicht liberal sei. Sich als liberal auszugeben, und das Leben als ein liberales zu führen, sei kein Verdienst, sondern ein Luxus, der auf Kosten anderer ginge. Das Abstraktum des Liberalismus auszurufen sei politisches 'Biedermeier'. Den Liberalismus zu verteidigen, heiße daher, seine Kosten mit zu bedenken, zu berechnen, und dieses Gebot sei von niemandem, so Taubes, so klar definiert worden wie von Carl Schmitt."

Freund-Feind-Beziehung: Sich selbst im Gegner erkennen?

Horst Bredekamp überrascht zudem mit einer Auslegung des Freund-Feind-Schemas, die den buchstäblich tödlichen Ernst, der dieser Definition per se anhaftet, in den Hintergrund treten lässt:
"Aus der inneren Logik von Schmitt kommt es entscheidend darauf an, im Feind nicht das Tier zu sehen, sondern das Gegenüber, das ich selbst in feindlicher Position bin. Das ist ein entscheidender Ansatz. Das ist etwas völlig anderes als die Vertierung des Gegners im Bürgerkrieg, wie wir das erleben. Ich will Schmitt nicht verteidigen. Ich glaube, ich habe gesagt, dass er meine eigene Frage als Feind ist. Schmitt ist mein Feind, aber erst mal eine Frage, das ist mein Punkt."
Folgt man Bredekamp, dann soll also das Freund-Feind-Schema nicht nur dazu dienen, den Krieg zu erklären, sondern auch helfen, ihn zu vermeiden. Ist es da noch eine Überraschung, dass Schmitt, der Rechtsaußen, plötzlich von vielen Seiten anschlussfähig erscheint? Zudem macht Schmitt es seinen linken Lesern insofern leicht, als er selbst nicht in den Kategorien links und rechts dachte. Solche Begriffe, so schrieb Schmitt einmal, seien für ihn bloß politische Vulgärsprache.

Ein gemeinsamer Feind: Das liberale Bürgertum

Taubes dachte ganz ähnlich, wie Herbert Kopp-Oberstebrink, Herausgeber des Briefwechsel von Carl Schmitt und Jacob Taubes, darlegt. In einem Brief an Armin Mohler, den Sekretär Ernst Jüngers, der den Begriff der "Konservativen Revolution" prägte, schreibt Taubes:
"Radikales Denken, an die Wurzel gehend, kann mit dem rechts-links-Schema nicht dargestellt werden."
Verwundert es da, wie tief die Ressentiments von beiden, Schmitt und Taubes, gegenüber dem liberalen Bürgertum waren? Das liberale Bürgertum war der gemeinsame Feind, wie der Religionswissenschaftler Jan Assmann anmerkt:
"Das verabscheuen beide. Das hat Carl Schmitt verabscheut, das hat Jacob Taubes verabscheut. Und in diesem Punkt berühren sie sich. Der Hass hat ja auch als solches ein intellektuelles Faszinosum dargestellt."
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