Ukrainische Pilotin Sawtschenko

"Freilassung ist positives Zeichen"

Die ukrainische Kampfpilotin Sawtschenko hebt während des Prozesses in Russland gegen sie winkend die Hand.
Die ukrainische Kampfpilotin Nadija Sawtschenko war von Separatisten in der Ostukraine festgesetzt worden. In Russland wurde sie zu 22 Jahren Lagerhaft verurteilt. Nun kam sie frei - im Austausch mit zwei russischen Soldaten. © picture alliance / dpa / Evgeny Biyatov
Andrij Melnyk im Gespräch mit Sabine Adler · 26.05.2016
Bessere Beziehungen der Ukraine zu Russland: Darauf hofft der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnik. Er ist zumindest vorsichtig optimistisch, nachdem die ukrainische Kampfpilotin Sawtschenko aus russischer Haft freigekommen ist.
Als ein "positives Zeichen seitens der russischen Staatsführung" wertet Melnyk die Freilassung der ukrainischen Kampfpilotin Nadija Sawtschenko: "Wir hoffen, dass diese Dynamik weiter anhält." Denn beim Gefangenenaustausch habe es vorher kaum Fortschritte gegeben.
Bei der Verfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrechen in den Separatistengebieten der Ostukraine hofft Melnyk auf die Hilfe des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Das ukrainische Parlament sei auf einem guten Weg, dafür die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Man habe Erkenntnisse über rund 3.000 identifizierte Opfer, die in den besetzten Gebieten "gefoltert, entführt, misshandelt" worden seien: "Es gibt keine Verjährungsfrist für diese Verbrechen, egal auf welcher Seite", betonte Melnyk.

Internationaler Strafgerichtshof soll helfen

Die ukrainische Staatsanwaltschaft dokumentiere die Fälle, sei bei der Festsetzung mutmaßlicher Täter aber eingeschränkt: "Die Ukraine kann Ermittlungen einleiten und auch zu Ende führen. Aber da wir keinen Zugang bekommen und weil wir diese Menschen nicht erfassen können, dürfen sie sozusagen eine gewisse Zeit unbestraft unterwegs sein." Durch den Gerichtshof in Den Haag könne ein Zugriff auf diese Menschen erzwungen werden. Erfahrungen in anderen Ländern hätten gezeigt, dass "die Gerichtsbarkeit am Ende doch siegen kann".

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Sabine Adler: Herr Botschafter, Nadija Sawtschenko ist freigelassen worden. Mit der Freilassung hat der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland die Hoffnung verknüpft, dass jetzt der Minsker Friedensprozess vielleicht ein bisschen weiter vorankommt und dass das Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland sich ein wenig entspannt. Sehen Sie Chancen für solche Hoffnungen?
Andrij Melnyk: Vor allem möchten wir uns bei den deutschen Freunden bedanken. Natürlich war diese Freilassung auch ein positives Zeichen seitens der russischen Staatsführung. Wir hoffen, dass diese Dynamik weiter anhält, denn ausgerechnet in Punkto Gefangenenaustausch gab es kaum Fortschritte im Rahmen der Normandie-Verhandlungen.
Adler: Herr Botschafter Melnyk, Sie haben gerade das Wort Gefangenenaustausch erwähnt. Es gibt nachweislich rund 4000 Menschen in der Ostukraine, die illegal gefangen genommen wurden von Separatisten, zum Teil auch von ukrainischen Streitkräften, wobei das Gros sich auf dem besetzten Gebiet befindet. Das sind illegale Festnahmen, die häufig mit Folter verbunden sind.
Menschenrechtsorganisationen Ihres Landes und Russlands haben festgestellt, dass es annäherungsweise 4000 Menschen sind. Was kann die ukrainische Regierung tun, um erstens einen Gefangenenaustausch herbeizuführen und zweitens diese Kriegsverbrechen nachzuverfolgen und zu bestrafen?

3.000 Opfer von Folter und Entführung

Melnyk: Die Behörden versuchen auch da, obwohl wir keinen Zugang haben zu den besetzten Gebieten, all die Fehler, die bekannt werden, zu ermitteln. Es wurde in der Militärstaatsanwaltschaft eine Spezialeinheit mit 34 Ermittlern etabliert, um diesen Fehlern konkret nachzugehen.
Was wir schon jetzt feststellen können: Laut unseren Erkenntnissen wurden etwa 3000 Opfer identifiziert, die gefoltert, entführt, misshandelt wurden auf den nicht kontrollierten Gebieten im Osten. 560 von diesen Opfern wurden bereits befragt im Rahmen von Strafverfahren, die eingeleitet wurden.
Das heißt, die Staatsanwaltschaft dokumentiert diese Fälle, und da muss man eins sagen: Es gibt keine Verjährungsfrist für diese Verbrechen, egal auf welcher Seite. Auch das Amnestiegesetz, das im Rahmen der Minsker Vereinbarungen verabschiedet werden muss vom ukrainischen Parlament, auch dieses Gesetz wird es nicht erlauben, dass die Verbrecher von der Verantwortung sich entziehen können.
Adler: Es gibt die Aufforderung des ukrainischen Parlaments, der Regierung, dass internationale Gerichte, zum Beispiel der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, Kriegsverbrechen in der Ukraine ermitteln sollen beziehungsweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dafür muss die Ukraine selber noch eine Voraussetzung schaffen, nämlich das Römische Statut unterzeichnen. Wie schnell wird das geschehen?
Melnyk: Die Ukraine hat bereits jetzt notwendige Schritte eingeleitet. Am 8. September 2015 hat der Außenminister in Den Haag eine entsprechende Erklärung des ukrainischen Parlaments deponiert. Das bedeutet, dass wir einseitig ohne die Ratifizierung bereits den Weg freigelegt haben.
Was die Ratifizierung betrifft, auch da sind wir auf einem guten Wege. Deswegen hat der Präsident einen entsprechenden Entwurf in die Rada geschickt über die Verfassungsänderungen, und dieser Entwurf sieht vor, dass die Ukraine die Kompetenz, die Jurisdiktion des Gerichts auch anerkennt. Das Parlament hat in der ersten Lesung das bereits beschlossen, und zwar am 2. Februar dieses Jahres. Das bedeutet, dass in der nächsten Plenarsitzung diese Frage dann auch erörtert wird, und wir hoffen, dass sich eine Zwei-Drittel-Mehrheit finden lässt.

Kiew hat keinen Zugriff die Täter

Adler: Wenn wir von internationalen Gerichten sprechen, die sich dieser Ermittlungen der Kriegsverbrechen in der Ostukraine annehmen sollen, ist das nicht zugleich auch ein Armutszeugnis für die Gerichtssprechung der Ukraine? Braucht die Ukraine, brauchen die Ermittlungsbehörden tatsächlich die Hilfe aus Den Haag?
Melnyk: Die Ukraine kann Ermittlungen einleiten und auch zu Ende führen. Aber da wir keinen Zugang bekommen und weil wir diese Menschen nicht erfassen können, dürfen sie sozusagen eine gewisse Zeit unbestraft unterwegs sein. Was uns der Gerichtshof in Den Haag bietet, ist eben der universale Zugriff. Das heißt, egal ob diese Menschen sich jetzt in Russland aufhalten oder egal wo auf der Welt.
Das erlaubt uns, durch die Mechanismen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag den Zugriff auf diese Menschen zu erzwingen, und die Erfahrungen in anderen Ländern haben sehr wohl gezeigt, ungeachtet wie viele Jahre vergangen sind, dass die Gerichtsbarkeit am Ende doch siegen kann.
Adler: Die Ukraine hat in den vergangenen Tagen auf einer Website, die sich "Mirotvorets" nennt, Blauhelme, Friedensstifter, Namen von akkreditierten Journalisten der sogenannten Volksrepublik Donezk veröffentlicht. Das ist geschehen mit der Billigung eines Beraters, nämlich Anton Geraschenko, des Beraters des Innenministers, und damit könnte man interpretieren, dass diese Veröffentlichung dieser Akkreditierungsliste auch die Billigung der ukrainischen Regierung erhalten hat.
Heikel daran ist, dass der Zusammenhang hergestellt wurde, wer sich dort akkreditieren lässt, macht sich gemein mit den Separatisten, kämpft sogar an der Seite der Separatisten. Ist dies das, wie die ukrainische Regierung auf auch ausländische Journalisten guckt in Ihrem Land?

Behinderung von ausländischen Journalisten?

Melnyk: Da möchte ich Ihnen widersprechen in dem Sinne, dass die Regierung sehr wohl auf diesen Vorfall reagiert hat. Ich möchte nur auf die Statements der Vizeministerpräsidentin Frau Klympush-Tsintsadze und auch der Menschenrechtsbeauftragten Frau Lutskowska verweisen.
Ich möchte eins klarstellen: Die Pressefreiheit war und bleibt ein wertvolles Gut für die Ukraine. Wir haben dafür auf dem Maidan gestorben und deswegen darf es da keine Kompromisse geben. Bereits am 11. Mai hat die Staatsanwaltschaft begonnen zu ermitteln wegen der Behinderung der journalistischen Tätigkeit. Es handelt sich um eine NGO, die auf ihrer Internetseite diese Namen bekanntgemacht hat, und die Regierung darf leider da nicht direkt einschreiten.
Wir nehmen die Sorgen der Journalisten sehr ernst. Frau Vizeministerpräsidentin hat sich auch entschuldigt bei den betroffenen Journalisten. Der deutsche Botschafter hat gestern interveniert in Kiew und der Innenminister hat auch versichert, es gibt keine schwarzen Listen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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