"Ultimative Annäherung an Europa"
Moderation: Marcus Pindur · 23.07.2008
Die Schriftstellerin Juli Zeh, die das ehemalige Jugoslawien bereist hat, wertet die Festnahme des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic als Hinwendung Serbiens nach Europa. Das Land sei aber nach wie vor sehr gespalten. Es gebe bis heute eine große Unterstützung für nationalistische Ideen und Kreise, in denen Karadzic unverändert als Volksheld gefeiert werde.
Marcus Pindur: Die Schriftstellerin Juli Zeh hat das ehemalige Jugoslawien bereist, erstmals 1999, und diese Reise hat sie in einem vielgelesenen Reisebericht festgehalten. Gleichzeitig ist Juli Zeh Juristin und Völkerrechtlerin und ich begrüße sie jetzt am Telefon. Frau Zeh, was bedeutet Ihrer Ansicht nach die Festnahme von Radovan Karadzic für Serbien?
Juli Zeh: Das bedeutet jetzt als Allererstes mal, dass man sehen kann, was für ein großer Wandel in Serbien stattfindet. Denn diese Festnahme, behaupte ich mal, wurde von Serbien nicht initiiert, weil sie selbst jetzt so sehr daran interessiert wären, Karadzic einer strafrechtlichen Gerechtigkeit zuzuführen, sondern weil die Auslieferung dieses Verdächtigen von der EU verlangt wird als direkte Bedingung für die Weiterführung der Beitrittsverhandlungen. Und wenn man sich jetzt also auf diese Bedingungen einlässt und das bedient, dann zeigt das meiner Meinung nach ganz deutlich, dass die stärkste politische Kraft in Serbien jetzt tatsächlich diesen Beitritt und damit also die ultimative Annäherung an Europa ernsthaft anstrebt.
Pindur: Das ist also in dieser Hinsicht ein Schritt nach vorne. Aber die Regierung Kostunica, die ja erst vor kurzem abgelöst wurde, die soll ihn jahrelang gedeckt haben. Was sagt uns denn das über die politische Kultur in Serbien?
Zeh: Das Land ist stark gespalten. Es gibt eben tatsächlich eine breite Rückendeckung nach wie vor auch für die nationalistische Idee, vor deren Hintergrund Figuren wie Karadzic aus unserer Sicht absurderweise als Volkshelden gefeiert werden. Das ist aber durchaus ernst zu nehmen. Das sind nicht nur politische Kräfte, die sich eben dieser Symbolfiguren bedienen, sondern da steht auch eben ein großer Teil der Bevölkerung dahinter. Und ich glaube, wir beobachten einfach im Moment, oder das könnte jedenfalls unsere Hoffnung sein, dass sich jetzt eben das Kräftegleichgewicht insoweit verschiebt, dass diese nationalistische Idee und ihre Unterstützer in den Hintergrund treten und dann eben die Personen und die Mehrheiten, die für Europa und, aus unserer Sicht, auch damit für eine Zukunft dieser Region sind, jetzt eben das Ruder in die Hand bekommen und die entsprechenden Entscheidungen fällen.
Pindur: Ganz im Hintergrund sind diese Kräfte aber noch nicht, wenn man sich anschaut, wie gespalten das Land eben in Bezug auf seine Vergangenheit ist. Kann es überhaupt in absehbarer Zeit, ich sage mal in den nächsten fünf Jahren, Mitglied der EU werden, wenn es keine mehrheitliche Bereitschaft gibt, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen?
Zeh: Wenn man ganz ehrlich ist, dann verlangt die Europäische Union gar nicht, dass sich Serbien seiner Vergangenheit stellt. Also, was dort gefordert wird, nämlich die Auslieferung von bestimmten Verdächtigen an das Tribunal, das sind auch symbolische Gesten. Also, es wird nicht von Serbien verlangt, dass es tatsächlich eine Form von Vergangenheitsbewältigung vornimmt, wie das zum Beispiel in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Also, da muss man so ehrlich sein, festzustellen, das sind Symbole.
Pindur: Das wird aber bestimmt eine politische Rolle spielen bei der Bewertung, ob Serbien beitrittsfähig ist, Frau Zeh.
Zeh: Ja, auf jeden Fall, das will ich nicht bestreiten. Aber es bleibt, meiner Meinung nach, doch eher ein oberflächlicher Akt. Also, die Serben liefern jetzt den Karadzic dann hoffentlich demnächst aus und es ist vorhersehbar, dass auch Mladic befasst werden wird, ich glaube da relativ fest dran, dass das in absehbarer Zeit passiert. Und dann wird die EU sagen: Jetzt habt ihr zwei der geforderten Kriterien erfüllt und jetzt geht es einen Schritt weiter. Die Frage, wie viele Leute, auf den Straßen sozusagen, noch immer glauben, dass diese aus unserer Sicht Verbrecher eben Volkshelden sind, die wird dabei ja gar nicht gehandelt, sondern es geht dabei wirklich um etwas Politisches, international Politisches. Und die Frage, wann Serbien tatsächlich beitritt, sehe ich dann doch mehr verknüpft, also nicht so sehr mit der Frage inwieweit die Kriterien erfüllen, da scheinen sie auf dem besten Wege zu sein, sondern das wird sehr wahrscheinlich auch von der inneren Verfasstheit der Europäischen Union abhängen. Denn im Moment sieht es ja aus, als käme die EU mit ihren eigenen Problemen schlecht zurecht. Und ich glaube, was wir gerade gar nicht brauchen können, oder was in Brüssel gar nicht gewollt ist, ist jetzt übermorgen der nächste Kandidat. Also, vielleicht wird sich zeigen, dass es dann ganz andere Gründe sind, aus denen das noch eine Weile dauert.
Pindur: Kommen wir mal zu den Opfern von Karadzic und Mladic. Was bedeutet Srebrenica heute noch für die bosnischen Muslime?
Zeh: Viel, da es ja wirklich erst ganz kurz zurückliegt. Also man darf nicht vergessen, dass da in unserer Mediengesellschaft die Zeit schnell vergeht und Themen aus unserer Sicht sehr schnell in den Hintergrund rücken. Das ist für die Betroffenen völlig anders. Diese Erinnerungen und das Erlittene ist frisch. Das sind keine berichteten Erinnerungen, das ist kein historisches Ereignis, sondern das ist unmittelbarer Teil der Biografien der Menschen, die dort leben. Und dort wird diese Verhaftung, meiner Einschätzung nach, wirklich mit einer ganz tiefgehenden Befriedigung aufgenommen. Und zwar nicht als Rache oder als etwas Hämisches, sondern wirklich, weil es wichtig ist für Menschen, zu sehen, dass die Verbrecher eben nicht geschützt werden, weil sie hochrangige Politiker sind, sondern dass man versucht, auf jeder Ebene Verantwortliche zu finden. Das ist glaube ich wirklich sehr befreiend für viele Menschen dort.
Pindur: Also, Ihrer Ansicht nach ist das Internationale Jugoslawientribunal dann auch ein angemessenes Mittel, eben ein Stück Gerechtigkeit und auch Sühne zu schaffen.
Zeh: Es gäbe vielleicht eine Vorstellung, die mir persönlich noch sympathischer wäre oder gewesen wäre. Nämlich die, dass man diese Form der Gerichtsbarkeit eben nicht außerhalb des Landes macht und mit Kräften, an denen eigentlich die betroffenen Länder gar nicht beteiligt sind, sondern versucht, es mehr vor Ort durchzuführen und dadurch das Gefühl zu vermeiden, es sei eben reine Siegerjustiz und würde quasi von außen aufoktroyiert, weil, also man darf nicht vergessen, dass die serbischen Menschen und Kräfte, die eben eher dem nationalistischen Bereich angehören, die akzeptieren dieses Tribunal nicht. Und die werden auch die Urteile nicht akzeptieren. Also, man hat dort nicht das Gefühl, das seien deren Entscheidungen, sondern man kann das so abschieben und sagen: Na, das sind ja immer die Amerikaner, die haben uns kaputt gebombt und jetzt verurteilen sie noch unsere politischen Führer. Das wird dann nicht integriert, ja. Das wird so weggeschoben.
Pindur: Also, realistischerweise gibt es aber keine andere Option dann als das Jugoslawientribunal.
Zeh: Würde ich in dem Fall tatsächlich so sehen. Ich wüsste nicht, wie man das sonst hätte machen sollen. Und gemessen an dem Möglichen bin ich nach wie vor Fan dieser Idee und bin froh, dass man es gemacht hat, weil, es ist sowohl, eben wie gesagt, für die Betroffenen, aber auch als Symbol quasi in die Welt hinaus wichtig, dass man zeigt, wir werden früher oder später die Verantwortlichen finden und sie eben, wenn es geht oder wenn es angemessen ist, bestrafen.
Pindur: Vielen Dank für das Gespräch!
Zeh: Gerne!
Juli Zeh: Das bedeutet jetzt als Allererstes mal, dass man sehen kann, was für ein großer Wandel in Serbien stattfindet. Denn diese Festnahme, behaupte ich mal, wurde von Serbien nicht initiiert, weil sie selbst jetzt so sehr daran interessiert wären, Karadzic einer strafrechtlichen Gerechtigkeit zuzuführen, sondern weil die Auslieferung dieses Verdächtigen von der EU verlangt wird als direkte Bedingung für die Weiterführung der Beitrittsverhandlungen. Und wenn man sich jetzt also auf diese Bedingungen einlässt und das bedient, dann zeigt das meiner Meinung nach ganz deutlich, dass die stärkste politische Kraft in Serbien jetzt tatsächlich diesen Beitritt und damit also die ultimative Annäherung an Europa ernsthaft anstrebt.
Pindur: Das ist also in dieser Hinsicht ein Schritt nach vorne. Aber die Regierung Kostunica, die ja erst vor kurzem abgelöst wurde, die soll ihn jahrelang gedeckt haben. Was sagt uns denn das über die politische Kultur in Serbien?
Zeh: Das Land ist stark gespalten. Es gibt eben tatsächlich eine breite Rückendeckung nach wie vor auch für die nationalistische Idee, vor deren Hintergrund Figuren wie Karadzic aus unserer Sicht absurderweise als Volkshelden gefeiert werden. Das ist aber durchaus ernst zu nehmen. Das sind nicht nur politische Kräfte, die sich eben dieser Symbolfiguren bedienen, sondern da steht auch eben ein großer Teil der Bevölkerung dahinter. Und ich glaube, wir beobachten einfach im Moment, oder das könnte jedenfalls unsere Hoffnung sein, dass sich jetzt eben das Kräftegleichgewicht insoweit verschiebt, dass diese nationalistische Idee und ihre Unterstützer in den Hintergrund treten und dann eben die Personen und die Mehrheiten, die für Europa und, aus unserer Sicht, auch damit für eine Zukunft dieser Region sind, jetzt eben das Ruder in die Hand bekommen und die entsprechenden Entscheidungen fällen.
Pindur: Ganz im Hintergrund sind diese Kräfte aber noch nicht, wenn man sich anschaut, wie gespalten das Land eben in Bezug auf seine Vergangenheit ist. Kann es überhaupt in absehbarer Zeit, ich sage mal in den nächsten fünf Jahren, Mitglied der EU werden, wenn es keine mehrheitliche Bereitschaft gibt, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen?
Zeh: Wenn man ganz ehrlich ist, dann verlangt die Europäische Union gar nicht, dass sich Serbien seiner Vergangenheit stellt. Also, was dort gefordert wird, nämlich die Auslieferung von bestimmten Verdächtigen an das Tribunal, das sind auch symbolische Gesten. Also, es wird nicht von Serbien verlangt, dass es tatsächlich eine Form von Vergangenheitsbewältigung vornimmt, wie das zum Beispiel in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Also, da muss man so ehrlich sein, festzustellen, das sind Symbole.
Pindur: Das wird aber bestimmt eine politische Rolle spielen bei der Bewertung, ob Serbien beitrittsfähig ist, Frau Zeh.
Zeh: Ja, auf jeden Fall, das will ich nicht bestreiten. Aber es bleibt, meiner Meinung nach, doch eher ein oberflächlicher Akt. Also, die Serben liefern jetzt den Karadzic dann hoffentlich demnächst aus und es ist vorhersehbar, dass auch Mladic befasst werden wird, ich glaube da relativ fest dran, dass das in absehbarer Zeit passiert. Und dann wird die EU sagen: Jetzt habt ihr zwei der geforderten Kriterien erfüllt und jetzt geht es einen Schritt weiter. Die Frage, wie viele Leute, auf den Straßen sozusagen, noch immer glauben, dass diese aus unserer Sicht Verbrecher eben Volkshelden sind, die wird dabei ja gar nicht gehandelt, sondern es geht dabei wirklich um etwas Politisches, international Politisches. Und die Frage, wann Serbien tatsächlich beitritt, sehe ich dann doch mehr verknüpft, also nicht so sehr mit der Frage inwieweit die Kriterien erfüllen, da scheinen sie auf dem besten Wege zu sein, sondern das wird sehr wahrscheinlich auch von der inneren Verfasstheit der Europäischen Union abhängen. Denn im Moment sieht es ja aus, als käme die EU mit ihren eigenen Problemen schlecht zurecht. Und ich glaube, was wir gerade gar nicht brauchen können, oder was in Brüssel gar nicht gewollt ist, ist jetzt übermorgen der nächste Kandidat. Also, vielleicht wird sich zeigen, dass es dann ganz andere Gründe sind, aus denen das noch eine Weile dauert.
Pindur: Kommen wir mal zu den Opfern von Karadzic und Mladic. Was bedeutet Srebrenica heute noch für die bosnischen Muslime?
Zeh: Viel, da es ja wirklich erst ganz kurz zurückliegt. Also man darf nicht vergessen, dass da in unserer Mediengesellschaft die Zeit schnell vergeht und Themen aus unserer Sicht sehr schnell in den Hintergrund rücken. Das ist für die Betroffenen völlig anders. Diese Erinnerungen und das Erlittene ist frisch. Das sind keine berichteten Erinnerungen, das ist kein historisches Ereignis, sondern das ist unmittelbarer Teil der Biografien der Menschen, die dort leben. Und dort wird diese Verhaftung, meiner Einschätzung nach, wirklich mit einer ganz tiefgehenden Befriedigung aufgenommen. Und zwar nicht als Rache oder als etwas Hämisches, sondern wirklich, weil es wichtig ist für Menschen, zu sehen, dass die Verbrecher eben nicht geschützt werden, weil sie hochrangige Politiker sind, sondern dass man versucht, auf jeder Ebene Verantwortliche zu finden. Das ist glaube ich wirklich sehr befreiend für viele Menschen dort.
Pindur: Also, Ihrer Ansicht nach ist das Internationale Jugoslawientribunal dann auch ein angemessenes Mittel, eben ein Stück Gerechtigkeit und auch Sühne zu schaffen.
Zeh: Es gäbe vielleicht eine Vorstellung, die mir persönlich noch sympathischer wäre oder gewesen wäre. Nämlich die, dass man diese Form der Gerichtsbarkeit eben nicht außerhalb des Landes macht und mit Kräften, an denen eigentlich die betroffenen Länder gar nicht beteiligt sind, sondern versucht, es mehr vor Ort durchzuführen und dadurch das Gefühl zu vermeiden, es sei eben reine Siegerjustiz und würde quasi von außen aufoktroyiert, weil, also man darf nicht vergessen, dass die serbischen Menschen und Kräfte, die eben eher dem nationalistischen Bereich angehören, die akzeptieren dieses Tribunal nicht. Und die werden auch die Urteile nicht akzeptieren. Also, man hat dort nicht das Gefühl, das seien deren Entscheidungen, sondern man kann das so abschieben und sagen: Na, das sind ja immer die Amerikaner, die haben uns kaputt gebombt und jetzt verurteilen sie noch unsere politischen Führer. Das wird dann nicht integriert, ja. Das wird so weggeschoben.
Pindur: Also, realistischerweise gibt es aber keine andere Option dann als das Jugoslawientribunal.
Zeh: Würde ich in dem Fall tatsächlich so sehen. Ich wüsste nicht, wie man das sonst hätte machen sollen. Und gemessen an dem Möglichen bin ich nach wie vor Fan dieser Idee und bin froh, dass man es gemacht hat, weil, es ist sowohl, eben wie gesagt, für die Betroffenen, aber auch als Symbol quasi in die Welt hinaus wichtig, dass man zeigt, wir werden früher oder später die Verantwortlichen finden und sie eben, wenn es geht oder wenn es angemessen ist, bestrafen.
Pindur: Vielen Dank für das Gespräch!
Zeh: Gerne!