Ukraine

"Von einem militärischen Engagement kann grundsätzlich keine Rede sein"

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Die "Stadtguerilla" habe in Kiew die Macht übernommen, behauptet Pjotr Fedosow. © picture alliance / dpa/ Andrey Stenin
Pjotr Fedosow im Gespräch mit Christopher Ricke  · 25.02.2014
Der Politologe Pjotr Fedosow hat ein militärisches Engagement Russlands in der Ukraine ausgeschlossen. Zugleich forderte er finanzielle Unterstützung seitens der EU für das Land.
Christopher Ricke: Die Ukraine ist im Umbruch, heute soll ein neuer Regierungschef gefunden werden. Eins ist aber klar, eine neue Ukraine ohne ein Okay aus Moskau wird es nicht geben. Der deutsche Außenminister Steinmeier hat schon an Russland appelliert, gemeinsam mit der Europäischen Union nach Lösungen zu suchen.
Beide Seiten müssten dafür sorgen, dass die Ukraine nicht auseinanderbricht. Gleichzeitig machen die Europäer der neuen Ukraine ein Angebot, Finanzhilfen und das blockierte Assoziierungsabkommen, darüber könnte man auch noch mal reden. Ich spreche jetzt mit Pjotr Fedosow von der Akademie der Wissenschaften in Moskau. Guten Morgen, Herr Fedosow!
Pjotr Fedosow: Guten Morgen!
Ricke: Kann es sich denn Russland, kann es sich Präsident Putin überhaupt leisten, dass sich die frühere Sowjetrepublik weiter dem russischen Einfluss entzieht?
Fedosow: Man muss die Realitäten anerkennen, und die Regierungen der Russischen Föderation scheinen sich dessen bewusst zu sein. Das Problem ist aber, dass in der Ukraine im Moment die Machtfrage noch lange nicht endgültig gelöst ist. Es ist bis jetzt unklar, wer eigentlich die Macht hat und wer der Verhandlungspartner sein soll. Die politischen Pragmatiker im Parlament oder die Anführer der Stadtguerillas auf dem Maidan. Die Letzteren scheinen die Ersteren zu kontrollieren.
Ricke: Na ja, das ist ja genau die Forderung, die an eine neue ukrainische Führung gestellt wird. Man muss die radikalen neutralisieren. Vielleicht gibt es ja unter den Radikalen ein paar Vernünftige, die man integrieren kann. Aber mit Radikalität kann es nicht weitergehen. Wie ist das zu schaffen?
Politischer Pragmatismus müsse siegen
Fedosow: Das ist eine sehr schwierige Frage, denn auf Dauer wird der politische Pragmatismus siegen müssen. Aber im Moment scheint das Parlament total abhängig zu sein von dem sogenannten "Kreis des Volksvertrauens", das ist ein konsultatives Organ der Führer der Stadtguerillas in Kiew. Und die bestimmen jetzt die Kriterien, nach denen die Regierung gebildet werden muss. Mit einer Regierung, die durch die radikalen Nationalisten gebildet wird, wird niemand verhandeln können, weder die EU noch Russland.
Ricke: Was heißt das denn für Russland, mit denen verhandelt man nicht? Heißt das, dass man die Ukraine allein lässt? Heißt das, dass sich Russland in einer anderen, vielleicht sogar in einer militärischen Art und Weise engagiert?
Fedosow: Von einem militärischen Engagement kann grundsätzlich keine Rede sein, das steht fest. Aber es ist für meine Begriffe durchaus nachvollziehbar, wenn eine Revolution vollbracht wird, muss zunächst ein konsolidiertes Machtverhältnis entstehen, und das ist eine Angelegenheit derjenigen, die die Revolution zustande gebracht haben.
Nach anderen Verhandlungspartnern zu suchen, kann weder die EU noch Russland. Wir werden beide, sowohl die EU als auch Russland, abwarten müssen, bis die Machtverhältnisse sich in der Ukraine einigermaßen geklärt haben. Ich glaube, das wird nicht lange dauern. Und dann vermute ich, dass die EU und Russland werden zusammenarbeiten müssen, um die Ukraine vor dem Zusammenbruch und vor der heute sehr realen Gefahr des Auseinanderfallens zu retten.
Ricke: Dieses Risiko der Spaltung ist ja ein großes. Die Halbinsel Krim mit ihrer überwiegend russischstämmigen Bevölkerung ist da nur ein Beispiel, andere Regionen im Lande gibt es auch. Was ist denn zu tun, um das Land zu erhalten, und was wäre so schlimm daran, wenn es sich dann doch in irgendeiner Art und Weise neu organisiert?
Die Gefahr bürgerkriegsähnlicher Zustände
Fedosow: Wenn das Land sich friedlich neu organisieren könnte, wie dies vor zwanzig Jahren mit der Tschechoslowakei passiert ist, wäre das durchaus vertretbar. Nur ist ein friedlicher Prozess der Scheidung, also des Auseinanderdriftens vom wirtschaftlichen und industriellen Südosten und industriell unterentwickelten Westen, ist ein solches friedliches Auseinanderdriften nicht vorstellbar. Im Moment wird es bürgerkriegsnahe Verhältnisse herbeiführen, und das ist das Gefährliche.
Ricke: Welchen Blick hat man in Moskau auf die Halbinsel Krim? Die spielt ja eine besondere Rolle.
Fedosow: Die Krim ist ein besonderes Territorium. Russland beansprucht nicht die Krim, aber man muss sich dessen bewusst sein, und vor allem in Kiew bewusst sein, dass die Krim eine vorwiegend russische, in starkem Maße auch tatarische Bevölkerung hat. Dass die ukrainische Bevölkerung auf der Krim eine Minderheit bildet, sodass die Gewaltanwendung gegen die Krim Bürgerkriegsverhältnisse auf dieser Halbinsel herbeiführen würde.
In diesem Fall müsste nicht Russland, in diesem Fall müsste Russland zusammen mit der EU, zusammen mit Europa eine Vermittlung anbieten und womöglich auch zum Frieden zwingen.
Konkurrenzkampf zwischen Russland und der EU
Ricke: Die Ukraine ist ja de facto pleite, braucht Hilfe, viele Milliarden werden schon genannt. Hilfe aus der EU, Hilfe aus dem Westen oder Hilfe aus Moskau – das wäre ein Überbietungswettbewerb. Da würde der Eindruck entstehen, jeweils die andere Seite wolle sich die Ukraine kaufen. Glauben Sie denn, dass es zu einer gemeinsamen Aktion aller Länder, die guten Willens sind, kommen kann?
Fedosow: Das wäre wunderschön. Das klingt so friedlich und erfreulich, gemeinsame Aktion aller Länder guten Willens. Aber Russland und die EU haben längere Zeit erbittert um die Ukraine konkurriert. Die EU hat mächtig beigeholfen bei dem Sturz von Janukowitsch und beim Zustandekommen der jetzigen halbwegs chaotischen Verhältnisse. Insofern muss die EU mindestens ihre Bereitschaft erklären und auch praktisch nachweisen, nicht ein paar hundert Millionen, sondern ein paar Dutzend Milliarden zu zahlen.
Ob die EU dazu bereit ist, weiß ich nicht. Ich habe bis jetzt noch keinerlei klare Erklärungen dazu gehört. Wenn diese Bereitschaft aufseiten der EU vorhanden ist, dann, hoffe ich, wird auch Russland darüber verhandeln können.
Ricke: Pjotr Fedosow von der Akademie der Wissenschaften in Moskau. Ganz herzlichen Dank nach Moskau!
Fedosow: Vielen Dank!
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