Umgeben von Feinden
Holm Sundhaussen ist Professor für Südosteuropäische Geschichte am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Und ihm ist etwas gelungen, wovon andere Historiker träumen: Seine „Geschichte Serbiens. 19. bis 21. Jahrhundert“ hat eine breite gesellschaftliche Debatte ausgelöst.
Nicht etwa in Deutschland. Hierzulande diskutierten vor allem Fachleute Sundhaussens 2007 erschienene, 500-seitige Gesamtdarstellung der Entwicklung des modernen serbischen Staates. In Serbien dagegen veröffentlichte die renommierte Tageszeitung „Danas“ seit Oktober vergangenen Jahres vorab eine Serie von Auszügen aus der serbischen Übersetzung.
Die zahlreichen Reaktionen zeigen: Große Teile der Öffentlichkeit und auch die meisten Historiker in dem ex-jugoslawischen Staat meinen: Ein Fremder kann Serbien nicht verstehen. Und ein Deutscher schon gar nicht.
Symptomatisch ist diese Zuschrift eines Lesers: „Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg waren wir Gegner. Im Ersten habt ihr den Österreichern gehorcht, im Zweiten wolltet ihr irgendwelche Fehler korrigieren. Und im Kosovo wart ihr wieder zur Stelle.“
Nun gehört die Leserschaft von „Danas“ keineswegs zur serbischen Unterklasse – sondern zu dem Spektrum, das man gemeinhin als „Zivilgesellschaft“ bezeichnet. Was regt das gebildete Bürgertum Serbiens so auf an einem Buch über die Geschichte ihres Staates?
Die meisten Serben wissen, dass die aggressive, nationalistische Politik des Milošević-Regimes das alte Jugoslawien zerstört hat; dass diese, sich serbisch nennende Politik zu den Kriegen in Slowenien, Kroatien, Bosnien und Kosovo geführt hat, zu circa 300.000 Toten, und letztendlich zur Niederlage Serbiens.
Aber dass diese Kriege von Serbien aus angezettelt und gelenkt wurden, dass von dort aus Verbrechen wie der Massenmord an 8000 bosnischen Muslimen in Srebrenica 1995 befehligt wurden – das ist bis heute nicht in der Mitte der serbischen Gesellschaft angekommen. Im Gegenteil: Die meisten Serben halten ihren Staat nicht etwa für den Täter, sondern für ein Opfer des Zerfalls Jugoslawiens.
Die serbische Bevölkerung hat – angeleitet von Historikern, die sammeln und verbreiten, was die jeweils Mächtigen wollen – über Jahrzehnte beigebracht bekommen, Geschichte immer einzig aus der Perspektive des eigenen – guten – nationalen Kollektivs zu sehen. Für die meisten Serben besteht die Welt heute, neun Jahre nach dem Sturz Miloševićs, nach wie vor aus „uns“ – und der „uns“ umgebenden Welt von Feinden.
Holm Sundhaussen weiß das. Der 1942 geborene Berliner Südosteuropa-Historiker diagnostiziert dem heutigen Serbien eine „Blockade der Wahrnehmung“, die er aus eigenem, deutschem Erleben kennt. Nach Jahrzehnten der Krisen und Kriege sind die Serben heute Gefangen ihrer Geschichtsmythen – ganz ähnlich, wie die Deutschen in den Jahren nach 1945.
Aber: In Serbien gab es weder eine Entnazifizierung noch eine Umerziehung; und schon gar kein Wirtschaftswunder. In Serbien sitzen bis heute viele Leute in hohen und höchsten Positionen, die direkt mit dem alten Regime verbunden waren.
Die Debatte um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ dürfte eine der letzten Nachwehen des Zweiten Weltkrieges sein – über 62 Jahre nach dessen Ende. Die Diskussionen um das deutsch-französische oder das deutsch-polnische Geschichtsbuch zeigen, dass die Kriege eines Napoléon Bonaparte oder die polnischen Teilungen auch uns Europäer noch nach Jahrhunderten beschäftigen.
Holm Sundhaussen hat Recht, wenn er zu bedenken gibt: „In Deutschland hat es ein Vierteljahrhundert gedauert, bis die Mehrheit der Gesellschaft begriffen hat, was zur Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist.“ Serbien wird mehr Diskussionen wie die um das Buch des Berliner Historikers brauchen, um wieder Anschluss an die Gegenwart zu finden.
Rüdiger Rossig ist leitender Redakteur der Berlin erscheinenden englischsprachigen Monatszeitungen „The Atlantic Times“, „The German Times“, „The Asia Pacific Times“ und „The Africa Times“. Sein Buch „Ex-Jugos“ über (ex-)jugoslawische Migranten in Deutschland ist kürzlich beim Berliner Archiv der Jugendkulturen erschienen.
Holm Sundhaussen: Geschichte Serbiens. 19. bis 21. Jahrhundert
Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2007, 59 Euro
Die zahlreichen Reaktionen zeigen: Große Teile der Öffentlichkeit und auch die meisten Historiker in dem ex-jugoslawischen Staat meinen: Ein Fremder kann Serbien nicht verstehen. Und ein Deutscher schon gar nicht.
Symptomatisch ist diese Zuschrift eines Lesers: „Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg waren wir Gegner. Im Ersten habt ihr den Österreichern gehorcht, im Zweiten wolltet ihr irgendwelche Fehler korrigieren. Und im Kosovo wart ihr wieder zur Stelle.“
Nun gehört die Leserschaft von „Danas“ keineswegs zur serbischen Unterklasse – sondern zu dem Spektrum, das man gemeinhin als „Zivilgesellschaft“ bezeichnet. Was regt das gebildete Bürgertum Serbiens so auf an einem Buch über die Geschichte ihres Staates?
Die meisten Serben wissen, dass die aggressive, nationalistische Politik des Milošević-Regimes das alte Jugoslawien zerstört hat; dass diese, sich serbisch nennende Politik zu den Kriegen in Slowenien, Kroatien, Bosnien und Kosovo geführt hat, zu circa 300.000 Toten, und letztendlich zur Niederlage Serbiens.
Aber dass diese Kriege von Serbien aus angezettelt und gelenkt wurden, dass von dort aus Verbrechen wie der Massenmord an 8000 bosnischen Muslimen in Srebrenica 1995 befehligt wurden – das ist bis heute nicht in der Mitte der serbischen Gesellschaft angekommen. Im Gegenteil: Die meisten Serben halten ihren Staat nicht etwa für den Täter, sondern für ein Opfer des Zerfalls Jugoslawiens.
Die serbische Bevölkerung hat – angeleitet von Historikern, die sammeln und verbreiten, was die jeweils Mächtigen wollen – über Jahrzehnte beigebracht bekommen, Geschichte immer einzig aus der Perspektive des eigenen – guten – nationalen Kollektivs zu sehen. Für die meisten Serben besteht die Welt heute, neun Jahre nach dem Sturz Miloševićs, nach wie vor aus „uns“ – und der „uns“ umgebenden Welt von Feinden.
Holm Sundhaussen weiß das. Der 1942 geborene Berliner Südosteuropa-Historiker diagnostiziert dem heutigen Serbien eine „Blockade der Wahrnehmung“, die er aus eigenem, deutschem Erleben kennt. Nach Jahrzehnten der Krisen und Kriege sind die Serben heute Gefangen ihrer Geschichtsmythen – ganz ähnlich, wie die Deutschen in den Jahren nach 1945.
Aber: In Serbien gab es weder eine Entnazifizierung noch eine Umerziehung; und schon gar kein Wirtschaftswunder. In Serbien sitzen bis heute viele Leute in hohen und höchsten Positionen, die direkt mit dem alten Regime verbunden waren.
Die Debatte um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ dürfte eine der letzten Nachwehen des Zweiten Weltkrieges sein – über 62 Jahre nach dessen Ende. Die Diskussionen um das deutsch-französische oder das deutsch-polnische Geschichtsbuch zeigen, dass die Kriege eines Napoléon Bonaparte oder die polnischen Teilungen auch uns Europäer noch nach Jahrhunderten beschäftigen.
Holm Sundhaussen hat Recht, wenn er zu bedenken gibt: „In Deutschland hat es ein Vierteljahrhundert gedauert, bis die Mehrheit der Gesellschaft begriffen hat, was zur Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist.“ Serbien wird mehr Diskussionen wie die um das Buch des Berliner Historikers brauchen, um wieder Anschluss an die Gegenwart zu finden.
Rüdiger Rossig ist leitender Redakteur der Berlin erscheinenden englischsprachigen Monatszeitungen „The Atlantic Times“, „The German Times“, „The Asia Pacific Times“ und „The Africa Times“. Sein Buch „Ex-Jugos“ über (ex-)jugoslawische Migranten in Deutschland ist kürzlich beim Berliner Archiv der Jugendkulturen erschienen.
Holm Sundhaussen: Geschichte Serbiens. 19. bis 21. Jahrhundert
Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2007, 59 Euro

Rüdiger Rossig© Nihad Nino Pušija