Ukraine-Konflikt

Angst und Flucht

Aufgrund der anhaltenden Repressionen der neuen Machthaber fliehen viele von der Krim.
Aufgrund der anhaltenden Repressionen der neuen Machthaber fliehen viele von der Krim. © picture alliance / dpa / Pochuyev Mikhail
Von Thomas Franke  · 18.08.2014
Seit März dieses Jahres hat Russland auf der Krim das Sagen. Der russischen Bevölkerungsmehrheit scheint das zu gefallen. Doch die Tataren, die 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, klagen über Ausgrenzung, Schwierigkeiten beim Grunderwerb und Einreiseverbote.
Bischof Kliment eilt die Treppen hoch. Auf die Wand hat jemand "Zur Kirche" geschrieben. Im ersten Stock dann der Kirchenraum. Kliment küsst eine der wenigen Ikonen. Die Wände sind hellblau getüncht, Farbe blättert. An der Decke Stuck mit Hammer und Sichel. Einst war hier die Militärakademie. Später ist die orthodoxe Kirche in das Gebäude eingezogen. Die Ukraine hatte ihnen das Haus kostenlos zur Verfügung gestellt, die neuen Machthaber fordern eine horrende Miete, klagt Kliment.
Die Kirche in der Ukraine ist gespalten. Ein Teil untersteht dem Patriarchat in Kiew, ein Teil dem in Moskau. Bischof Kliment, das Kirchenoberhaupt auf der Krim, untersteht dem Kiewer Patriarchat und hat deshalb Ärger.
"Ich habe Angst. Schauen Sie, was nach der Besetzung der Krim durch Russland begann. In Sewastopol wurde die Kirche des Kiewer Patriarchats zerstört. Vor zwei Monaten wurde sie geschlossen. Und erst letzte Woche haben sie uns erlaubt, unseren Besitz heraus zu holen. Dann das Pogrom am 1. Juni gegen die Kirche im Ort Perewalne."
Perewalne ist einer der symbolträchtigsten Orte auf der Krim in den letzten Monaten. Denn in Perewalne gab es eine große ukrainische Militärbasis. Im März gruben russische Soldaten Schützengräben, brachten Mörser in Stellung, stellten Schützen auf. Es kam zu Übergriffen auf ausländische Journalisten durch dort lebende Russen. Kliment hat sich einer Übernahme der Kirche durch die russisch-orthodoxe Kirche entgegen gestellt.
"Dann der Versuch eines Pogroms am 6. Juli auf unsere Kirche in Simferopol und der Versuch, sie zu besetzen. Und in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli haben sie mein Haus im Ort Mramornoe angezündet. Dort ist eine Kirche, die die russisch-orthodoxe Kirche haben will."
Eine Hochzeit in der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche in Simferopol auf der Krim
Eine Hochzeit in der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche in Simferopol auf der Krim© Deutschlandradio Kultur - Thomas Franke
Bischof Kliment hat sich im letzten Winter den Demokraten der Maidanbewegung angeschlossen. Das bereitet nicht nur ihm jetzt Probleme. Die Ukraine sei zwar abgewirtschaftet gewesen, sagt er, sie hätte den Menschen jedoch die Würde der Freiheit gegeben. Andere Priester des Kiewer Patriarchats auf der Krim waren im März verschleppt worden, mehrere Geistliche sind auf ukrainisches Festland geflüchtet. Kliment glaubt, wenn er nach Kiew fährt, lassen ihn die russischen Grenzsoldaten nicht mehr auf die Krim. Seine Hände zittern. Er rechnet auch mit seiner Verhaftung.
"Das machen sie, um uns von der Krim zu verjagen. Mit solchen harten Methoden. Ich glaube, das ist geplant. Mir wurde gesagt: Rede mit dem russischen Geheimdienst, dem FSB. Ich habe gesagt, ich werde mich nicht mit dem Teufel einlassen. Ich unterschreibe nichts. Ich glaube, als Antwort auf meine Weigerung, haben sie mein Haus abgebrannt."
Ein Bischof auf der Flucht
Offenheit und Ehrlichkeit gelten in Russland als Schwäche, beklagt der Bischof. Als er sich an die neue Regierung der Krim wandte, blitzte er ab.
"Mir wurde gesagt, dass es einen Beschluss gibt, der Provokationen verbietet, die die Gläubigen der orthodoxen-Kirche des Kiewer Patriarchats erniedrigen. Sie haben mir in einem zweiseitigen Brief die verfassungsmäßig garantierten nationalen, kulturellen und religiösen Rechte erläutert. Aber Sie sehen ja, wie die Verfassung funktioniert."
Auch die Krimtataren beklagen, dass ihnen ihre Rechte nicht gewährt werden.
Der Mokka ist mit Kardamom gewürzt. Aus Tiegeln gießt die Kellnerin die braune heiße Brühe in kleine Schälchen. Dazu reicht sie Pistazien in Granatapfelgelee.
Das Café gehört Dilara Seytvelieva und ist eine Touristenattraktion in Bachtschyssaraj. Bachtschyssaraj ist die Hauptstadt der Krimtataren. Etwa 25.000 Menschen leben dort. Es gibt einen Khan-Palast aus dem 16. Jahrhundert. Touristenbusse kommen, Souvenirhändler verkaufen Gewürze, Kerzen, Nippes.
Die Tataren sind Muslime. Das ist offensichtlich Grund genug für Razzien durch Truppen des Innenministeriums. Vor wenigen Wochen wurden in Bachtschissaraj drei krimtatarische Cafés von Vertretern der Polizei und der Staatsanwaltschaft durchsucht. Alle gehören politischen Vertretern der Krimtataren. Auch das von Dilara Seytvelieva war dabei. Und auch im Hotel ihrer Familie gab es eine Razzia.
"Du musst Dich entweder freuen und sagen, dass Du froh bist, jetzt in Russland zu sein, oder sie gehen noch härter gegen dich vor."
Sie sei die einzige in Bachtschyssaraj, die überhaupt noch offen ihre Meinung sage. Auch die Café-Besitzerin rechnet mit ihrer Verhaftung. Abwegig ist das nicht. Ihr Bruder, Mustafa Dschemiljew, ist Abgeordneter im Parlament der Ukraine. Die Behörden haben ihm verboten, auf die Krim zurück zu kehren. Die Begründung: Er habe Provokationen vorbereitet. Das gleiche Schicksal ereilte auch Refat Tschubarow, einem anderen führenden Krimtataren.
Die Krimtataren kennen die Angst vor den Sicherheitskräften. Im stalinistischen Terror kamen etwa 150.000 von ihnen um, etwa die Hälfte der krimtatarischen Bevölkerung. Die Übrigen wurden deportiert. Erst in der unabhängigen Ukraine konnten die Krimtataren ungehindert in ihrer Heimat zurück kehren, ihre Kultur leben und eine politische Vertretung aufbauen. Der geht es nun an den Kragen.

Bischof Kliment, in Sorge um den Fortbestand der Ukrainisch-orthodoxen Kirche auf der Krim
Bischof Kliment, in Sorge um den Fortbestand der Ukrainisch-orthodoxen Kirche auf der Krim© Thomas Franke
"Ich denke, bei uns in Bachtschyssaraj ist es noch mehr oder weniger ruhig, denn wir haben in diesen Jahren sehr viel getan für die Wiedergeburt des krimtatarischen Volkes und seiner Kultur und Geschichte. Wir haben zum Beispiel erreicht, dass der Bürgermeister von Bachtschyssaraj ein Krimtatare ist."
Die Medschlis, die politische Vertretung der Krimtataren, sitzt in der Inselhauptstadt Simferopol.
Durchsuchungen nach verbotener Literatur
Es ist heiß. Die wenigen Menschen, die am Freitagnachmittag auf der Straße sind, suchen die Schattenseite der Straße. Ein paar Muslime eilen in die Moschee zum Freitagsgebet. Auf der anderen Straßenseite blitzen die goldenen Kuppeln einer russisch-orthodoxen Kirche. Auf der Krim haben immer viele Völker gelebt. Das sind neben Russen, Ukrainern und Krimtataren auch viele andere Sowjetvölker, Armenier, Georgier, Tschuwaschen, aber auch Griechen, Deutsche, Roma und Koreaner.
Die Krimtataren sind die politisch am besten organisierte Minderheit, erläutert Nariman Dschelal. Er ist bereits zum zweiten Mal in der Medschlis. Und er ist, wie die meisten Krimtataren, eher säkular.
- "Es gab im März und April einen deutlich merkbaren Anstieg von Fremdenfeindlichkeit. So gab es Übergriffe auf Kinder in der Schule. Ein junger Mann wurde auf der Straße überfallen und zusammen geschlagen, weil er Krimtatarisch sprach."
- "Menschen, die nach den Regeln des Islam leben, werden vorgeladen oder bekommen Besuch. Sie werden verhört, ihre Häuser werden durchsucht nach irgendwelcher verbotenen Literatur."
- "Ich glaube, damit wird die Grundlage geschafft, um irgendwelche krimtatarischen oder muslimischen Vereinigungen auf der Krim zu Extremisten zu erklären."
Diesen Eindruck bestätigt auch Andrej Krysko vom unabhängigen Büro für Menschenrechte auf der Krim. Er glaubt, dass gemäßigte Krimtataren wie die bekannte Persönlichkeit Refat Tschubarow gezielt vertrieben werden.
"Er hat versucht, die Unzufriedenheit zu senken. Die ist, besonders unter jungen Krimtataren, sehr hoch. Wir wissen noch nicht, wie sich das auswirkt, sind aber pessimistisch. Es kann sein, dass in der Medschlis, der politischen Vertretung der Krimtataren, radikale Politiker die Führung übernehmen, oder noch schlimmer, religiöse. In dem Fall befürchten wir eine weitere Welle von Spannungen auf der Krim."
Unter den jungen Krimtataren wächst die Unzufriedenheit – die Lage wird immer angespannter. Dass dafür auch die derzeitigen Einsätze der russischen Sicherheitskräfte – die Verhöre und Durchsuchungen - mitverantwortlich sind, bestreitet der stellvertretende Premierminister der Krim, Michail Scheremet. Genau um diese Spannungen zu vermeiden, gebe es nun den Befehl, dass einige Vertreter von Minderheiten nicht nach Hause auf die Krim zurück dürften.
"Die Einreiseverbote hängen damit zusammen, dass die Leute, gegen die sie verhängt wurden, unser gemeinsames nationales Boot ins Schwanken gebracht haben. Auf der Krim leben mehr als 150 Nationalitäten. Wenn da die einen das Boot in die eine Richtung schaukeln und die anderen in die andere, dann geht das Boot unter. Der Tatarenpolitiker Dschemiljev ist ja nicht weggefahren, um Schaschlik zu essen und Tee zu trinken. Sondern, um Provokationen vorzubereiten, um interethnische Konflikte zu schüren. Wir werden das nicht zulassen. Wir brauchen Frieden und Ruhe und Vertrauen in die Zukunft. Und das ist die Meinung der absoluten Mehrheit aller, die auf unserer Halbinsel wohnen."
Beweise dafür legt er nicht vor. Das Vorgehen russischer Sicherheitskräfte auf der Krim erinnert an Aktionen russischer Sicherheitskräfte im Nordkaukasus. Auch dort haben willkürliche Antiterrormaßnahmen viele Menschen radikalisiert. Irgendwann gibt es dann eine Rechtfertigung für Antiterroreinsätze, sagt Krysko vom Büro für Menschenrechte auf der Krim.
"Wir bekommen von den Muslimen einzelne Signale. Das ist keine massenhafte Tendenz. Aber es sind Signale, die beunruhigen. Letzten Monat wurde ein Brandsatz in eine Moschee geworfen und auf die Wand ein Hakenkreuz gemalt. Außerdem gab es Durchsuchungen im Ort Kalschugino. Nach Informationen der Einwohner wurden in der Islamschule angeblich Waffen aufbewahrt. Die Information war falsch. Mir scheint, dass all diese Handlungen darauf gerichtet sind, Druck auszuüben, die Leute einzuschüchtern."
Die neuen Machthaber verneinen die Vorwürfe
Michail Scheremet, der stellvertretende Premierminister der Krim, verneint all diese Vorwürfe. Es gäbe keine Übergriffe.
"Wir haben Stabilität, Ruhe und nicht den kleinsten interethnischen Konflikt. Mich ärgert schon das Wort Minderheit. Wir haben bestimmte nationale Gruppen, aber wir unterteilen sie nicht in Minderheit und Mehrheiten. Bei uns haben alle gleiche Rechte und Möglichkeiten. Wir behandeln alle mit Verständnis und herzlich und auf staatlicher Ebene. So auch auf der Krim."
Solche Äußerungen entlocken der krimtatarischen Cafebesitzerin Dilara Seytvelieva nur ein spöttisches Lächeln.
"Ich glaube, dass sogar die sowjetische Verfassung unter Stalin sehr sympathisch war. Aber was in der Verfassung steht, hat doch wenig mit dem zu tun, was wir erleben."
Und das stimmt alles andere als positiv.
Schon im März – während der Annexion der Krim durch Russland – zeigte der russische Auslandspropagandasender RT einen Film über Antisemitismus auf der Krim. Darin auch der Rabbiner Michail Kapustin aus der Hauptstadt Simferopol beim Packen seiner Bücher.
"Ich möchte nicht gehen, ich bin gezwungen, zu gehen. Denn ich möchte, dass sich meine Kinder sicher fühlen, dass sie frei sind, offen zu sagen, was sie denken. Deshalb gehe ich. Es geht nicht um mich, es geht um meine Kinder und meine Familie."
Dann ein Schnitt. Bilder einer Überwachungskamera. Jemand schmiert Hakenkreuze an die Synagoge in Simferopol und "Tod den Juden". Der Film wird von RT als Beleg für den Antisemitismus in der Ukraine präsentiert. Doch das stimmt nicht. Denn Rabbiner Kapustin flieht nicht vor dem Antisemitismus in der Ukraine. Dann hätte er ja bleiben können. Der Rabbiner flieht vor den russischen Separatisten und ihren Helfern. Es würde die Gemeinde gefährden, wenn er weiterhin seine Meinung zur Annexion der Krim äußere, sagte Kapustin im März. Das verschweigt die russische Propaganda.
Zurück in die Kirche in der ehemaligen Militärschule. Die Hochzeitsgesellschaft ist klein. Das Brautpaar, zwei Zeugen, die Eltern, ein Kind. In der Hand haben sie Kerzen. Der Chor besteht aus zwei Männern, die nebenbei mit ihren Mobiltelefonen rumhantieren. In der Sowjetunion hätten sie wenigstens gewusst, woran sie sind, klagt Kliment.
"Es ist jetzt entscheidend schlimmer. Denn in der Zeit der Sowjetmacht gab es eine Ideologie, dass es keine Religion in der Gesellschaft geben kann. Weil es nur eine Religion gab, die kommunistische Ideologie. Es war ein offener Krieg des Systems mit der Kirche, der Religion."
Die Realität auf der Krim bekommt teils groteske Züge. Gerade erst hat Russland die Halbinsel gewaltsam der Ukraine entrissen. Nun fürchten die Befürworter einer ukrainischen Krim, wegen Separatismus angeklagt zu werden. Erst vor kurzem wurden die Gesetze gegen Aufrufe zum Separatismus verschärft. Narim Dschelal, politischer Vertreter der Krimtataren, lächelt:
"Wenn wir als angestammte Bevölkerung der Krim anerkannt werden, folgt für uns daraus ein Recht auf Selbstbestimmung. Das Recht, das Herr Putin heute sehr aktiv propagiert. Es dabei aber der russischen Diaspora auf der Krim zuspricht. Denn die sind hier als Diaspora. Ihr Mutterstaat ist Russland. Deswegen haben sie hier kein Recht auf Selbstbestimmung. Die einzigen, die hier das Recht auf Selbstbestimmung haben, sind die Krimtataren. Aus irgendeinem Grund passt die Krim nicht in dieses Verfassungssystem. Das ist irgendwie etwas völlig Unverständliches."
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