Ukraine

Protestiert, verletzt, verhaftet

Ein Demonstrant vor den Barrikaden in Kiew
Ein Demonstrant vor den Barrikaden in Kiew © afp / Sergei Supinsky
Von Sabine Adler · 09.12.2013
Die ukrainische Opposition fordert die Freilassung der politischen Gefangenen. Gemeint ist damit nicht nur Julia Timoschenko. Es geht auch um Menschen, die bei den Protesten in den vergangenen Tagen zwischen die Fronten geraten und verhaftet worden sind.
Dmitri Drobot ist derzeit in einem weißen T-Shirt unterwegs, auf das ein dickes rotes Kreuz gemalt ist. Er hat es über den Anorak gezogen und signalisiert: Ich helfe. So auch gestern, vor allem aber vor einer Woche.
"Wir sind Unfallsanitäter, Chirurgen, Psychologen, ganz verschieden. Wichtig ist, dass mindestens ein Arzt in der Gruppe ist."
Rund 60 Ärzte und Sanitäter sind seit Beginn der Proteste in Dreier-Teams unterwegs. Gestern waren die freiwilligen Mediziner weit weniger eingespannt als vor einer Woche, als die Massendemonstration von Provokateuren umschlug in Gewalt.
"Es gab sehr viele Kopfverletzungen, offene Wunden, Blutungen, Gehirnerschütterungen, Verletzungen an den Beinen, hauptsächlich Traumata, die von Schlagstöcken herrühren."
Über 200 Personen brauchten medizinische Hilfe, weil Provokateure plötzlich die Sondereinheiten Berkut mit Steinen bewarfen, Gas sprühten und sogar mit einem Bulldozer in die Menge fuhren. Friedliche Demonstranten gerieten zwischen die Fronten, auch Reporter. Wie Waleri Haragutz, Zeitungsjournalist aus Dneprpetrowsk im Osten der Ukraine:
"Er ist Journalist und wollte berichten. Als es gefährlich wurde, lief er nicht weg, weil er einem Verletzten half. Er wurde selbst geschlagen und verletzt, in Untersuchungshaft genommen und ist jetzt angeklagt, einen Massenaufruhr organisiert zu haben."
"Die Ausschreitungen waren geplant"
Aus insgesamt neun derart zufälligen Demonstranten oder Beobachtern wurden politische Gefangene, denen nun ein Gerichtsprozess droht. Keiner wird den Provokateuren zugerechnet. Stattdessen ließ man einen der Anführer dieser Hooligans laufen, sagt Andrej Portnow, der wie der Journalist ebenfalls aus Dneprpetrows stammt und Historiker ist.
"Oben auf dem Traktor, dem Bulldozer, stand ein bekannter Mann, der Führer der rechtsradikalen Organisation 'Bruderschaft' Dmitri Kortschinksi, Gründer auch der Ultrarechten Ukrainischen Nationalistischen Assemblé. In der orangenen Revolution trat er gegen Timoschenko und Juschtschenko auf, er ist Gast bei den Ferienlagern der russischen Putin-Organisation 'Naschije'. Ausgerechnet er, den jeder auf dem Bulldozer sah, wurde nicht verhaftet, er entkam, nach ihm wird gefahndet. Das ist so zweifelhaft, dass viele glauben, dass diese Ausschreitungen geplant waren."
Der Journalist Waleri Haraguz wird die nächsten zwei Monate in Haft verbringen. Ein politischer Gefangener, der benutzt wird, um andere Demonstranten und Reporter einzuschüchtern, vermutet Andrej Portnow:
"Das ist das Signal, dass es absolut jedem so ergehen kann."
Die ukrainische Regierung hat Untersuchungen der Ausschreitung vor einer Woche angekündigt, doch zu befürchten ist, dass diese Untersuchungen ausgehen wie häufig auch Gerichtsprozesse in der Ukraine: mit bestellten Urteilen. Die Euro-Befürworter auf dem Maidan bitten die EU, sich für die Häftlinge einzusetzen. Andrej Portnow befürchtet, dass sein Landsmann aus Dneprpetrowsk Teil der Verhandlungsmasse zwischen Opposition und Regierung wird.
"Diese Häftlinge sind jetzt Geiseln der Regierung. Sollte es zu Verhandlungen kommen, werden sie immer Gegenstand von Fordrungen sein. Ihnen droht eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren mindestens."
Die Ukraine hat neun politische Gefangene mehr, alle nicht annähernd so bekannt wie Julia Timoschenko.
Kanzlerin Merkel will Vitali Klitschko, einen der drei Oppositionsführer, unterstützen, er setzt sich ebenfalls für die Freilassung der Häftlinge ein und wird über jede Hilfe froh sein.