Umstrittene Neuauflage von "Tim im Kongo"

Tim, Struppi und der Kolonialismus

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Bienvenu Mbutu Mondondo hält die Darstellungsweise von Afrikanern in "Tim und Struppi im Kongo" für rassistisch.
Comiczeichner Hergé gestand später selbst ein, dass einige seiner Geschichten rückwirkend betrachtet problematisch sind. © imago/Reporters
Von Ramona Westhof · 11.02.2019
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"Tim und Struppi" sind in Belgien wichtiges Kulturgut - aber nicht unumstritten. Der Band "Tim im Kongo" ist geprägt vom Kolonialismus und stellt Afrikaner sehr stereotyp dar. Doch in der Neuauflage fehlt eine kritische Auseinandersetzung.
Ein Mann mit schwarzer Haut beugt sich bedrohlich über einen Schlafenden. Zwischen den Fingern hält er Klingen, die wie Krallen aussehen. Er trägt eine einfache Stoffmaske und einen Überwurf. Beides mit Leopardenmuster, als wolle er sich als Raubtier verkleiden.
Ein Bildschirm neben der Statue erklärt: kolonialistische Propaganda aus dem Jahr 1913. Gerüchte über Männer im Leopardenkostüm, die in den Kolonien Menschen angreifen, waren damals weit verbreitet. "Die Aussage soll sein: Der Kongo ist ein Land, vor dem man Angst haben muss, weil man den Menschen nicht trauen kann. Man muss sie 'zivilisieren', denn hier in Europa tun wir so etwas nicht", sagt Bruno Verbergt. Er arbeitet im Afrikamuseum in der Nähe von Brüssel, in dem auch der Leopardenmann steht.

Hergé ließ sich vom Afrikamuseum inspirieren

1930 holte sich der Zeichner Hergé dort Inspiration für seinen Band "Tim im Kongo". Im Comic wird Tim von einem Mann im Leopardenkostüm angegriffen, der der Statue im Museum zum Verwechseln ähnlich sieht. Auch ein riesiges Holzboot, einige Speere oder ein ausgestopftes Krokodil erinnern an Szenen, die der junge Reporter im Kongo erlebt. Und auch vom kolonialistischen Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts hat sich Hergé inspirieren lassen:
"Das ist nicht wirklich Hergés Schuld, würde ich sagen. Die Geschichte ist Teil der Kolonialzeit und der kolonialen Bilder, die auch dieses Museum vermittelt hat. Es war damals Aufgabe des Museums, den Kolonialismus dieses Landes in ein positives Licht zu rücken."

Gruselige Afrika-Stereotype

Hergé hat später selbst eingestanden, dass einige seiner Geschichten rückwirkend betrachtet problematisch sind. Und tatsächlich ist die Darstellung der Afrikaner, die Tim im Kongo trifft, so stereotyp, dass es beim Lesen gruselt:
"Viele verbeugen sich zum Beispiel vor Tim. Die Sprache spielt auch eine Rolle, sie sprechen eine vereinfachte Sprache, als ob sie sich nicht richtig ausdrücken könnten. Und zur rassistischen Darstellung gehört natürlich auch die physische: dicke rote Lippen und die sehr dunkle Hautfarbe. Das sind Karikaturen, die sehr viele Vorurteile vermitteln", sagt Nabila, die für das Brüsseler Collectif Mémoire Coloniale aktiv ist, das sich für die Aufarbeitung des Kolonialismus einsetzt.
Ein heikles Thema in Belgien. Nabila will darum auch ihren vollen Namen lieber nicht im Radio hören. Sie befürchtet Probleme mit ihrem Arbeitgeber. Das Collectif kritisiert den Umgang des Rechteinhabers Moulinsart mit "Tim im Kongo". Es fehle an kritischer Auseinandersetzung.

Kein Wort zum kolonialistischen Kontext

Im Januar hat der Verlag den Band neu koloriert und neu aufgelegt, als Download in seiner App. Die Darstellung sei jetzt noch realistischer, heißt es im Vorwort. Damit ist allerdings nur die Farbgebung der Landschaft gemeint. Zum kolonialistischen historischen Kontext kein Wort.
Moulinsart sagt auf Nachfrage, man wolle das Werk von Hergé in seiner Vollständigkeit darstellen und dazu gehöre auch der Band "Tim im Kongo", egal wie umstritten das Thema gerade sei. Außerdem plane man für die App ein interaktives Feature mit Hintergrundinformationen zu den Geschichten. Für Nabila passt das nicht zusammen:
"Auf der einen Seite spricht sich Moulinsart auf seiner Internetseite für die Restitution von afrikanischer Kunst aus, andererseits vertreibt der Verlag diesen Band mit großem Werbeaufwand – und das ganz ohne Warnung oder Einordnung. Es gibt also eine Diskrepanz, die wir nicht verstehen, und darum kommen wir zu dem Schluss, dass wirtschaftliche Interessen hier über die von Menschen gestellt werden."

Neuauflage ohne kritische Auseinandersetzung

Das Collectif Mémoire Coloniale fordert ein neues Vorwort, das auch in die schon heruntergeladenen Kopien eingefügt werden soll. Einige Übersetzungen haben seit Jahren so ein Vorwort, das die rassistischen Darstellungen im Comic in den historischen Kontext der Entstehungszeit einordnet.
Und die Neuauflage würde sich dafür geradezu anbieten: Sie basiert auf der Originalversion aus den 30ern. In einer Szene bringt Tim einer Klasse kongolesischer Jungen ihr "Vaterland Belgien" näher. Eigentlich stellt er schon seit 1946 Rechenaufgaben. Damals wurden alle Hinweise auf Tims belgische Herkunft entfernt - die Geschichten ließen sich so international besser vermarkten.
Im Afrikamuseum sind der Leopardenmann und andere Statuen seit einigen Monaten aus der regulären Ausstellung verschwunden. Sie stehen nun eingezäunt in einem kleinen Kellerraum, daneben ein Schild, das erklärt, sie seien nicht mehr zeitgemäß.
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