Ukraine sucht Präsidenten

Komiker, Diebin und Oligarch

26:48 Minuten
Eine Montage aus den drei PolitikerInnen.
Wolodymyr Selenskij, Julia Timoschenko und Petro Poroschenko haben gute Chancen auf die Stichwahl am 21. April. © Imago / Aleksandr Gusev / Sergei Chuzavkov / picture alliance / Kay Nietfeld
Christoph Brumme im Gespräch mit Andre Zantow · 26.03.2019
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Am 31. März entscheiden die Ukrainer: Wer kommt in die Stichwahl ums Präsidentenamt? Komiker Wolodymyr Selenskij, Amtsinhaber und Schokoladen-Oligarch Petro Poroschenko oder Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko mit dem ungeklärten Reichtum. Am 21. April ist die Stichwahl.
Andre Zantow: Schriftsteller Christoph Brumme lebt seit drei Jahren im Osten der Ukraine und schreibt in Berichten für Zeitungen derzeit vom "unglaublichen Wahlkampf". Er ist uns jetzt aus Kiew zugeschaltet. Was macht Sie so ungläubig?
Christoph Brumme: Einerseits die Vielzahl der Kandidaten. Das sind im Moment 39. Und dann natürlich die Sensation: Es führt ein Schauspieler, ein Komiker, der noch nie als Politiker gearbeitet hat. Man stelle sich für einen Moment vor, Charlie Chaplin wäre anstelle von Winston Churchil Premierminister in Großbritannien geworden, die Ukraine befindet sich schließlich im Krieg, dann ahnt man vielleicht die Dimension, die diese Kandidatur mit sich bringt.
Zantow: Warum ist dieser Mann, Selenskij, an der Spitze der Umfragen?
Brumme: Das liegt natürlich an der Schwäche der anderen Kandidaten, die ja zum Teil alle schon seit 20 oder 25 Jahren in der Politik sind und entsprechend verstrickt sind in die korrupten Strukturen. Und Selenskij ist ein neues Gesicht, ein Kandidat gegen alle, auch ein Protestkandidat. Man darf ihn aber nicht unterschätzen. Er ist studierter Jurist, er ist ein effektiver Manager in der Unterhaltungsbranche und er ist in der Ukraine natürlich ein Superstar. Unter anderem, weil er in der Ukraine auch in einer Fernsehserie den ehrlichen und bescheidenen Präsidenten, der mit dem Fahrrad ins Präsidentenamt fährt, schon gespielt hat. Und er führt in den Umfragen mit fast zehn Prozent Vorsprung vor den anderen.

Selenskij vergleicht Ukraine mit einer Hure

Zantow: Sie beobachten das alles aus dem Osten der Ukraine. Dort leben Sie in der Stadt Poltawa. Wenn Sie mit den Menschen dort sprechen, was sagen die Ihnen über die drei Kandidaten und wer steht jeweils hinter ihnen?
Brumme: Es gibt natürlich sehr widersprüchliche Informationen darüber. Ich gehe die einzelnen Kandidaten durch. Selenskij ruft die schärfsten Gefühle hervor. Viele Ukrainer erbleichen geradezu und werden wütend. In sozialen Medien beschimpfen sie ihn und benutzen Fäkalsprache, wenn sie hören, dass Selenskij Präsident werden könnte. Das ist für viele einfach schockierend. Garnicht ernst zu nehmen. Er ist sehr umstritten. Unter anderem, weil seine Muttersprache nicht Ukrainisch ist und man fürchtet, dass er einen Kompromis-Frieden mit Russland schließen könnte.
Und viele nehmen ihm auch übel, dass er einmal in seinen Shows im politischen Sketch die Ukraine quasi mit einer Hure verglichen hatte. Er hatte die wörtliche Formulierung gewählt: "Eine Frau für Erwachsene aus einem deutschen Film." Dort hat er die Ukraine dargestellt als eine Frau, die anschaffen geht, sich überall Geld borgt, aber keiner redlichen Arbeit nachgeht, ihr eigenes Haus nicht in Ordnung bringt, nicht effektiv wirtschaftet und sich von allen benutzen lässt. Das ist natürlich beleidigend. Und wenn man bedenkt, dass nach wie vor Krieg ist und fast 3000 ukrainische Soldaten ihr Leben lassen mussten, kann man natürlich verstehen, dass die Bereitschaft zum Humor bei der Armee vor allem sehr, sehr begrenzt ist.
Ukrainische Soldaten marschieren am 24.08.2017 entlang der Hauptstraße Chreschtschatyk in Kiew (Ukraine), während einer Militärparade zum Unabhängigkeitstag in der Ukraine.
Präsident Poroschenko modernisierte die ukrainische Armee.© dpa-Bildfunk / AP / Efrem Lukatsky
Man sagt, falls Selenskij gewinnen sollte, es sogar zu einem neuen Maidan kommen könnte. Die Frage ist: Werden die unterlegenen politischen Kräfte das Ergebnis akzeptieren? Meine Ratgeber berichten, dass die Armee relativ geschlossen gegen eine Präsidentschaft Selenskijs ist und das ist auch eine recht gefährliche Situation.
Zantow: Sie vermuten, dass es dann auch wieder zu Gewalt kommen kann?
Brumme: Das ist schwer einzuschätzen. Viele sagen, wenn Selenskij gewinnt: Das wäre das Ende der Ukraine! Er würde die Ukraine preisgeben, quasi an Moskau verkaufen. Viele sagen: Ich werde emigrieren! Viele sagen: Ich werde kämpfen, ich werde das Ergebnis nicht akzeptieren! Es ist für viele Ukrainer eine sehr schwierige Situation.

"Poroschenko ist der beste Präsident, den die Ukraine je hatte"

Zantow: Kommen wir zum nächsten Kandidaten: Poroschenko setzt sehr stark auf die Identitätskarte. Sein Wahlspruch: Armee, Sprache, Glauben. Er zielt darauf ab, den deutlichen Kampf gegen Russland zu führen, für die ukrainische Sprache und die ukrainische Orthodoxie. Trifft er damit den anderen Teil der Bevölkerung, die sich stark abgrenzen will von Russland?
Brumme: Also es gibt nicht nur zwei Teile in der ukrainischen Gesellschaft. Sie ist viel vielfältiger und viel widersprüchlicher. Poroschenko ist der Kandidat mit dem höchsten Anti-Rating. Etwa 50 Prozent der Ukrainer sagen, sie würden ihn auf keinen Fall wieder wählen. Das ist ein wichtiger Fakt. Andererseits ist Poroschenko der einzige Kandidat, wo man sagen muss, wenn er gewinnt, steigt wieder die Kriegsgefahr, weil Russland genau weiß, dass mit Poroschenko die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine erhalten bleiben wird, dass Reformen stattfinden werden.
Poroschenko ist sicherlich der beste Präsident, den die Ukraine je hatte. Er hat sich zweifellos historische Verdienste erworben. Er hat die Armee aufgebaut. Er ist ein erfolgreicher Außenpolitiker. Er hat geholfen die Eigenständigkeit der ukrainischen Kirche zu organisieren. Und, was auch erstaunlich ist in Zeiten des Krieges, es hat ein wirtschaftlicher Aufschwung in den letzten Jahren stattgefunden. Das ist offenbar einmalig in der Geschichte. Poroschenko ist sicherlich auch der Kandidat der Armee, dem man am ehesten zutraut von allen aussichtsreichen Kandidaten, dass er entschlossen ist, das Territorium der Ukraine weiter zu verteidigen. Selenskij und Timoschenko behaupten das zwar auch, aber sie haben es bisher nicht bewiesen.
Poroschenkos Achillesferse, seine Schwäche ist, dass er den Kampf gegen die Korruption nicht unterstützt hat, vielleicht sogar gebremst hat. Freunde von mir, die im Militär tätig sind, sagen: Er macht Politik wie ein Schachspieler, er geht taktisch vor. Deswegen sollte man beachten, dass er immer noch ein sogenannter guter Oligarch ist. Es heißt, dass die anderen wichtigen Oligarchen sich alle gegen ihn verschworen haben und auf keinen Fall Poroschenko haben wollen. Das heißt: Gegen Poroschenko sind sowohl Russland, die ukrainischen Oligarchen und die Hälfte der Bevölkerung.

"Timoschenko ist die erfolgreichste Diebin der Ukraine"

Zantow: Dann ist die Kompromisskandidatin Julia Timoschenko?
Brumme: Nein! Timoschenko ist nicht die Kompromisskandidatin. Ihr vertrauen wirklich Menschen, die, ich muss sagen, ein Brett vor dem Kopf haben. Die Frau ist nach wie vor die erfolgreichste Diebin der Ukraine. Keiner weiß, wo sie ihr Vermögen versteckt hat. In ihren Wahlunterlagen behauptet sie weder Wohnung noch Haus zu besitzen. Und ukrainische Journalisten haben untersucht, dass sie die Politikerin ist, die am häufigsten die Unwahrheit sagt. Man schätzt, dass etwa 50 Prozent entweder falsch oder verzerrend sind. Also sie taktiert, sie ist ein Fähnchen im Wind, ihr kann man meines Erachtens nach überhaupt nicht vertrauen.
Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin und seine damalige ukrainische Amtskollegin Julia Timoschenko besiegeln das Ende des Gasstreits 2009 mit einem Handschlag.
Der russische Ministerpräsident Putin und seine ukrainische Amtskollegin Timoschenko besiegeln 2009 das Ende des Gasstreits mit einem Handschlag.© dpa / picture alliance / epa Sergei Chirikov
Zantow: Da sind also drei schwierige und interessante Kandidaten. Was erhoffen Sie sich persönlich von einer Siegerin, einem Sieger nach der Stichwahl ums Präsidentenamt am 21. April?
Brumme: Das wichtigste ist natürlich der Kampf gegen die Korruption. Aber der wird meistens auch oberflächlich betrachtet, aus dem Gestus moralischer Empörung heraus. Solange die Gehälter und die Einkommen so gering sind, solang Rentner von einer Rente von umgerechnet 50 bis 60 Euro im Monat leben müssen, muss man sich nicht wundern, dass Menschen jede Gelegenheit wahrnehmen Geld zu verdienen, ob das über die Steuer geht oder nicht. Das ist vollkommen egal. Es reicht nicht mit dem Finger auf die sieben, acht Oligarchen zu zeigen, deren Namen man von der Forbes-Liste kennt.
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