Ulrike Guérot: "Wer schweigt, stimmt zu"

„Mein Anspruch war, auf zwei Jahre Pandemiegeschehen zu schauen“

10:01 Minuten
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot betrachtet ihren Essay „Wer schweigt, stimmt zu“ als Diskussionsangebot. © imago images / teutopress
Ulrike Guérot im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 19.03.2022
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Ulrike Guérot kritisiert die Corona-Maßnahmen der Regierung vehement – und so, dass das wiederum heftige Kritik hervorruft. Dabei will die Politologin versöhnen, nicht polarisieren, wie sie sagt. Den Vorwurf der Verschwörungstheorie weist sie zurück.
„Wer schweigt, stimmt zu“ heißt das neue Buch von Ulrike Guérot. Darin kritisiert sie die Coronamaßnahmen der Bundesregierung verhement - wofür sie wiederum auf Social Media heftig kritisiert wurde. Guérot ist Professorin für Europapolitik in Bonn und Co-Direktorin des Centre Ernst Robert Curtius, eines Forums für den deutsch-französisch-europäischen Dialog.
Die Politikwissenschaftlerin betrachtet ihren Essay als Diskussionsangebot, wie sie sagt. „Mein Anspruch war, auf zwei Jahre Pandemiegeschehen zu schauen und darauf, wie das eine Gesellschaft und eine Demokratie verformt hat.“
Solche Verformungen macht Guérot auf vielen Ebenen aus, zum Beispiel im medialen Raum. Hier habe es „eine große Gleichförmigkeit in der Berichterstattung“ gegeben, kritische Journalisten hätten teilweise ihren Job verloren.

Grundfesten der Demokratie "temporär gekippt"

Vor Gericht sei es zudem eine Zeit lang auf der Ebene der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht mehr möglich gewesen, Bürgerrechte wahrzunehmen, weil durch das Infektionsschutzgesetz und evasive, also schwer zu fassende, Rechtstexte, „praktisch keine Bürgerklagen mehr durchkommen konnten“, so die Politologin.
Guérot schaut sich aber auch die gesellschaftlichen Veränderungen an: das Denunziantentum, wie sie es nennt, wenn der Nachbar beispielsweise mehr Gäste eingeladen hat, als er durfte. Der Privatbereich der Wohnung sei aber eine Grundfeste der Demokratie, die „unter dem Imperativ des Notwendigen temporär gekippt“ worden sei.

Ich hielt das für bedenklich, weil – und das ist ja die große Frage, die ich strittig stelle in meinem Essay: War das immer verhältnismäßig? Ich würde das tendenziell bestreiten. Wenn es nicht verhältnismäßig war, sollten wir darüber diskutieren, wie es kommen konnte, dass wir uns so schnell unter dem Imperativ dieser Angst und dieser Panik dazu haben hinreißen lassen, substanzielle Rechtsbestände unserer Demokratie temporär erst einmal außer Kraft zu setzen.

Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin

"Druck erzeugt Gegendruck"

Die in Deutschland gültigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie seien von Anfang an drakonisch gewesen, sagt die Politologin. Zwar habe es anfangs den Anspruch gegeben, sich von der Wissenschaft leiten zu lassen, doch mittlerweile „scheint sich die Diskussion oder auch der politische Verlauf davon entkoppelt zu haben“, sagt Guérot.
Mit Blick auf die Lockerungen in unseren europäischen Nachbarländern fragt sie: „Wie lange wollen wir in Maßnahmen und in welchen Maßnahmen sein?“
Guérot zitiert zudem eine aktuelle Studie, wonach nur zwei Prozent der Ungeimpften sich selbst bei einer Impfpflicht impfen lassen würden. „Das heißt, wenn die Frage ist: Hat die Impfpflicht einen Sinn und kommen wir damit politisch weiter und befrieden wir damit eine Gesellschaft? Dann wäre laut dieser Studie die Antwort ein klares Nein. Wir kommen nicht weiter. Wir kriegen nicht mehr Leute geimpft, sondern das Problem wird bleiben.“
Guérot schätzt den Teil der Bevölkerung, der ihrer Ansicht nach von der Gesellschaft ausgeschlossen ist, auf 30 Prozent und sagt: „Druck erzeugt Gegendruck, je mehr wir in diese Polarisierung gehen – und nicht in die Debatte und in die Versöhnung kommen.“

Heftige Kritik in den sozialen Medien

In den sozialen Medien gab es zum Teil heftige Kritik an Guérots neuem Buch „ Wer schweigt, stimmt zu“, wie hier vom Soziologen Armin Nassehi:

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In dem betreffenden Zitat geht es darum „aufzuräumen“, um die Ernennung neuer Verfassungsrichter, die Schließung der WHO und darum, die „dunklen Gestalten von Pfizer und Co. nicht entkommen“ zu lassen. Doch kommt man mit Polemik wirklich weiter? Vor allem, wenn man versöhnen und nicht polarisieren will, wie sie selbst sagt?
„Ich weiß gar nicht, was von dem Polemik ist, was ich sage, sondern ich versuche einfach, auf Tatsachen hinzuweisen, die man durchleuchten sollte, weil ich der Auffassung bin, dass es eben viele Profiteure auch an diesem Krisengeschehen gegeben hat“, entgegnet Guérot.

„Das gehört aufgearbeitet, genau wie die Mautgebühr“

„Als Politikwissenschaftlerin fragt man sich immer, where the money goes, also wer profitiert davon? Wer profitiert von Verstetigung der Maßnahmen, von Testzentren, von, von, von. Wo geht das Geld hin?“
Guérot spricht in diesem Zusammenhang von Missmanagement bei der WHO, von einflussreichen Stiftungen und fragt, wer die Faktenchecker kontrolliert und wer das Korrektiv bezahlt. „Und da sind wir noch gar nicht bei diesen ganzen Laboren. Wer finanziert diese 'Brain of Function'-Forschung? Wer hat Interesse daran, wer sind die Profiteure?“
Wenn man versuche, das zu kritisieren, werde einem „sofort ein konspirativer Deutungszusammenhang überstülpt", sagt Guérot. "Dann ist es gleich eine Verschwörungstheorie.“ Dabei brauche man diesen Begriff gar nicht, denn:
„Es geht wie immer in Krisen um Macht und Interessen und um Profiteure. Und da mal ein bisschen deutlicher hinzuschauen – Maskenskandal und so weiter – das war eben auch ein Anliegen.“
Guérot findet, „das gehört aufgearbeitet, genau wie die Mautgebühr von Andreas Scheuer und so weiter. Und das versuche ich einfach mal in die gesellschaftliche Mitte zu bringen.“

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