Ulrike Ottinger wird 80

„Wenn man stillsteht, dann bewegt sich auch nichts mehr“

Ulrike Ottinger posiert in ihrer Wohnung für ein Foto.
Filmemacherin und Künstlerin Ulrike Ottinger © picture-alliance / dpa / v
Ulrike Ottinger im Gespräch mit Johannes Nichelmann |
Ulrike Ottinger gönnt sich auch mit 80 keine Ruhe. Die Filmemacherin vergleicht sich mit einem Dynamo, der die Bewegung braucht. Mit ihrer vielfältigen Kunst war sie oft ihrer Zeit voraus. Echte Faszination für eine Sache treibt sie an, sagt sie.
Am Pfingstmontag wird Ulrike Ottinger 80 Jahre alt. Sie zählt zu den bedeutendsten deutschen Filmemacherinnen, ist aber auch Fotografin, Malerin, Theaterregisseurin und Performancekünstlerin. In der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden wird noch bis zum 19. Juni auf ihr großes Werk zurückgeblickt. Ein Jahr lang hat die Künstlerin selbst an dieser Ausstellung über ihr Lebenswerk mitgearbeitet.
„Wenn man älter wird“, sagt sie, „sieht man nach außen wie eine wirklich ältere Dame aus,. Doch die Innenwahrnehmung ist etwas ganz anderes, wo man sich permanent einfach auch mit dem Aktuellen beschäftigt.“

Ideale Protagonisten weichen von der Norm ab

Ottinger war ihrer Zeit meist weit voraus, so auch bei ihrem Spielfilm „Freak Orlando“, der 1981 in Hof uraufgeführt wurde. Ein Film, der queeren Menschen eine Plattform gibt und starke Frauenrollen zeigt. Doch ein Statement sollte dieser Film nicht sein, wie sie sagt, sondern: „Ich habe immer versucht, die Dinge zu thematisieren, die mich selbst beschäftigt haben.“
Menschen, die in extremen Situationen leben, seien einfach ideale Protagonisten, „weil sie nicht der Norm entsprechen, sondern per se schon irritieren“, erklärt die Filmemacherin. Und damit müsse man sich eben auseinandersetzen, da könne man sich nicht einfach gemütlich zurücklehnen, „sondern muss ein bisschen darüber nachdenken: Was passiert da eigentlich jetzt auf der Leinwand und was sagt mir das?“

Jeder Film steht für eine bestimmte Zeit

Mit der Malerei hörte sie 1969 auf, wie sie sagt: „Ich habe irgendwie gedacht, ich gucke es mir nicht mehr an – und dann etwa vor 15 Jahren habe ich angefangen, mir das doch wieder anzugucken, und war erstaunt, mit welchen Dingen ich mich damals beschäftigt habe: Weil das alles Dinge waren, die mich heute irgendwie genauso interessieren. Das fand ich einen sehr erstaunlichen Prozess.“
Bei den Filmen sei es anders, sagt Ottinger. Hier habe sie „das Gefühl, dass jeder Film für eine bestimmte Zeit steht und für das, was mich in dieser Phase bewegt und interessiert hat“.

Großer Output zulasten des Freundeskreises

Ulrike Ottingers Output in den letzten Jahrzehnten war immens: „So extrem arbeiten kann man eigentlich nur, wenn man von einer Sache wirklich fasziniert ist“, sagt sie. „Wenn man erst einmal Feuer gefangen hat für ein Thema oder für eine Sache, dann lässt das einen nicht mehr los. Ich habe das mal mit einem Dynamo verglichen: Wenn man stillsteht, dann bewegt sich auch nichts mehr.“
Doch die viele Arbeit führt dazu, dass Ottinger ihre Freunde vernachlässigen musste, was sehr schade sei, denn „ein guter Freundeskreis ist der beste Rettungsring, den man haben kann und den man auch braucht und der auch wichtig ist. Man spielt sich Gedanken und Ideen zu – und man braucht auch die Antwort.“
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