Umstrittene Justizreform in Polen

Das Ende des Rechtsstaats?

17.7.2017. Tausende demonstrieren am Abend in Warschau gegen Änderungen im polnischen Justizsystem und beim Obersten Gerichtshof. Vorn rechts der Gründer der Bürgerbewegung KOD, Mateusz Kiowski.
Tausende demonstrieren am 17. Juli 2017 in Warschau gegen Änderungen im polnischen Justizsystem und beim Obersten Gerichtshof. Vorn rechts der Gründer der Bürgerbewegung KOD, Mateusz Kiowski. © dpa / Jan A. Nicolas
Moderation: Monika van Bebber · 21.07.2017
Polens Regierung will die Kontrolle der Regierung über die Gerichte ausbauen. Nicht nur in Polen selbst fürchten Gegner der Justizreform das Ende des Rechtsstaates. Auch die EU-Kommission droht Polen mit Sanktionen. Doch ist die Justizreform wirklich so problematisch?
Mit einer Reihe von Gesetzesvorhaben plant Polens Regierung derzeit eine umstrittene Justizreform, mit der die Regierung die Kontrolle über die Gerichte ausbauen will. Das weckt Sorgen vor einem Abbau des Rechtsstaates. Die EU-Kommission droht Polen wegen der Justizreform mit Sanktionen und hat ein Ultimatum gestellt. Bundeskanzlerin Merkel hat klargemacht, dass sie das Geschehen im Nachbarland aufmerksam verfolgt. Der polnische Präsident Duda kündigte an, Teile der umstrittenen Gesetzgebung nicht abzuzeichnen. Der luxemburgische Außenminister Asselborn spricht gar davon, dass die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten werde.
Ist dies haltlos übertrieben oder driftet Polen tatsächlich in den Autoritarismus? Wäre die Reform ein gefährlicher Präzedenzfall für die Europäische Union? Wie sollten die Partner Polens damit umgehen?
Darüber diskutieren in unserer Sendung Wortwechsel:
Gesine Schwan, die ehemalige Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsch-polnischen Beziehungen:
Das Problem sei, "der bestimmende Einfluß einer politischen Kraft, der die Gewaltenteilung aufhebt. Gewaltenteilung heißt, dass die Legislative oder auch die Exekutive auf checks and balances stößt, und dass nicht eine Macht, geschweige denn eine Partei durchregieren kann." Dazu sollten Richter nicht nur von einer politischen Partei bestimmt werden dürfen und sie dürften nicht abberufen werden, damit ihre Unabhängigkeit gewährleistet sei. Dies alles macht die polnische Justizreform nach Einschätzung von Gesine Schwan höchst problematisch.
Janusz Tycner, polnischer Publizist:
"Man darf nicht den Eindruck entstehen lassen, hier schaltet und waltet die Parteiherrschaft. Das Ganze bewegt sich im Rahmen der polnischen Verfassung." Tycner verwies darauf, dass auch in einer traditionsreichen Demokratie wie den USA die Richter des Obersten Gerichtshofes direkt vom Präsidenten eingesetzt würden.
Florian Kellermann, Deutschlandradio-Korrespondent in Warschau:
Fast alle Verfassungsrechtler in Polen halten, so Kellermann, das Vorgehen der Regierungsmehrheit für nicht verfassungsgemäß. "In der Verfassung steht ganz klar drin, dass die Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs für sechs Jahre bestimmt wird und dass ihre Amtszeit nicht verkürzt werden kann."
Sylvia-Yvonne Kaufmann, SPD-Europaabgeordnete:
Sylvia-Yvonne Kaufmann hält es für wahrscheinlich, dass die EU-Kommission ein Verfahren nach Art. 7 des EU-Vertrages beantragen werde. Dieses Verfahren ist für den Fall "schwerwiegender und anhaltender" Verstöße gegen EU-Grundwerte vorgesehen. "Wir haben jetzt Anfang der Woche ein Schreiben von fünf Fraktionsvorsitzenden an den EU-Parlamentsvorsitzenden Tajani gehabt, mit der Aufforderung, dass er sich an den polnischen Präsidenten Duda wende, um deutlich zu machen, dass wir die Gefahr sehen, dass die Gewaltenteilung in Polen abgeschafft wird." Sie vermute "sehr stark", dass das europäische Parlament die Kommission auffordern werde, ein Art. 7-Verfahren einzuleiten.
Polnischer Senat winkt Justizreform durch: Hören Sie hier einen aktuellen Beitrag von Florian Kellermann zur Abstimmung.
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