Umstrittene Höcke-Rede

    Provokation als politisches Werkzeug

    Eine Frau mit buntem Hut steht am 09.12.2013 in Berlin im Nieselregen zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin.
    Eine Frau steht zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin. © picture alliance / dpa / Teresa Fischer
    18.01.2017
    Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke sorgt erneut für Empörung: In einer Rede forderte er eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" und sprach von einem "Denkmal der Schande im Herzen der Hauptstadt". Das sei eine bewusste Provokation, sagt Stefan Maas aus unserem Hauptstadtstudio. Die Botschaft sei nach innen an die Anhänger gerichtet.
    Offensichtlich mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin sagte Höcke auf einer Veranstaltung der Jungen Alternative am Dienstagabend in Dresden:
    "Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat."

    Sollten wir dieser Rede eine Bühne geben?

    Wir als Online-Redaktion suchen den richtigen Umgang mit dieser Rede: Sollen wir dieser Rede noch größere Reichweite geben, indem wir darüber berichten? Oder sollten wir das Video von der Rede zeigen, um aufzuklären und unsere User für das Thema sensibilisieren? Diese und weitere Fragen haben uns heute in der Morgenkonferenz bewegt. Wir haben uns daher von Stefan Maas aus unserem Hauptstadtstudio einige Fragen beantworten lassen.
    Deutschlandradio Kultur: Herr Maas, Sie berichten im Hauptstadtstudio des Deutschlandradios über die AfD. Der AfD-Politiker Björn Höcke spricht von einem "Denkmal der Schande".* Wie ordnen Sie diese Provokation ein?
    Stefan Maas: Björn Höcke schreibt selbst in einer persönlichen Erklärung, die er zu seiner Rede abgegeben hat, er sei

    "erstaunt über die Berichterstattung zu meiner Rede vom 17. Januar in Dresden. Angeblich soll ich dort das Holocaust-Gedenken der Deutschen kritisiert haben. Diese Auslegung ist eine bösartige und bewusst verleumdende Interpretation dessen, was ich tatsächlich gesagt habe. Wörtlich habe ich gesagt: 'Wir Deutschen sind das einzige Volk, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.' Das heißt, ich habe den Holocaust, also den von Deutschen verübten Völkermord an den Juden, als Schande für unser Volk bezeichnet. Und ich habe gesagt, dass wir Deutsche diesem auch heute noch unfassbaren Verbrechen, also dieser Schuld und der damit verbundenen Schande mitten in Berlin, ein Denkmal gesetzt haben."

    Ein ewiges Thema

    Liest man das, was er gesagt hat, einfach nur Buchstaben für Buchstaben, dann ist es nicht falsch, was er gesagt hat, dann kann man es so verstehen, dass er sagen will, die Deutschen erinnern an diese Schande des Holocausts mit diesem Mahnmal.
    Hört man aber die Rede an dieser Stelle weiter, dann sagt er auch, dass es in Deutschland immer so sei, dass deutsche Geschichte "mies und lächerlich" gemacht wird, statt sich auf das zu konzentrieren, was die Deutschen stolz machen könnte. Große Komponisten, Dichter und Denker. Das ist ein ewiges Thema für ihn, dass die Deutschen besser darin sind, sich an das zu erinnern, was nicht gut war als an das, was sie stolz machen könnte.
    Allerdings ist es auch bei dieser gestrigen Rede wieder so, dass er so geschickt formuliert, dass am Ende jeder hören kann, was seiner persönlichen Geisteshaltung entspricht. Wer das Holocaust-Gedenken für eine Schande hält, kann sich in der Formulierung wiederfinden – und den anderen kann Höcke sagen: Ihr habt mich bloß falsch verstanden. Und zwar mit Absicht.
    Auch das ist ein Werkzeug, das nicht nur Höcke gerne einsetzt: Provozieren, um dann zu erklären: "Ich bin missverstanden worden". Die Botschaft, die er setzen wollte, ist bei denen, an die sie gerichtet war, aber längst angekommen. Das spätere Nachjustieren, Zurückrudern, das nehmen diese Leute gar nicht mehr wahr.
    Deutschlandradio Kultur: Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat die Rede scharf verurteilt. "Das Berliner Holocaust-Denkmal als 'Denkmal der Schande' zu bezeichnen, wie es Björn Höcke getan hat, ist zutiefst empörend und völlig inakzeptabel', sagte Schuster heute Vormittag. Muss sich die AfD, wie die Grünen-Vorsitzende Simone Peter fordert, sich unmissverständlich davon distanzieren und entschuldigen?

    Distanzierung mit einer kräftigen Prise politischen Kalküls

    Maas: Das passiert bereits. Zumindest bei einigen Teilen der Partei. Eine offizielle Stellungnahme gab es bis gerade noch nicht, allerdings haben Marcus Pretzell, der NRW-Vorsitzende, und Parteichefin Frauke Petry sich bereits distanziert. Pretzell wirft Höcke vor, er habe sich wieder einmal bewusst missverständlich ausgedrückt, etwas, was auch Pretzell bestens beherrscht, wenn es ihm passt. Und Frauke Petry hat erklärt, sie habe schon vor einem Jahr gesagt, Höcke schade der Partei, weil er sich nicht genug nach rechts abgrenze.
    Bei diesen beiden muss man allerdings auch wissen, dass beide mit Höcke auf Kriegsfuß stehen. Daher ist die Distanzierung auch mit einer kräftigen Prise politischen Kalküls versehen.
    Deutschlandradio Kultur: Was kennzeichnet die Vorgehensweise der Partei? Ist diese Rede Normalität oder Alltag?

    Kommunikation der AfD steht auf zwei Beinen

    Maas: Björn Höcke ist nicht der einzige in der Partei, der es beherrscht, seine Aussagen so zu formulieren, dass er hart bis an die Grenze dessen geht, was politisch und juristisch vertretbar ist, diese Grenze aber nicht überschreitet. Dazu ist er zu klug. Die Kommunikation der AfD steht auf zwei Beinen: Das eine: Die Botschaft ist nach innen an die Anhänger gerichtet. Die kriegt man mit der steilen Formulierung. Und gleichzeitig kann man sich sicher sein, dass die als "Lügenpresse" geschmähten Medien darauf anspringen und die Botschaft an die verlautsprechern, die sie noch nicht gehört haben.
    Ich glaube, die Überlegung, wir warnen mit der Berichterstattung davor, was man mitwählt, wenn man AfD wählt, die geht nicht auf. Die einen würden es eh nicht tun, den anderen sind auch solche Parolen egal oder sogar willkommen. Ein Dilemma also für die Medien.
    Deutschlandradio Kultur: Wie tritt die AfD Ihnen gegenüber auf, zum Beispiel auf Pressekonferenzen?
    Maas: Ich habe bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht. Allerdings habe ich mir auch von Anfang an auf die Fahnen geschrieben, genau so über diese Partei zu berichten wie über alle anderen auch. Also auf Augenhöhe. Und die AfD-Mitglieder ernst zu nehmen, auch wenn ich ihre politischen Ansichten nicht teile.
    Deutschlandradio Kultur: Ist mit der Rede eine Grenze überschritten? Muss die AfD jetzt nicht Björn Höcke aus der Partei ausschließen?

    Maximal eine Ermahnung

    Stefan Maas: Ich gehe davon aus, dass es maximal auf eine Ermahnung hinauslaufen wird. Das ist in früheren Fällen auch so gewesen. Etwa bei der Rede zum "afrikanischen Ausbreitungstypen", die er bei einer Veranstaltung gehalten hat. Denn die AfD weiß auch um den Wert, den Björn Höcke für sie hat. Er spricht ein bestimmtes Wählerklientel an, das die Partei braucht.
    Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für Ihre Antworten!
    Das Interview führte Matthias Dreier, Online-Redaktion
    *) Korrektur: Wir haben an dieser Stelle die Frage redaktionell geändert, um so näher an der wörtlichen Rede von Björn Höcke zu sein.
    Stefan Maas
    Stefan Maas© Deutschlandradio / Bettina Straub
    Stefan Maas ist seit Januar 2013 freier Korrespondent im Deutschlandradio-Hauptstadtstudio.

    Vorher war er sieben Jahre Redakteur in der Abteilung Hintergrund im Deutschlandfunk.
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