Umbau der Harvard Art Museen

Renzo Piano macht eins aus drei

Der italienische Architekt Renzo Piano im September 2014.
Der italienische Architekt Renzo Piano. © ERIC FEFERBERG / AFP
Von Jürgen Kalwa · 15.11.2014
Die drei Harvard Art Museums – das Fogg, das Busch-Reisinger und das Arthur M. Sackler – sind nun miteinander verbunden. Zusammengefügt hat die drei benachbarten Gebäude der italienische Stararchitekt Renzo Piano.
Eigentlich soll der große Fahrstuhl direkt nach oben in den vierten Stock gehen. Doch an diesem Tag - kurz vor der Wiedereröffnung - funktioniert noch nicht alles wie geplant. Der Direktor entschuldigt sich bei den mitfahrenden Gästen.
"So we're going to the top?"
Thomas Lentz: "We're going down to the basement for a second and we're going to the top. My apologies."
Irgendwann, nach ungewollten Zwischenstopps auf fast allen Stockwerken, kommt der Lift dann doch ganz oben an. Direkt unter dem neuen gläsernen Dach. Der Blick geht über die Dächer von Cambridge und den weitläufigen Campus der Harvard Universität. Wer in den Innenhof hinabschaut, entdeckt lichtdurchflutete Rundgänge.
250.000 Werke in den drei Harvard Art Museums
Hier oben wird man Kunst studieren. Ein Stock tiefer wird man sie konservieren und restaurieren. Und noch weiter unten werden die Besucher durch die Ausstellungsräume flanieren und etwas entdecken, was beinahe vergessen war, weil der Gebäudekomplex jahrelang wegen Umbau geschlossen war: Die drei Harvard Art Museums – das Fogg, das Busch-Reisinger und das Arthur M. Sackler – nun miteinander verbunden und ineinander integriert, gehören zu den besten in den USA. Sie beherbergen 250.000 Werke, darunter hochrangige Exponate aus Europa, Amerika und Asien.
Das alles in einem sinnvollen Kontext zu präsentieren, war der Job des Architekten, der drei benachbarte Gebäude zusammenfügte und dabei einen Teil des alten Baubestands abreißen ließ:
"Das wiedereröffnete Gebäude wird Teil des Alltags hier werden. Ein Treffpunkt. Und ein Beispiel dafür, wie Bauten einen Wiederkennungswert schaffen, geliebt werden und im Laufe der Zeit quasi adoptiert werden."
Der Architekt heißt Renzo Piano. Er ist Italiener mit Wohnsitz Paris und mit Büros in mehreren Metropolen. Und so etwas wie der Mann für schwierige Fälle, den Museen von Rang gerne anheuern, wenn sie anbauen oder umbauen. Nicht nur, aber zuletzt oft auch in den USA. Er fügte dem Isabella Stewart Gardner in Boston einen strengen Quader als Konzertsaal hinzu. Er modelte in Los Angeles im Rahmen einer Expansion das weitläufige County Museum - kurz LACMA - um. Und im nächsten Jahr wird unweit der High Line in Manhattan seine Erweiterung des Whitney eröffnet. Piano ist ein Anhänger von Funktionalität. Er entzerrt gekonnt die oft unübersichtlichen Navigationsgeflechte alter Häuser und versimpelt sie auf eine visuell attraktive Weise.
"Renzo hat eine bestimmte Sensibilität"
Seine Erfolge und seine Allgegenwärtigkeit haben allerdings hier und da für eine gewisse Piano-Müdigkeit gesorgt. Thomas Lentz, der Direktor der Harvard Art Museums:
"Er hat so viele Museen weltweit entworfen, dass eine kritische Stimmung entstanden ist. Warum Renzo Piano? Ich kann das zum Teil verstehen. Aber dieses Projekt war sehr komplex mit der Renovierung eines Altbaus und der Einbindung in einen Neubau. Und Renzo hat eine bestimmte Sensibilität, die hier sehr gut hingepasst hat."
Ein Sachzwang erster Ordnung ist in den USA das Auftreiben von Geld. Offizielle Zahlen gibt es keine. Aber Schätzungen. Danach hat das Projekt 400 Millionen Dollar gekostet. Aufgebracht von privaten Gönnern, die man leichter bezirzt, wenn man einen prominenten Architekten an Bord hat.
Ohnehin kämpft jemand wie Thomas Lentz an vielen Fronten:
"Das Wort 'Universitätsmuseum' war bis vor kurzem eine Verunglimpfung. Verbunden mit der Unterstellung, dass die Sammlungen nicht gut sind, um in einem richtigen Museum aufbewahrt zu werden. Das ist hier nicht der Fall. Und auch nicht in Princeton oder Yale."
Zeigen, was man hat - und was man kann
Während des sechs Jahre währenden Umbaus standen solche Gedanken nicht im Vordergrund. Nun kann man wieder zeigen, was man hat. Und was man kann. Weshalb zur Wiedereröffnung am Sonntag, dem 16. November, jene fünf roten wandhohen Gemälde von Mark Rothko ausgestellt werden, die an einem anderen Ausstellungsort in Harvard im Laufe der Jahre durch UV-Strahlen unrestaurierbar beschädigt wurden. Zu sehen sind sie, weil der Physiker Jens Stenger, inzwischen in Yale, eine erstaunliche, völlig neue Lösung fand:
"Wenn der Mensch Farbe sieht, dann ist es immer eine Wechselwirkung zwischen der Oberfläche und einer Lichtquelle und dem Menschen, der diese Farbe sieht. Man kann die Oberfläche der Gemälde nicht verändern. Aber man kann die Lichtquelle verändern. Da sich aber verschiedene Teile der Gemälde verschieden verändert haben, muss man für jede Stelle auf dem Gemälde eine andere Farbe einstrahlen, damit das, was vom Gemälde reflektiert wird, zusammen das Bild ergibt, was man 1964 gesehen hat."
Dafür notwendig: ein innovatives Computerprogramm und Räume, in die kein natürliches Licht einfällt. Wozu es in Harvard nun den Platz gibt. Und zwar nicht nur im Keller.
Wofür es vorerst keine Lösung gibt, ist die frisch angestachelte Debatte von Ästheten, die bemängeln, welche Optik Renzo Piano gleich neben das Carpenter Center for the Visual Arts gesetzt hat. Der Bau, von Le Corbusier entworfen, hatte bislang kaum Freunde und wird von Ortsansässigen gerne abgetan. Der sähe aus wie zwei kopulierende Elefanten, sagt man in Cambridge. Geschmäcker ändern sich. So wie die Moden. Was Renzo Piano bedauert – mit der Gelassenheit eines 77-jährigen Mannes, der schon viele Stile hat kommen und gehen sehen.
"In unserer Zivilisation wirst du zum Star, wenn du im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehst. Das ist traurig. Denn dieses Syndrom hat uns nichts gebracht. Plötzlich ist Architektur so etwas wie Mode und kurzlebig. Architektur ist das komplette Gegenteil. Es geht um Langlebigkeit."
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