Ultra-red

Wie klingt Anti-Rassismus?

Das Ohr eines Mannes
Die Welt verändern mit den Ohren? Das geht! meinen Ultra-red. © picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Von Raphael Smarzoch |
Die Welt verändern, mit Musik und Klang - das will "Ultra-red". Denn im Hören liegt das Potenzial zur Veränderung, sind die Künstler überzeugt. Und sie sind damit Wegbereiter für eine ganze Bewegung.
"Wie klingen Armut, Rassismus und Unterdrückung? Diese Fragen zwingen Leute zum Nachdenken. Sie müssen viel kritischer darüber nachdenken, wie so etwas klingen könnte."
Elizabeth Blaney erläutert die zentrale Vorgehensweise von Ultra-red. Seit 1994 gibt das Kollektiv, dessen Mitglieder in Amerika und Europa beheimatet sind, Minderheiten eine Stimme. Auf ihren ersten Alben ließen die Audio-Aktivisten Einwohner von Sozialbausiedlungen im Kampf gegen Gentrifizierung zu Wort kommen oder besuchten mit ihren Aufnahmegeräten den Griffith Park in Los Angeles, wo sich schwule Männer treffen, um Sex zu haben, was die Stadt damals zu unterbinden versuchte. Die Feldaufnahmen aus Umgebungsgeräuschen und Interviews setzten sie am Computer zu elektro-akustischen Soundscapes zusammen. Ultra-red komponieren eine radikale Ambient-Musik, die sich nicht als betörendes akustisches Parfüm versteht, sondern Fragen nach einer Politik des Hörens stellt, erläutert Grüdungsmitglied Dont Rhine.
Dont Rhine: "Wir interessieren uns für eine Politik des Hörens, die eine fundamentale und radikale Veränderung hervorrufen kann. Wie gehen wir mit der Erfahrung des Hörens um? Wie verändern wir nicht bloß unsere Wahrnehmung, sondern die Welt, die wir wahrnehmen?"
In Ultra-reds Philosophie ist das Hören kein solitärer Prozess, sondern ein Austausch – ein soziales Happening und gemeinschaftliches Erlebnis. Essentiell für ihre Arbeitsweise ist die Organisation von Listening Sessions, in denen die gesammelten Klänge zu einer bestimmten Fragestellung in einer Gruppe diskutiert und analysiert werden. Die in den fertigen Soundscapes zum Einsatz kommenden akustischen Materialien haben einen diskursiven Wert – ihr Arrangement ist ein Produkt kollektiver Reflexion, aus der auch ein Appell zum Handeln hervorgeht, die Organisation politischen Widerstandes.
Ethik des Hörens
Dont Rhine: "Wonach klingt das für Dich? Was hörst du? Ich muss mit der Sprache, die mir zur Verfügung steht, beschreiben was ich zu hören glaube. Und sobald wir in diesem Artikulationsraum sind, sind wir in der Politik, in der Diskussion gesellschaftlicher Verhältnisse, angekommen."
Ultra-red arbeiten an einer Ethik des Hörens. Im Hören selbst liegt das Potenzial für Veränderung. Wer zuhört, öffnet sich den Bedürfnissen und Sehnsüchten des Anderen. Zuhören bedeutet, in einen aktiven Dialog mit dem Anderen zu treten, seine Wünsche und Anliegen aufzunehmen und zu reflektieren. Darin manifestiert sich auch ein pädagogischer Prozess. Die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, sie zu verarbeiten und aus ihnen zu lernen. Wichtig ist den Audio-Aktivisten, Widersprüche einzubeziehen, aus ihrer Reibung neue künstlerische und politische Perspektiven abzuleiten.
Dont Rhine: "Deine Erfahrung gleicht einer anderen, sie unterscheidet sich aber auch von ihr. Diese Unterschiede sollten wir nicht aus den Augen verlieren. Sie helfen uns die größeren Widersprüche zu verstehen, die unser Leben bestimmen."
Mit ihrem Audio-Aktivismus stehen Ultra-red heutzutage nicht mehr alleine da. Der Produzent Mathew Herbert, der sich sogar im Pop-Mainstream Gehör verschaffte, arbeitet auch mit politisch aufgeladenen Sounds. Auf dem Album Plat du Jour hinterfragt er die westliche Essenskultur mit Samples aus Hühnerlegebatterien und Fast-Food-Filialen.
Ultra-red stehen dieser Arbeitsweise skeptisch gegenüber. Sie halten sie für eine konzeptuelle Spielerei, die eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Klang und seiner Umgebung missen lässt. Sich auf ihre Musik einzulassen, bedeutet Hörräume zu betreten, die Aufschlüsse über die sozialen, ideologischen und wirtschaftlichen Überlebenskämpfe benachteiligter Menschen geben.