Weizen aus der Ukraine

Kornkammer der Welt in Gefahr

26:31 Minuten
Drei ukrainische Soldaten gehen durch einen Acker, in Bildhintergrund sind weitere landwirtschaftliche Nutzfelder zu erkennen.
Auch die Bauern sind im Krieg: Wegen der Kämpfe herrscht in der ukrainischen Landwirtschaft Personalmangel. © AFP / Dimitar Dilkoff
Von Peter Sawicki · 16.03.2022
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Durch den Krieg liegen viele Felder in der Ukraine brach. Die Folgen sind dramatisch: Denn mit 70 Millionen Tonnen gehört das Land zu den größten Getreideexporteuren der Welt. Erstmal dürfte die Ukraine als Exporteur aber ausfallen, schätzen Experten.
Zu den Symbolen des Protests gegen den von Russland angefachten Krieg gehören in der Ukraine auch Traktoren. Aufnahmen in sozialen Netzwerken zeigten in dieser Woche, wie offenbar Landwirte in der südlichen Region Cherson hupend auf ihre Felder fuhren, an den Fahrzeugen waren ukrainische Fahnen befestigt – trotz der enormen Präsenz der russischen Armee vor Ort.
In der sogenannten Kornkammer Europas beginnt in diesen Wochen eigentlich die Saison der Aussaat. Weltweit gehört die Ukraine zu den größten Getreideproduzenten. Doch der Krieg mit Russland hat auch die ukrainische Landwirtschaft massiv erschüttert.
Alex Lissitsa ist Ökonom und Unternehmer. Mehr als zehn Jahre hat er in Deutschland gelebt, in der Ukraine unterhält er auch Getreidefelder. Vor allem im Norden sei wegen der Kämpfe an normalen Betrieb nicht zu denken, schilderte Lissitsa kürzlich auf einer Online-Fachkonferenz:
„Die Lage ist schlimm, in einigen Ecken katastrophal. Mit einer Aussaat rechnen wir noch nicht mal. Zum Teil haben wir Treibstoff an die Armee abgegeben. In zwei Regionen, Sumy und Tschernihiw, wo die Russen an unsere Kapazitäten herangerückt sind, haben wir das einfach mal verbrannt. Wir haben nur Treibstoff in Poltawa in der Zentralukraine, aber das reicht natürlich nicht aus, um die Aussaat vernünftig zu machen.“

2021 wurden 70 Millionen Tonnen Getreide exportiert

Mehr als 100 Millionen Tonnen Weizen, Mais und anderer Getreidesorten hat das Land nach Angaben des Ukrainischen Getreideverbands im Jahr 2021 geerntet – eine Rekordsumme. Etwa 70 Millionen Tonnen wurden exportiert. Der Agrarsektor macht laut Weltbank etwa 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine aus.
Das verdankt das Land seinen geologischen Gegebenheiten. Weite Teile vor allem der Süd- und Zentralukraine sind mit humusreichen und tiefgründigen Schwarzerdeböden ausgestattet. Zusammen mit einem günstigen Klima ermöglichen sie eine reichhaltige Ernte. Auch historisch spiele die Landwirtschaft für das Land eine spezielle Rolle, erklärt Ukraine-Experte Wilfried Jilge:
„Die Ukraine war schon in der Sowjetunion einer der wesentlichen Versorger mit Getreidevorräten. Schon aus diesem Zusammenhang heraus, dass die ukrainischen Schwarzerdeböden so gehaltvoll sind, kam die Ukraine schon ganz stark unter die Räder beim sogenannten Holodomor, bei der großen Hungersnot 1932/33."

Personalmangel auf den Feldern

Verantwortlich war dafür Diktator Josef Stalin, der zuvor die Zwangskollektivierung der ukrainischen Landwirtschaft brutal vorangetrieben hatte. Diese tragische Erfahrung sei für die nationale Identität sowie speziell für das Selbstverständnis der Landwirte in der Ukraine von zentraler Bedeutung.
Im jetzigen Krieg kämpfen nach Angaben von Unternehmer Alex Lissitsa zahlreiche ukrainische Bauern an der Front gegen Russland. Das sorgt wiederum für Personalmangel auf den Feldern. Hinzu kommen blockierte Transportwege im ganzen Land, die den wirtschaftlichen Kreislauf erschweren. Lissitsa glaubt an eine stark eingeschränkte Ernte in diesem Jahr:
„Was ich mal realistisch gesehen prognostizieren würde, ist, dass vielleicht im Westen der Ukraine die Landwirte irgendwas aussäen. Und eventuell – wenn der Krieg dann vorbei ist – dass wir vielleicht im Juli Winterweizen ernten können.“

Kriegsbedingter Ausfall als Exporteur

Vieles hänge jedoch, so Lissitsa, davon ab, wann der Krieg beendet sei. An eine Versorgungsknappheit innerhalb der Ukraine glaubt er nicht, das Land verwende nur einen Bruchteil der Getreideernten für den Eigenbedarf. Alex Lissitsa prognostiziert aber, dass die Ukraine sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr Weizen und Mais nur für den Binnenkonsum produzieren kann und als Exporteur ausfalle.
Neben gravierenden Folgen für den Weltmarkt sei dies auch für die ukrainische Wirtschaft fatal, ergänzt Experte Wilfried Jilge. Das Ausmaß der ökonomischen Schäden hänge dabei maßgeblich vom Verlauf des Krieges ab:
„Wir haben ja zurzeit das Problem, dass ukrainische Hafenstädte entweder besetzt sind oder unter Beschuss stehen, wie Mikolajiw oder jetzt neuerlich Odessa. 60 Prozent des Exportes landwirtschaftlicher Produkte der Ukraine werden über das Meer abgewickelt. Für die Ukraine ist hier ein Riesenproblem entstanden.“
Unterstützen könne die EU die Ukraine, so Jilge, indem Transporte per Bahn etwa über Rumänien zu den dortigen Schwarzmeerhäfen erleichtert würden. Außerdem bräuchte es Lieferungen von Treibstoff und Düngemitteln. Von zentraler Bedeutung sei jedoch die Sicherung des Zugangs zum Meer – um eine Degradierung zum Binnenstaat zu verhindern. Darunter würde nicht nur die ukrainische Landwirtschaft massiv leiden.

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