Ukraine

"Russland ist der Onkel mit der Wurst"

Ukrainer demonstrieren gegen die Aufhebung des Assoziierungsabkommens
Ukrainer demonstrieren gegen die Aufhebung des Assoziierungsabkommens © picture-alliance/dpa/Sergey Dolzhenko
Pjotr Fedosov im Gespräch mit Julius Stucke · 23.11.2013
Nach Ansicht von Pjotr Fedosov, Politikwissenschaftler an der Russischen Akademie der Wissenschaften, ist in der Frage des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine das letzte Wort noch nicht gesprochen. Angesichts der gegenwärtigen politischen Lage in der Ukraine sei keine politische Entscheidung endgültig.
Julius Stucke: Der Westen auf der einen, und auf der anderen Seite der Ostblock! Bilder und Worte von gestern, ach, von vorvorgestern! Kalter Krieg und Block-Ideologien! - Aber schauen wir uns mal ein paar Schlagzeilen der letzten Tage an: "Putin sichert die Ukraine" oder "Putin bringt Ukraine auf Ostkurs". Das klingt dann doch schon wieder ein bisschen nach vorgestern. Was ist da passiert?
Die Regierung der Ukraine blockiert ein Gesetz, das der inhaftierten Julia timoschenko die Ausreise möglich macht, und sie legt das Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis. Die EU ärgert sich und Russlands Präsident, der freut sich darüber.
Die russische Freude und die Frage, was dahintersteckt, erklären soll uns das der Politikwissenschaftler Piotr Fedosov von der Russischen Akademie der Wissenschaften. Guten Morgen nach Moskau, Herr Fedosov!
Piotr A. Fedosov: Guten Morgen!
Stucke: Ja, welches Interesse hat Wladimir Putin, die Ukraine weg von Europa und hin zu sich zu ziehen?
Postsowjetische Integration
Fedosov: Den Zusammenbruch der Sowjetunion vor 20 Jahren hat Wladimir Putin als eine weltpolitische Katastrophe bezeichnet. Und das stimmt eigentlich überein mit der Meinung der meisten Russen. Ein zentrales außenpolitisches Ziel Wladimir Putins ist die Wiederherstellung einer Staatengemeinschaft auf dem postsowjetischen Raum. Und die Ukraine ist ein unverzichtbarer Bestandteil von diesem Plan. Insofern liegt das im Mainstream des Strategie Putins, auf der postsowjetischen Integration.
Stucke: Ist es mehr ein Interesse an der Ukraine oder ist das eher ein Interesse, etwas gegen die Ausweitung der EU zu tun?
Fedosov: Das ist natürlich ein Interesse für Russland, würde ich sagen. Es geht nicht darum, dass das gegen jemand gerichtet ist. Es wird eher davon ausgegangen, dass die Ukraine ein Bestandteil des postsowjetischen Raums ist. Darüber hinaus hat das mit dem wirtschaftlichen Interesse zu tun, denn die Ukraine ist ein wichtiger Absatzmarkt für Russland, indem aber Russland für die Ukraine ein noch wichtiger Absatzmarkt ist. Insgesamt ist meine Meinung die, dass die jetzige Entscheidung der Ukraine zwar auch mit dem russischen Bund zu tun hat, aber in erster Linie mit der Interessenkonstellation innerhalb der Ukraine.
Stucke: Das heißt, dem Vorwurf, den sich die EU und Russland gegenseitig machen - die beide sagen, ihr übt zu viel Druck auf die Ukraine aus -, dem würden Sie widersprechen, Sie würden sagen, die Ukraine hat sich frei dafür entschieden?
Fedosov: Frei würde ich nicht sagen, natürlich wurde es von beiden Seiten beworben und von beiden Seiten Druck ausgeübt. Russland hat wohl stärkere Trümpfe, wenn es um bestimmte Vorteile für die Ukraine hier und heute geht. Russland ist also der Onkel mit der Wurst, während die EU die Tante ist, die Klavier spielen kann.
Die materiellen Argumente Russlands haben stärker gewirkt. Aber die Entscheidung lag bei der Ukraine, darauf bestehe ich. Und ich kann auch gerne erklären, was ich darunter verstehe.
Stucke: Also, Viktor Janukowitsch, der Präsident der Ukraine, hat Interesse an dem Onkel mit der Wurst? Das müssen Sie uns genauer erklären!
Julia Timoschenko
Julia Timoschenko© dpa / picture alliance / Aleksandr Prokopenko
Fedosov: So ist es zum Ersten. Und zum Zweiten fürchtet er wie die Pest die Freilassung von Timoschenko. Und das war eine absolute Vorbedingung der EU. Die Freilassung von Timoschenko jetzt, 450 Tage vor den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine, würden für Janukowitsch alle Vorteile kaputtmachen - ich meine jetzt elektoral -, die er eventuell bei großen Teilen der Bevölkerung der Ukraine durch die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens bekommen hätte.
Stucke: Westblock, Ostblock und dazwischen die Ukraine, dazu der Politologe Piotr Fedosov von der Russischen Akademie der Wissenschaften. herr Fedosov, sie haben es angesprochen: Es geht darum, was im Land passiert, es geht um Wahlen. Nun ist die Regierung Janukowitsch ja nicht gleichzusetzen mit dem ganzen Land, und die Opposition, die ärgert sich. Sie will sich Richtung EU bewegen. Ist die Ukraine gespalten oder läuft sie darauf hinaus, sich immer weiter zu spalten?
Zwischen Europa und Russland
Fedosov: Eigentlich ist keine Regierung in einem normalen demokratischen oder quasi demokratischen Land mit dem ganzen Land gleichzusetzen. Die Ukraine ist gespalten. Das ist eine historische spaltung. der Westen der Ukraine ist ein integraler Teil Europas, während der Osten der Ukraine und der Süden der Ukraine stärker mit Russland historisch, kulturell, sprachlich, wirtschaftlich liiert ist.
Auch sprachlich wird im Osten der Ukraine meistens Russisch gesprochen, eigentlich ist die Mehrheit der Ukraine überall für eine engere Verbindung mit der EU, aber nicht auf Kosten der Verbindung mit Russland. Das dazwischen sein zwischen Europa und Russland ist nicht eine Taktik, sondern eine Strategie der Ukraine. Und das muss so sein, weil die Ukraine gespalten ist, so wie ich das geschildert habe.
Stucke: Aber Herr Fedosov, das klingt ja nach einem Problem, wenn einerseits der größere Teil, sagen Sie, der Ukraine und der Bevölkerung pro-europäisch ist, gleichzeitig man aber die Bindungen zu Russland nicht verlieren will. Dann hat man da doch ein Spannungsverhältnis, was man lösen muss?
Fedosov: Eigentlich ist das sehr politisiert, wenn man behauptet, für die Ukraine gibt es ein Entweder-oder. Entweder Russland oder Europa. Beides ist im Grunde genommen möglich, und ich glaube, dass die Strategie von Janukowitsch eben darin besteht, um ein russisches Sprichwort umzusetzen, das so ungefähr heißt: Ein liebes Kalb säugt bei zwei Kühen. Das ist schon seit Längerem der Fall und ich bin sicher, auch die heutige Entscheidung ist nicht endgültig. In kurzer Zeit werden die Verhandlungen mit der EU wiederaufgenommen und der Bluff sowohl gegenüber der EU als auch gegenüber Russland vonseiten der Janukowitsch-Regierung wird fortgesetzt werden.
Stucke: Das heißt, Sie denken, das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen in Sachen EU - Russland?
Fedosov: Bestimmt nicht, bestimmt nicht! Eigentlich ist in der Ukraine, wenn man die heutige politische Lage in der Ukraine einschätzt, keine politische Entscheidung endgültig.
Alle politischen Entscheidungen werden im Moment getroffen im Vorfeld der Wahlen und unter Berücksichtigung der Wahlinteressen. Aber sobald die Wahlen vorbei sind, werden die karten neu gegeben. Und das wird nicht mehr lange dauern!
Stucke: Westblock, Ostblock und dazwischen die Ukraine. Das war der russische Politikwissenschaftler Piotr Fedosov. Herr Fedosov, vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!
Fedosov: Vielen Dank!
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