Umstrittener CSU-Vorschlag

Wie die Integrationspflicht in Berlin-Neukölln ankommt

Ein Hund sitzt in der Pannierstraße an der Ecke Weserstraße auf dem Gehweg vor der Kneipe "Freies Neukölln", fotografiert am 20.08.2013 in Berlin Neukölln.
Berlin - Kneipe in Neukölln © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Claudia van Laak · 07.01.2016
Der CSU-Vorschlag einer Integrationspflicht könne nicht ernst gemeint sein, meint der Direktor des Instituts für Migrationsforschung, Wolfgang Kaschuba. In einem Verein türkischstämmiger Männer in Berlin-Neukölln gibt es dagegen auch Zustimmung.
Jeden Montagabend treffen sie sich beim Verein "Aufbruch Neukölln". Zehn bis 15 türkischstämmige Männer, die über ein falsches und richtiges Verständnis von Ehre reden, über die Rolle von Vätern und Müttern, über Gewalt in der Familie, manchmal auch über Politik. Das geht nicht ohne einen starken Tee mit viel Zucker und nicht ohne Gelächter.
Das Lachen vergeht den Männern allerdings, als sie einen Blick in das Integrationspapier der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag werfen.
"Jeder muss sich individuell im Rahmen einer Integrationsvereinbarung zu unseren Werten, unserer Rechtsordnung und den Regeln eines friedlichen Zusammenlebens bekennen", lesen sie da.
Und dass Verstöße gegen die Vereinbarung auch Leistungskürzungen nach sich ziehen könnten.
"So kann man mit Menschen nicht umgehen."
"Das kommt vom Himmel, ich lehne ab, das geht nicht."
"Ein Zwang würde zu keinem Ergebnis führen."
"Warum habe ich ohne Vereinbarung Deutsch gelernt?"
Kazim Erdogan macht sich zum Wortführer der CSU-Kritiker. Der Psychologe und Gründer des Vereins "Aufbruch Neukölln" lässt kein gutes Haar an dem Vorschlag der Christsozialen, Einwanderer eine Integrationsverpflichtung unterschreiben zu lassen.
"Warum habe ich ohne Vereinbarung Deutsch gelernt? Weil ich mich entschieden habe, dass ich in diesem schönen Land bleiben werde und ich bin damit zurechtgekommen. Warum noch mehr Bürokratie? Und die Frage ist die: Was macht die CSU, wenn alle Menschen, die nach Deutschland kommen, diese Vereinbarung unterschreiben, glaubt sie, dass alle perfekt Deutsch lernen werden? Nein."
Überzeugen, nicht zwingen müsse man die Einwanderer, meint der 62-Jährige, der für seine Integrationsarbeit schon viele Auszeichnungen erhalten hat, unter anderem das Bundesverdienstkreuz.
"Diese Menschen kommen aus Kriegsgebieten, die sind sozusagen bestraft. Und sobald sie hierher kommen, lassen wir sie Papiere unterschreiben, die sie nicht verstehen. Und sie sind doppelt und dreifach bestraft, das brauchen wir nicht."
Doch nicht alle an diesem Tisch sind dieser Meinung. Özcan Nalbant meldet sich zu Wort.
"Ich finde nichts, was dagegen spricht."
"Man muss sich verabschieden von einer Multikulti-Träumerei"
Der 46-Jährige mit sorgfältig geschorener Glatze und Kinnbart macht eine klare Unterscheidung zwischen "wir" und "die". Er findet, all das, was für ihn gelte, solle auch für die Einwanderer von heute gelten.
"Damals, als ich mit 16 zur Ausländerbehörde gegangen bin, musste ich auch unterschreiben, dass ich mich integriere und nicht straffällig werde. Warum sollen die das nicht machen?"
Und: Wer sich nicht daran halte, der solle bestraft werden. Na klar, Sanktionen, sagt Özcan Nalbant.
"Hier zum Beispiel: Hartz-IV Empfänger - wenn was nicht funktioniert, wird doch auch gekürzt. Warum soll man bei denen eine Ausnahme machen?"
Ortswechsel. Das Berliner Abgeordnetenhaus.
"Man muss sich verabschieden von einer reinen Multikulti-Träumerei. Es gab in den letzten Jahrzehnten viele Menschen, die der Entwicklung Berlins und Deutschlands nicht gut getan haben, indem sie gesagt haben: 'Alles regelt sich von selbst.' Bloß keine klaren Ansprachen, alles kommt irgendwie zusammen, das ist absurd."
Das klingt nach CSU, nur nicht mit bayerischem Dialekt. Weit gefehlt. Derjenige, der hier das Ende von Multi-Kulti verkündet, ist SPD-Mitglied und selber Migrant. Raed Saleh, Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus:
"Man braucht klare Regeln."
Viele irre Ideen aus der Politik
Was nicht heißt, dass der Berliner mit arabischen Wurzeln den CSU-Vorschlag einer Integrationspflicht gut heißt.
"Viel Papier für nichts. Man muss in die Köpfe rein, man muss unsere Werte vermitteln, man muss im Grunde auch unsere Werte vorleben."
Wertevermittlung, so ein Quatsch, meint dagegen Wolfgang Kaschuba, Direktor des Berliner Instituts für Integrations- und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität. Wir integrieren über Lebensstile, nicht über Werte, sagt Kaschuba, der sich seit Jahrzehnten wissenschaftlich mit dem Thema Integration beschäftigt. Er habe schon viele irre Ideen aus der Politik erlebt, erzählt er, aber der aktuelle CSU-Vorschlag sei besonders irre.
"Es wäre jetzt interessant, ob - wenn wir eine solche Integrationsvereinbarung für Flüchtlinge praktizieren - bräuchten wir dann nicht auch eine Integrationsvereinbarung für Banker, die vor dem Eintritt ins Berufsleben versichern müssten, dass sie keine Steuerhinterziehung betreiben?"
Wolfgang Kaschuba lächelt, er freut sich über eine gelungene Provokation. Der CSU-Vorschlag einer Integrationspflicht könne gar nicht ernst gemeint sein, sagt der Direktor des Instituts für Migrationsforschung. Er sei nicht umsetzbar, populistisch und diene nur der eigenen politischen Positionierung der Christsozialen.
"Zunächst einmal ist es eine Maßnahme, die so tut als wäre sie dringend notwendig und als wäre sie praktikabel - beides ist nicht der Fall."
Zurück nach Berlin-Neukölln, zu den türkischen Migranten. Die Teegläser sind wieder aufgefüllt, noch wird debattiert über das CSU-Papier, das von Hand zu Hand wandert. Hasan Özdenyazan denkt laut über Konsequenzen nach, sollte der Vorschlag umgesetzt werden. Wohl ist ihm nicht dabei.
"Falls es dem Amt so vorkommt, dass einer den Vertrag nicht eingehalten oder abgelehnt hat. Was ist denn dann? Das macht mir Angst."
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