Ukraine

Neuanfang nur mit EU und Russland

Aufräumarbeiten auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew.
Aufräumarbeiten auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. © picture alliance / dpa / Sergey Dolzhenko
Susan Stewart im Gespräch mit André Hatting  · 21.02.2014
Die Osteuropa-Expertin Susan Stewart sieht die Ukraine wirtschaftlich wie politisch vor einem schwierigen Neuanfang. Das Land sei sowohl auf Russland als auch auf die EU angewiesen, deshalb müsse eine Lösung gefunden werden, in der es mit beiden Seiten gute Beziehungen pflegen kann, sagte die Forscherin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik im Deutschlandradio Kultur.
André Hatting: In ihrer Heimat gehen Regierungstruppen und Demonstranten aufeinander los. Mindestens 75 Tote – die Bilder aus Kiew sind erschreckend. Auch und vor allem für die Ukrainer, die jetzt nicht bei ihren Freunden und Verwandten in der Heimat sein können. Mehrere ukrainische Olympia-Teilnehmer haben sich deshalb entschlossen, aus Sotschi abzureisen, andere versuchen, vor Ort ihre Solidarität zu zeigen. In Berlin haben Exilukrainer eine alternative Botschaft eröffnet, und zwar im Foyer der Heinrich-Böll-Stiftung, Das ist direkt gegenüber der offiziellen Vertretung. In dieser symbolischen Botschaft wollen sie über die aktuellen Entwicklungen in ihrer Heimat informieren, Netzwerke bilden, Spenden und Unterschriften sammeln.
Und Unabhängigkeit, das ist auch das Stichwort für unser Thema jetzt.Denn richtig unabhängig sind die Menschen in ihrem Land nicht, Moskau möchte auch ein Wörtchen mitreden bei der Lösung des Konflikts in der Ukraine. Präsident Putin hat den Diplomaten Wladimir Lukin nach Kiew geschickt. Die Ukraine, Opfer der Machtinteressen von EU einerseits und Russland andererseits? Darüber möchte ich jetzt mit Susan Stewart sprechen, sie ist Osteuropa-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Frau Stewart!
Susan Stewart: Guten Morgen!
Hatting: Ist die Ukraine das letzte Schlachtfeld des Kalten Krieges?
Stewart: Ich mag diese Fragestellung nicht so sehr, weil ich finde, das lenkt die Aufmerksamkeit weg, auf Russland und die EU und weg von der Ukraine selbst. Natürlich gibt es diesen Konflikt zwischen der EU und Russland, der sozusagen als Integrationskonkurrenz bezeichnet wird, und natürlich ist das ein tatsächliches Problem in den Beziehungen zwischen den beiden. Aber es geht ja hier um die Ukraine, das ist ja ein unabhängiges Land und das Problem ist, dass die Elite dieses Land einfach so heruntergewirtschaftet hat, dass sie in einer sehr schwachen Position sind, um Druck aus Russland widerstehen zu können.
"Situation in Bezug auf die Krim gefährlicher geworden"
Hatting: Sie haben gerade die Unabhängigkeit des Landes betont. Muss sich die Ukraine eigentlich entscheiden zwischen Russland und er EU? Warum darf das Land nicht beide Seiten als Partner haben zum Beispiel?
Stewart: Ich denke, es wird notwendig sein, eine Lösung zu finden, wo das tatsächlich der Fall ist, dass die Ukraine mit beiden gute Beziehungen pflegen kann, weil … die Verflechtungen mit Russland kulturell, wirtschaftlich, politisch sind sehr eng. Und auf der anderen Seite, die Notwendigkeit, das Land zu modernisieren und mit der EU enger zusammenzuarbeiten, ist auch gegeben. Von daher muss man eben darauf hinarbeiten, dass es zu so einer Lösung kommt, wo keine solche Entscheidung notwendig ist.
Hatting: Sie haben gerade die kulturellen Verflechtungen auch mit Russland angesprochen. Es gibt ja auch geopolitische Verflechtungen, zum Beispiel was die Krim betrifft und den Standort der Schwarzmeerflotte.
Stewart: Ja, und gerade in Bezug auf die Krim ist, glaube ich, jetzt schon die Situation etwas gefährlicher geworden, denn Russland hat da einige Einflusshebel. Natürlich die Flotte, aber auch die Tatsache, dass die Bevölkerung auf der Krim und auch die politische Führung der Krim relativ prorussisch eingestellt ist. Und ich denke, dass Russland das in dieser Phase auch nutzen könnte, um eben die Krim etwas zu destabilisieren. Wir sehen auch jetzt schon solche Tendenzen, aber es ist jetzt unklar, wie weit das gehen wird.
Hatting: Läuft es am Ende darauf hinaus, dass Russland ein Interesse daran hat, das Land zu spalten, es zu föderalisieren?
Stewart: Ich denke, das sind zwei unterschiedliche Sachen. Ich meine, diese Debatte über die Föderalisierung kann natürlich so eine Ersatzdebatte über die Spaltung sein, müsste es aber nicht sein. Es läuft ja schon lange diese Debatte über Föderalisierung in der Ukraine, und Föderalisierung kann auch etwas Sinnvolles sein. Nur denke ich, in dieser Phase, wo es darum geht, die politische Krise zu lösen, kann es nicht gleichzeitig darum gehen, über eine andere Struktur für das Land zu reden. Das müsste in einer anderen Phase geschehen. Und was die Spaltung betrifft, da glaube ich nicht, dass Russland wirklich daran interessiert ist. Russland ist eigentlich daran interessiert, seinen Einfluss auf die Gesamtukraine auszudehnen.
EU-Sanktionen haben Signalwirkung
Hatting: Jetzt hat die Europäische Union Sanktionen beschlossen. Können die was bewirken?
Stewart: Ja, ich denke, Sanktionen haben wenigstens eine Signalwirkung, sowohl für die politische Führung in der Ukraine als auch für die Opposition. Das ist erst mal wichtig. Es ist auch wichtig so als Zeichen der Glaubwürdigkeit der EU, weil die Sanktionen schon seit einer Weile im Gespräch sind. Allerdings hat die Erfahrung gezeigt, dass Sanktionen so in Bezug auf dass ein Land Richtung Demokratisierung geht und so, dass da wirklich wenig Wirkung zu bezeichnen ist.
Hatting: Die Ukraine ist hoch verschuldet, sie hängt an russischen Milliardenkrediten. Welche Chancen hat die Opposition auf eine Regierungsübernahme und eine Demokratisierung vor diesem Hintergrund?
Stewart: Es könnte durchaus sein, dass die Opposition in einer späteren Phase an die Macht kommt. Allerdings wird sie es sehr schwierig haben, mit der Lage zu arbeiten, in der das Land sich befindet. Also, wirtschaftlich gibt es extrem große Schwierigkeiten, die erst mal angegangen werden müssen. Aber auch die ganzen Verhaltensmuster der Elite, die Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft, die nicht gut für das Land ist, und auch der Druck, den das Land aus Russland erfahren hat und wahrscheinlich weiterhin erfahren wird, machen es sehr schwierig, schaffen sehr problematische Voraussetzungen für eine tatsächliche Transformation.
Hatting: Sehen Sie, Frau Stewart, im Augenblick auch die Möglichkeit eines dritten Weges, also zwischen Ost und West für das Land?
Stewart: Ich glaube, das wird momentan sehr schwierig zu bewerkstelligen sein. Das Land braucht einfach, weil es momentan so schwach ist, Hilfeleistungen von der einen oder anderen Seite. Ideal wäre natürlich, wenn die beiden Seiten zusammenarbeiten würden, um das Land auf die Beine zu bringen. Das ist leider in der momentanen Lage unwahrscheinlich. Aber ich denke, es wird schon für die Ukraine in der nächsten Zeit um eine enge Zusammenarbeit mit anderen Ländern und auch hoffentlich mit dem Internationalen Währungsfonds gehen.
Hatting: Sehen Sie im Augenblick jemanden, der am besten oder am ehesten noch eine Vermittlerrolle ausfüllen könnte, die von beiden Seiten akzeptiert würde?
OSZE könnte Vermittlerrolle übernehmen
Stewart: Ja, wir haben jetzt den Versuch von den drei Außenministern, Herrn Steinmeier, Herrn Fabius und Herrn Sikorski. Ich denke, das ist schon besser als jetzt der Versuch, das mit der Brüsseler Ebene zu bewerkstelligen. Denn die würde sicherlich nicht als neutraler Vermittler in Kiew angesehen. Eine andere Möglichkeit wäre die OSZE, die bereits einige Bemühungen unternommen hat, allerdings ist Russland Mitglied der OSZE und kann dadurch, wenn es will, einige von diesen Bemühungen oder Weiterbemühungen blockieren. Ich glaube, wir müssen jetzt mit der Lage arbeiten, die wir vorfinden, wo die Troika gerade in Kiew ist, von den drei Außenministern, und wo auch anscheinend der Menschenrechtsbeauftragte der russischen Föderation Herr Lukin auch hingefahren ist. Und wenn da tatsächlich alle an einen Tisch kommen mit der ukrainischen Führung und mit der Opposition, dann ist es erst mal als positiver Schritt zu bewerten.
Hatting: Susan Stewart, Osteuropa-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ich bedanke mich, Frau Stewart!
Stewart: Danke schön!
Hatting: Und während wir hier gerade gesprochen haben, erreicht uns diese Eilmeldung: Nach Angaben des ukrainischen Präsidialamtes haben sich Vermittler der EU und Russlands mit Staatschef Viktor Janukowitsch und der Opposition auf eine Lösung der Krise geeinigt. Leider wissen wir noch nicht, wie diese Lösung aussehen wird, aber wir bleiben dran, vielleicht erfahren wir das ja noch in der nächsten Stunde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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